Maulkorb für Professoren Der Widerspenstigen Lähmung
An der Uni Erfurt befürchtete ein Rechtsprofessor den Abbau seines Faches und suchte die Notbremse. Er schrieb an einen alten Kumpel aus Studienzeiten, inzwischen Minister und Chef der Staatskanzlei in Thüringen, also jemand mit großem politischen Einfluss. Dummerweise landete der Brief auch bei der Hochschulleitung, Die war empört, in einer mündlichen Auseinandersetzung erhob der Uni-Vize den Vorwurf der Illoyalität. Der Professor sah sich in seiner Beamtenehre gekränkt, zog Anfang 2005 vor Gericht - und bekam in diesem Frühjahr Unrecht.
Keine Extratouren, entschied das Verwaltungsgerichts Weimar. Der Beamte habe "das Recht, Anträge und Beschwerden vorzubringen, wobei der Dienstweg einzuhalten ist". Hingegen verbiete es dem Professor die "Flucht in die Öffentlichkeit", zu einem Politiker oder auch an die Presse. Das Gericht erläutert: "Das Verbot folgt aus dem Gebot zu loyalem Verhalten gegenüber dem Dienstherrn und der Pflicht, das Amtsgeheimnis zu wahren." Und wie weit reicht dieses Amtsgeheimnis? Enorm weit: Davon würden "alle verwaltungsinternen Vorgänge umfasst", so die Richter. Für sie scheint der Fall sonnenklar, "Gründe für eine Zulassung der Berufung liegen nicht vor" (Aktenzeichen 4 K 8/05 We).
Eine "krasse Fehlentscheidung" nennt das Michael Hartmer, Geschäftsführer des Deutschen Hochschulverbandes. "Wenn es um Kernbestandteile seiner Aufgabe geht, ist kein Professor zur Linientreue gegenüber der Hochschulleitung verpflichtet. Das ist die Freiheit, die ihn vom Finanzinspektor und die Hochschule vom Finanzamt unterscheidet", erklärt der Jurist von der Berufsvertretung der Universitätsprofessoren. "Zu diesem Kern des Professorenamtes gehört die laufende Studienreform mit der Schaffung oder Abschaffung von Lehrstühlen. In solchen Fragen entscheidet und handelt der Hochschullehrer selbständig."
Ermahnung zum Duckmäusertum
Die Gelehrtenzunft wundert und ärgert sich über das Weimarer Urteil - eine Ermahnung zum Duckmäusertum in schlechter ostdeutscher Tradition. Eine singuläre Entgleisung eines unteren Gerichts ist die umstrittene Entscheidung nicht. Sie passt ganz ins moderne Bild starker Hochschulleitungen mit Alleinvertretungsanspruch, wie etwa Hamburgs Uni-Präsidentin Monika Auweter-Kurtz ihre Rolle interpretiert. In einem Rundschreiben, das schnell als "Maulkorb-Erlass" bekannt wurde, vertrat sie den Standpunkt, die Hochschule müsse unbedingt "einheitlich nach außen" auftreten, gerade "in politisch diskutierten Fragen" wie Studiengebühren, Exzellenz oder Zulassungsbeschränkungen. Eine persönliche Stellungnahme zur Hochschulpolitik könne "dem Ansehen der Universität abträglich sein".
Nachdem heftige Protesten losbrachen, sprach die Hamburger Hochschulleitung nur noch von "Empfehlungen, um die interne Kommunikation zu fördern". Doch die Zielrichtung ist klar: Schweig, Professor, und lass die Uni-Leitung für dich sprechen. Im Weimarer Urteil heißt es: "Werden Vorhaben der Universitätsleitung von Mitarbeitern offen als Fehlentscheidungen oder gar 'Angriffe' bezeichnet und wird versucht, diese Vorhaben durch Einschaltung 'Dritter' zu untergraben, wird damit automatisch auch dem Ruf der Universität geschadet."
Die Wirklichkeit indes folgt selten den beamtenrechtlichen Wohlverhaltensregeln. Der Erlanger Rektor Karl-Dieter Grüske beispielsweise berichtet SPIEGEL ONLINE: "So gut wie bei jeder beabsichtigten Stellenstreichung oder -neueinrichtung, beim Change Management überhaupt, aktivieren Betroffene und Beteiligte heute ihre Netzwerke ganz außerhalb des Dienstweges. Das zeigt sich uns an der Menge von Briefen, die von hochschulfernen, vermeintlich einflussreichen Stellen ins Rektorat flattern."
Alternative: Politikerkneten im Hinterzimmer
Jüngst war das zum Beispiel so bei der Zusammenlegung der Juristischen Fakultät mit den Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlern. Die Opponenten wandten sich hinter dem Rücken des Rektors etwa an den örtlichen Landtagsabgeordneten und bayerischen Innenminister Günther Beckstein (CSU). "Das Abweichen vom Dienstweg ist einfach Usus", erklärt der Rektor. Dagegen repressiv mit dem Beamtenrecht vorzugehen, sei im Einzelfall aufwendig und wirke auf andere kaum abschreckend, so Grüske: "Ich habe das in fünf Jahren nicht einmal versucht."
Alles eine Frage des Führungsstils. "Die Öffentlichkeitsproblematik im Hochschulbereich kann man nicht schlicht nach beamtenrechtlichen Prinzipien entscheiden", winkt Rudolf Summer ab, der "Papst" im deutschen Beamtenrecht. "Hier sollten klare Richtlinien im Hochschulrecht geschaffen werden." Als Beispiel nennt der Rechtsexperte die personelle und technische Ausstattung einer Uniklinik. "Nach Beamtenrecht dürfte der Lehrstuhlinhaber seine Ausstattungswünsche nicht in die Öffentlichkeit tragen. Andererseits erwartet die Öffentlichkeit", der Steuerzahler wie der Krankenversicherte, "über Forschungserfolge unterrichtet zu werden. Wer will es aber dann dem Professor versagen, mit seiner Erfolgsstory auch die Möglichkeiten aufzuzeigen, die er mit noch mehr Stellen hätte?" Gleiches gelte für alle Professorenkollegen von den Ingenieur- bis zu den Rechts- und Geisteswissenschaften.
So weit ist das Hochschul- und Beamtenrecht noch nicht, jedem widerspenstigen Professor könnte ein Urteil wie in Weimar drohen - sofern er sich schriftlich äußert. Rudolf Summer gibt einen anderen Tipp: "Man spricht die Sache im Ortsverband der Regierungspartei an oder in einem Club, in dem die obere Gesellschaftsschicht organisiert ist, wenn man gemeinsam am Tisch sitzt und die Chance besteht, dass Dritte dies nicht ohne weiteres mitbekommen."