Lohndumping Geld sparen mit der Sekretärin in Osteuropa

Junge Geschäftsleute: Kröhnert und Barth bieten ausländische Leiharbeiter an
Foto: Markus ProßwitzWie alt seine Assistentin ist, weiß Jakob Ruprecht nicht. Er weiß auch nicht, in welcher Stadt sie wohnt, welche Haarfarbe sie hat, ob sie groß ist oder klein - Ruprecht hat seine Assistentin noch nie gesehen. Sie ist Polin, so viel hat er erfahren. Und sie erledigt genau die Aufgaben, auf die der Marketingberater keine Lust hat. Flugbuchungen zum Beispiel oder eine aufwendige Artikelrecherche. All das macht sie von Polen aus; die Kommunikation läuft über das Internet oder per Telefon.
Denn was bei der Produktion von Jeans, Autoteilen und Fernsehern schon Normalität ist, gilt mittlerweile auch für Sekretärsaufgaben: Sie werden in Billiglohnländer ausgelagert. Dort sitzen "Virtuelle Persönliche Assistenten", von ihren Vermittlern als "VPAs" abgekürzt, die mit ihren weit entfernten Auftraggebern nur elektronisch in Kontakt stehen. In den USA lassen gestresste Kleinunternehmer schon seit längerem Assistenten für sich arbeiten, die in Indien sitzen. Und neuerdings gibt es einen solchen Service auch in Deutschland.
Eine der Firmen, die ausländische Arbeitskraft verkaufen, trägt den verträumten Namen Strandschicht, gegründet von den Hochschulabsolventen Bastian Kröhnert und Simon Barth, beide 23. Sie vermitteln deutschsprachige Assistenten aus Polen und Bulgarien. Die Kunden sollen aufwendige, aber anspruchslose Aufgaben abgeben und stattdessen Zeit für Sport und Familie haben - oder sich eben am Strand aalen, daher der Name der kleinen Unternehmung.
Billiglöhne garantieren allzeit günstige Helfer
Weil Kröhnert und Barth von ihrer Geschäftsidee überzeugt sind, nutzen die Start-up-Gründer ihre "VPAs" auch selbst. "Wir suchen in Bulgarien gerade einen Steuerberater", erzählt Bastian Kröhnert. "Deshalb lassen wir uns von den Assistenten eine Liste mit möglichen Kandidaten aufstellen." Fünf Polen arbeiten derzeit in Teilzeit für Strandschicht, zehn Bulgaren sind über eine Gesellschaft in ihrem Heimatland in Vollzeit angestellt. Die meisten sind um die 25 Jahre alt, viele von ihnen haben Germanistik studiert. Kröhnert sagt, er zahle ihnen "ein landesübliches Gehalt" - und das dürfte niedrig sein. In Polen liegt das Durchschnittseinkommen bei unter 700 Euro im Monat, in Bulgarien bei weniger als 300 Euro.
Eine, die es wissen muss, ist Margarete Kaszub. "Mein Lohn ist vergleichbar mit dem, was ich bei McDonald's verdienen würde", sagt die 29-jährige Polin. Sie hat Deutsch als Fremdsprache studiert, lebt in der Nähe von Breslau - und ist Jakob Ruprechts outgesourcte Sekretärin, von der er nicht einmal den Namen kennt. Für Auftraggeber wie ihn sitzt sie abends und morgens am Computer, tippt Audio-Dateien ab oder sucht im Internet nach Produktdaten.
Zehn bis fünfzehn Stunden kommen in der Woche zusammen, sagt sie, "letzte Woche waren es aber auch mal nur drei". Kaszub sieht die Arbeit als Aushilfsjob, als einen Zuverdienst. Ihr gefalle die Flexibilität. "Ich promoviere in Deutscher Literatur und bin alleinerziehende Mutter. Ich kann also gar nicht tagsüber arbeiten." Zwar hat sie vor Beginn ihrer Promotion nach einer regulären Arbeit gesucht. "Aber da sieht es schwierig aus", sagt Kaszub. Irgendwann einmal will sie an der Universität arbeiten. Bei Strandschicht würde sie dann trotzdem weitermachen. "Der Uni-Job wäre ja sicher keine Vollzeitstelle."
Die Schwiegermutter verkuppeln? Frag doch die ferne Assistenz
Von den schlechten Jobchancen und geringen Lohnkosten in osteuropäischen Ländern profitieren die deutschen Kunden: Sie bekommen gebildete Assistenten, die für ihre Aufgaben überqualifiziert und obendrein noch billig sind. Pro Stunde zahlen die Auftraggeber zehn Euro an die Vermittlerfirma von Kröhnert und Barth. Und wenn die Kundschaft die Leiharbeiter aus dem Osten mehr als zehn Stunden pro Monat nutzen, gibt es einen Euro Rabatt. Wer die Assistenz noch häufigerer nutzt, kann den Preis auf bis zu fünf Euro pro Stunde drücken.
Vor allem Selbständige und Geschäftsführer kleinerer Unternehmen nutzen den Service, sagen die Strandschicht-Gründer. Manche ihrer Wünsche sind dabei durchaus ungewöhnlich. "Einmal sollten wir für einen Kunden eine seriöse Singlebörse für Frauen über 50 suchen", sagt Kröhnert. Der Kunde wollte seine Schwiegermutter verkuppeln - und beauftragte seinen Assistenten als Full-Service-Kuppler. Er sollte der Dame ein Profil erstellen, Kandidaten aussuchen und Treffen vereinbaren.
Auch Marketingberater Jakob Ruprecht nutzt den Service ab und zu für Privates. So etwa, als er einen Geiger suchte, der als Überraschung auf der Hochzeit einer Freundin spielen sollte. "So eine Recherchearbeit würde mich unheimlich viel Zeit kosten", sagt Ruprecht. Seine Assistentin fand und buchte einen Musiker. "Ich weiß natürlich nicht, ob dieser Geiger der günstigste ist, der zu haben war", sagt Ruprecht. "Aber ich würde es merken, wenn mir ein überteuerter Flug angeboten würde. Mittlerweile vertraue ich meiner Assistentin."
Assistent nur bei Bedarf - ganz ohne Grundgebühr und Mindestnutzung
Berater Ruprecht schwärmt regelrecht für Strandschicht: "Ich habe meine Firma erst Anfang des Jahres gegründet. Festes Personal einzustellen macht da keinen Sinn, weil man noch nicht weiß, wie es laufen wird." Fünf bis sieben Mal in der Woche hat er Aufträge; im einem Monat gab er 200 Euro dafür aus. Anders als bei Handy-Verträgen fallen fürs Assistentenmieten weder Grundgebühr noch Mindestnutzung an - Ruprecht zahlt den Service nur dann, wenn er ihn wirklich braucht.
Die Aufträge richtet er direkt an Kröhnert und Barth, die den Job dann an einen geeigneten Assistenten weiterleiten. Das Ergebnis wird von den Jungunternehmern überprüft, bevor es an Ruprecht geht. "Die Qualität war bisher eigentlich immer in Ordnung", sagt der glückliche Kunde. Nur einmal sei er unzufrieden gewesen: Ein Assistent hatte da lediglich von einer Webseite abgeschrieben, anstatt bei dem Unternehmen anzurufen, und Ruprecht fand darum nicht die genauen Ansprechpartner.
Ruprecht beschwerte sich, der Assistent lieferte nach. Mittlerweile wird dem Marketingberater meist Margarete Kaszub zugewiesen. Gerade soll sie ihm neue Büroräume suchen. Dafür hat er eine Excel-Liste mit möglichen Objekten und Exposés in Auftrag gegeben. Natürlich habe er kurz darüber nachgedacht, wie es auf einen Vermieter wirkt, wenn eine Frau mit polnischem Akzent anruft. "Aber eigentlich ist das doch egal", sagt Ruprecht. "Viel wichtiger ist, dass ich mir nicht mehr bei Google den Wolf suchen muss. Ich habe Kopf und Schreibtisch frei - und mehr Zeit für meine Familie."