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Vorsicht, Studentenfalle: Lost in Perfection

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Karriere "Entscheidend ist, wie man zum Risiko steht"

Ist die Karriere bis ins Detail planbar? Sollen Studenten ihr ganzes Leben so ausrichten, dass eine Bewerbung möglichst perfekt aussieht? Burkhard Schwenker warnt vor den riesigen Nebenwirkungen: Im Interview rät der Chef der Unternehmensberatung Roland Berger, dem Zufall eine Chance zu geben.

SPIEGEL ONLINE: Herr Schwenker, Ihr eigener Lebenslauf ist alles andere als geradlinig: Sie sind über den zweiten Bildungsweg zur Hochschulreife gelangt, haben neben dem BWL- und Mathematikstudium auf dem Großmarkt, in einer Schrauben- und einer Puddingfabrik gearbeitet. Würden Sie so jemanden wie sich selbst einstellen?

Burkhard Schwenker: Ich bezweifle das selbst gelegentlich, wenn ich sehe, was ein Kandidat bei unseren Recruiting-Verfahren so alles leisten muss. Fakt ist aber: Unterschiedliche Charaktere und Lebenswege gehören zu unseren Werten. Denn nur aus Vielfalt kann Kreativität entstehen. Und die brauchen wir, um die Probleme unserer Kunden zu lösen.

SPIEGEL ONLINE: Sie haben in einem Interview gesagt, dass Sie zwanghafte Karriereorientierung für Unsinn halten: "Wer zu fokussiert auf das ist, was er glaubt, planen zu können, vergibt gute Gelegenheiten." Ist es letztlich Zufall, wer wirklich Karriere macht?

Schwenker: Natürlich spielt der Zufall eine Rolle, und zwar meist schon in der Schule. Man kann ja nur begrenzt planen, auf Menschen zu stoßen, die einen fördern. Aber: Das Glück ist aber immer mit den Tüchtigen. Wer sich nur auf den Zufall verlässt, kommt nicht weit.

SPIEGEL ONLINE: Was bedeutet für Sie persönlich Karriere? Ein hohes Gehalt, viele Mitarbeiter? Oder doch die Befriedigung, die man aus seiner Arbeit zieht?

Schwenker: Nur möglichst viel Geld verdienen zu wollen, greift zu kurz. Ohne Gestaltungswillen, Freude und Befriedigung durch das, was man tut, wird man kaum Karriere machen. Wird beides miteinander verbunden, ergibt das ein rundes Bild.

SPIEGEL ONLINE: Das hat die Anforderungen an deutsche Studenten enorm verändert. Sie haben die neuen, verschulten Studiengänge als "zu eindimensional" bezeichnet. Ist das nicht ein harsches Urteil über eine Reform, die gerade auch gemacht wurde, um Studenten besser für die Anforderungen der Wirtschaft auszubilden?

Schwenker: Natürlich hat das Studium früher zu lange gedauert, und die Unis hatten zu wenig Geld. Aber die Komplexität unserer Welt, mit ihren äußerst schnelllebigen und nicht vorhersagbaren Entwicklungen, ist doch nur dann zu erfassen, wenn man die Chance hatte, sich breit auszubilden. Das humanistische Ausbildungsideal bietet dabei die richtige Antwort auf das, was auf uns zukommt. Denn auch die starke Kritik am amerikanischen Managementstil hat letztlich mit der Ausbildung zu tun. Nur Case-Studies zu erarbeiten, ist zu simpel, wenn die Welt immer komplexer wird. Deshalb ärgert es mich, dass wir unsere Ausbildung ausgerechnet zu einem Zeitpunkt amerikanisieren, an dem viele US-Hochschulen über ein neues Curriculum nachdenken - auch als Reaktion auf die Krise. Obwohl wir Europäer die Chance gehabt hätten, etwas eigenes aufzustellen.

SPIEGEL ONLINE: Die Forderung nach einer strafferen und zielorientierteren Ausbildung kam stets aus der Wirtschaft...

Schwenker: Diese Strömung gab es immer. Aber man muss das Studium nutzen, um sich mit Theorien auseinanderzusetzen - die Praxis kann man später lernen.

SPIEGEL ONLINE: Was raten Sie Studenten, die sich jetzt in diesem System befinden?

Schwenker: Es klingt zwar platt, ist aber wahr: es möglichst gut zu machen und das Studium zu nutzen, um in die Tiefe zu gehen und gleichzeitig in die Breite zu schauen. Selbst wenn der Ausbildungsweg eingeengt ist, hindert das ja niemanden daran, gelegentlich über die eigenen Grenzen zu überschreiten.

SPIEGEL ONLINE: Stellen Sie bei Berger Absolventen ein, die nur einen Bachelor-Abschluss haben?

Schwenker: Ja. Wir ermöglichen ihnen dann, nach einer gewissen Praxiserfahrung einen Master-Studiengang draufzusatteln.

Die Ego-Taktiker der "Generation Lebenslauf" und der harte Arbeitsalltag von Beratern

SPIEGEL ONLINE: Längst verlangt die Arbeitswelt mehr spezifisches Fachwissen, als man sich in drei, vier Jahren Studium aneignen kann. Welche Fähigkeiten erwarten Sie von Ihren Bewerbern?

Schwenker: Sie müssen auch Spaß daran haben, andere Lebensumstände kennenzulernen, zu erleben, wie schnell die Welt sich verändert. Ich fand es etwa immer faszinierend zu sehen, was sich in China oder Russland tut. Bei allen Standards, die das internationale Beratungsgeschäft erfordert - wer homogene Strukturen sucht, ist bei uns falsch.

SPIEGEL ONLINE: Kann eine Hochschule überhaupt leisten, was Sie fordern?

Schwenker: Warum nicht? Da gibt es Professoren, die ihr Fachwissen beherrschen - und kaum Beschränkungen, an Vorlesungen in anderen Fächern teilzunehmen. Selbst wenn die Studiengänge eng geplant sind: Wer will, kann sich inhaltlich breiter aufstellen, zumal mit der heutigen Informationstechnologie.

SPIEGEL ONLINE: Von Studenten verlangen Sie Mut zur eigenen Meinung und klagen, dass viele keine Zeitung mehr lesen. Begegnet Ihnen tatsächlich so viel Desinteresse?

Schwenker: Von Zeit zu Zeit macht es Spaß zu provozieren. Aber im Ernst: Eine Zeitung besteht nicht nur aus dem Wirtschaftsteil, ich halte es durchaus für sinnvoll, auch mal in andere Teile hineinzuschauen. Es geht nicht allein um Reflexionsfähigkeit. Ganz praktisch kommt hinzu: Wenn Sie Karriere machen, müssen Sie auch intelligent Small-Talk-fähig sein.

SPIEGEL ONLINE: Der Sozialwissenschaftler Klaus Hurrelmann hat die heutigen Studenten als "Generation Lebenslauf" beschrieben, als "ideologiefreie Ego-Taktiker, die ihr Leben als Management-Aufgabe begreifen" und eine "knallharte Kosten-Nutzen-Rechnung aufstellen auf dem Weg nach oben". Stimmen Sie zu?

Schwenker: Ja, das hat sich tatsächlich verändert. Die positive Politisierung hat abgenommen, die Work-Life-Balance spielt eine größere Rolle, und es geht vor allem um den möglichst designten Lebenslauf. Ich habe bei meinen eigenen Kindern festgestellt, dass sie weniger politisch interessiert und engagiert sind, als ich es war. Ich komme aus der Provinz, die 68er-Bewegung kam bei uns zehn Jahre später an, ich habe sie also noch erlebt. Und ich glaube, so etwas braucht man, denn wenn so unterschiedliche Werte aufeinander prallen, ist man gezwungen, sich mit ihnen auseinanderzusetzen und kann lernen, Spaß daran zu finden.

SPIEGEL ONLINE: Der Druck in der Schule und dann im Studium ist hoch, möglichst gut, schnell, effizient zu sein....

Schwenker: ... das fängt ja sogar noch viel früher an: Heute gibt es doch Eltern, die schon bei der Geburt des Kindes über die richtige Kita, Fremdsprachen und die weiterführende Schule nachdenken. Wächst man in einer solchen wohlmeinenden Umgebung auf, die den Bildungsweg praktisch en détail vorgibt, ist das Risiko relativ groß, in diese Professionalisierungsfalle zu tappen. Für mich ist das ein Verbrechen an den Kindern - weil es ihren Freiraum einengt und die Kreativität tötet.

SPIEGEL ONLINE: Woher rührt dieser Wunsch nach absoluter Planbarkeit?

Schwenker: Diesen Wunsch nach Kontrolle über unser Leben haben wohl alle, aber in unterschiedlicher Ausprägung. Die entscheidende Frage ist, wie man zum Risiko steht: Sehe ich den Zufall als Chance, oder habe ich Angst davor? Es ist ja per se nichts Schlechtes, auf Veränderungen vorbereitet zu sein. Nur: Wer alles plant, den trifft der Zufall umso härter...

SPIEGEL ONLINE: Von Beratern verlangt Berger viel: Sie sollen "intellektuelle Neugier" haben und die "entscheidenden politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Zusammenhänge" im Blick. Doch im Alltag haben Berater kaum Zeit fürs Privatleben, verbringen die meiste Zeit in fremden Städten und Hotels. Wie kann man da noch Leidenschaft, Enthusiasmus, intellektuelle Neugier entwickeln?

Schwenker: Das ist eine Frage der Prioritäten und der Balance. Als junger Partner in den neunziger Jahren habe ich selten die Chance genutzt, mal ein Museum zu besuchen oder einfach eine halbe Stunde durch die Stadt zu spazieren. Weil ich den Eindruck hatte, die Zeit dafür würde fehlen. Das sehe ich heute anders und habe gelernt, dass man fremde Kulturen nur verstehen kann, wenn man sich auf sie einlässt. Gleichzeitig können wir nur dann gut beraten, wenn wir es mit vollem Einsatz tun - um acht Uhr abends kann also nicht immer Schluss sein.

SPIEGEL ONLINE: Wie schützen Sie sich und Ihre Leute vor Betriebsblindheit?

Schwenker: Wir arbeiten zwar ständig an ähnlichen Problemstellungen, aber immer in unterschiedlichen Firmen, in anderen Ländern, mit wechselnden Teams. Das führt zwangsläufig zu neuen Einsichten. Und wir schützen uns durch gezielte Weiterbildung und einen hohen Zufluss junger Akademiker. Der wichtigste Antrieb bleibt aber das Interesse jedes Einzelnen, sich neue Dinge anzuschauen und anzueignen. Die Welt ändert sich rasant - wer nichts dazulernt, verliert schnell den Anschluss.

SPIEGEL ONLINE: Wenn also einer Ihrer Mitarbeiter Schafe in Neuseeland scheren, in einem Kinderheim arbeiten oder zwischendrin ein Semester Ethnologie studieren will, dann rennt er bei Ihnen offene Türen ein?

Schwenker: Wenn diesem Bedürfnis nicht mitten in einer Projektphase nachgegeben werden muss, lässt sich das einrichten. Ich muss gestehen, dass ich das nicht immer begrüßt habe. In den vergangenen zehn Jahren habe ich dabei aber hinzugelernt.

SPIEGEL ONLINE: Welches war der Lebenslauf, der Sie am neugierigsten gemacht hat?

Schwenker: Schwer zu sagen. Ganz aktuell hat mir jemand geschrieben, der laut seinen Unterlagen sehr schnell und mit exzellenten Noten studiert hat. Nach dem Berufseinstieg hat er dann aber mehr als zehn Jahre Pech oder Unvermögen gehabt und ist jetzt Hartz-IV-Bezieher. Er hat mir geschrieben, ob er nicht noch eine Chance bekommen kann. Eine schwierige Frage. Auf der einen Seite sage ich ja: Er verdient eine Chance. Andererseits haben unsere Klienten den Anspruch auf die beste Projektqualität - insofern müssen wir da abwägen.

SPIEGEL ONLINE: Und wie haben Sie entschieden?

Schwenker: Noch gar nicht, wir werden ihn jetzt erst einmal treffen.

Das Interview führte Susanne Amann an der Handelshochschule Leipzig in der Reihe "SPIEGEL-Gespräche - live in der Uni"

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