Manche Lehrer fürchten sich vor Schülern, die den Unterricht stören, die alles besser wissen, die immer widersprechen. Arne Ulbricht gesteht: Er hat in der Schule auch manchmal Angst - allerdings eher vor seinen nörgelnden Kollegen.
Zum Verzweifeln: Warum stöhnen Lehrer so viel, fragt sich der Autor
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Arne Ulbricht, Jahrgang 1972, unterrichtet an einer Gesamtschule in Nordrhein-Westfalen Französisch und Geschichte. Der Lehrer ist Autor mehrerer Bücher. Soeben ist sein Erzählband "Vatertag!" erschienen. Hier geht es zu seiner Website.
An acht Schulen in vier Bundesländern habe ich unterrichtet. Und überall war es dasselbe: In den Stressphasen spürte ich ein quälendes Unbehagen, sobald ich das Schulgebäude betrat. Denn überall wurde gejammert, gestöhnt und gemeckert. Beispiele? Gern!
Auf dem Pausenhof äußerte sich Kollegin C., 52, während der gemeinsamen Aufsicht wie folgt:
"Die Leute in der Wirtschaft haben es gut. Die haben Urlaub und dann wirklich frei, während wir immer korrigieren müssen, und dann verdienen sie zehntausend Euro im Monat. Ich würde denen sofort meinen Beamtenstatus schenken, wenn die mit mir tauschen wollten."
Zeitpunkt der Äußerung: eine Woche vor den Sommerferien, die sechs Wochen lang sind und damit so lang wie der Jahresurlaub eines leitenden Angestellten in einem Unternehmen.
Und jetzt kommen Sie
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Das Thema der nächsten Folge: Wie ich Schülern auf den Leim ging.
Sie sind Lehrer und möchten zu dem Thema auch gestehen? Dann schicken Sie Ihre kurze Geschichte gern an:
In einer Lehrerbibliothek wurde ich wiederum Zeuge des folgenden Gesprächs:
Kollege M., 33: "Puh, gestern wieder bis Mitternacht korrigiert."
Kollegin M., 45: "Bis Mitternacht? Ich verlasse seit Wochen nie vor 2.00 Uhr morgens den Schreibtisch."
Kollege M.: "Ich weiß einfach nicht mehr, wie ich das alles schaffen soll. Und das Blöde ist: Heute Nachmittag habe ich keine Zeit, da gehe ich mit meinem Sohn wie jeden Donnerstag zum Kinderturnen."
So so. Die Frage, die sich Kollege M. leider nie gestellt hat: In welchen Akademikerberufen kann man eigentlich seinen Kindern regelmäßig nachmittags beim Kinderturnen zuschauen?
Ein letztes Beispiel. Ort des Geschehens: ein Lehrerzimmer. Also dort, wo am meisten gejammert, gestöhnt und gemeckert wird. Lehrerin H., 34, wütete:
"Ich habe neulich mal überschlagen, wie viel ich pro Woche arbeite. Achtzig Stunden. Manchmal sind es nur siebzig Stunden. Aber unter sechzig Stunden sind es nie pro Woche. Und was bekommen wir dafür? Einen Hungerlohn."
Warum so unglücklich?
Ich selbst frage mich seit dem Referendariat: Gibt es wirklich nichts anderes über unseren Beruf zu erzählen? Müssen wir immer bloß davon berichten, wie entsetzlich, schlimm und schrecklich alles ist? Wenn ich solche Stressgeschichten von Kollegen höre, die noch keine drei Jahre lang Lehrer sind, dann habe ich manchmal regelrechte Angst um die Zukunft unseres Berufsstandes. Denn diese Junglehrer haben noch fünfunddreißig Jahre vor sich.
Kurz vor den Zeugnissen, eine zugegeben sehr stressige Zeit, wirkten meine Kollegen nahezu überall auf mich wie Angestellte eines kleinen Betriebs, der Insolvenz angemeldet hat. Der Unterschied: Angestellte in einer solchen Situation haben wirklich Grund zu jammern, zu stöhnen und zu meckern.
Was mich bei all der Jammerei erstaunt: Viele Lehrer sind eigentlich mit großer Leidenschaft Lehrer, viele würden auch im nächsten Leben wieder Lehrer werden, sie lieben ihren Beruf und arbeiten unheimlich gern mit Kindern und Jugendlichen zusammen. Viele setzen sich bis zur Selbstaufgabe für Schüler ein und telefonieren beispielsweise auch sonntags mit Eltern, um über die Noten ihrer Kinder zu sprechen. Wir haben also allen Grund glücklich zu sein.