Mindestlohn für Praktikanten Und plötzlich bekommt sie das Doppelte

Melina Birken: Praktikantin bei Innogames in Hamburg, in der Cafeteria
Foto: Julia KnopBevor sie in den Feierabend geht, muss Melina Birkner noch Essen bestellen: 240 Mettbrötchen, sechs Kisten Club Mate, 320 Dosen Energydrinks. Jede Menge Futter und Koffeingetränke für die Softwareentwickler, die sich einige Tage später zur "Game Jam" treffen wollen, einer Veranstaltung, bei der sie lange wach bleiben und ein neues Spiel entwickeln sollen.
Birkner, 20, ist Praktikantin der Hamburger Computerspielefirma InnoGames, die das Kreativtreffen organisiert. Sie wird heute noch etwa zwei Stunden an der Vorbereitung der Jam arbeiten, zwei weitere Stunden, die ihr 17 Euro einbringen werden - fast doppelt so viel Geld wie vor ein paar Wochen. In ihren ersten fünf Monaten bei InnoGames bekam sie 880 Euro überwiesen, bis März werden es jetzt aber jeden Monat 1500 Euro sein. "Meine Freunde sind ganz neidisch", sagt Birkner.
Das kräftige Gehaltsplus verdankt die Managementstudentin aus Flensburg dem neuen Mindestlohngesetz. Praktikanten bekommen seit dem 1. Januar mindestens 8,50 Euro pro Stunde, wenn sie länger als drei Monate im Unternehmen bleiben und es kein Pflichtbestandteil ihres Studiengangs ist.
Kein Geld für fleißige Hilfskräfte, oder?
"Das Praktikum ist tot", schimpfte etwa Florian Haller, Chef der Werbeagentur Serviceplan, als das Gesetz vorgeschlagen wurde. Die neue Regelung richte nicht nur Schaden für die Wirtschaft, sondern auch für den Nachwuchs an. Die meisten Praktikantenstellen würden einfach gestrichen, hieß es.

Ausgabe 1/2015
Am Ende einer Nacht
Die bizarre Geschichte zweier Studenten, die ein wertvolles Bild gestohlen haben
Es sah daher nach düsteren Zeiten für Berufseinsteiger aus, denn ohne lange Praktika weniger Praxiserfahrungen - und damit schwindende Chancen auf einen reibungslosen Jobeinstieg. Mittlerweile deutet einiges darauf hin, dass es so schlimm nicht kommen wird. Das Praktikum lebt noch, und es scheint, als wolle und könne die deutsche Wirtschaft auf die fleißigen Helfer von der Uni nicht so recht verzichten.
Von den Dax-Konzernen etwa, den 30 wichtigsten deutschen Börsenunternehmen, plant kein einziges, weniger Praktika für Studenten und Schüler anzubieten. Allein das Chemieunternehmen BASF will Praktika auf drei Monate beschränken - und Adidas möchte verstärkt Pflichtpraktikanten einstellen. Die meisten Firmen nehmen den Mindestlohn aber hin. Wohl auch deswegen, weil sie Nachwuchssorgen haben und talentierte Jungakademiker gern frühzeitig ans Unternehmen binden wollen.
Große Unternehmen können, kleine nicht
Am lautesten beschwerte sich im vergangenen Sommer die ewig klamme Kreativbranche. Auch bei InnoGames murrte man. Doch statt einen neuen, günstigeren Praktikanten einzustellen, bot man Melina Birkner nun an, ihren Vertrag trotz Einführung des Mindestlohns zu verlängern. Die Studentin habe sich eben "super eingearbeitet", sagt Firmensprecher Dennis Heinert. In ihrer bisherigen Zeit bei InnoGames sorgte Birkner sogar für eine kulinarische Revolution: Sie organisierte, dass die Mitarbeiter in der Kantine nun auch vegane Kost bekommen.
Aber nicht alle Unternehmen können Praktikanten 1500 Euro pro Monat zahlen. Eines davon ist das Hamburger Thalia Theater. Zwar will die zweitgrößte Schauspielbühne der Stadt wie bislang pro Spielzeit bis zu 200 Praktikanten aufnehmen. Allerdings dürfen die jungen Helfer jetzt nur noch maximal drei Monate arbeiten.
Ein Praktikum wie das von Jara Schmidt wäre im Thalia deswegen heute nicht mehr möglich. Die 30-Jährige hatte schon ihr Anglistikstudium abgeschlossen, als sie Ende 2012 in der Pressestelle des Theaters als Praktikantin anfing. Fünf Monate lang textete sie Newsletter, gestaltete Flyer und übersetzte Programme für die alljährlichen Lessing-Tage. Drei Premieren erlebte Schmidt in der Zeit mit, sie sah Inszenierungen und Bühnenbilder entstehen. "Ich habe gern im Thalia gearbeitet", sagt sie heute. "Aber ein angemessenes Gehalt wäre schön gewesen." Wie viel genau sie verdient hat, möchte sie nicht sagen. Nur, dass sie ihren Praktikantenlohn mit Arbeitslosengeld II aufstocken musste.
Ohne Übernahmechancen reichen drei Monate
Hätte sie viel verpasst, wenn sie nur drei Monate im Haus gewesen wäre? Sie zweifelt daran. Zwar sei es spannend gewesen, die Entwicklung einer Theaterproduktion über mehrere Monate zu verfolgen. Aber eigentlich hatte sie auch nach drei Monaten einen guten Einblick in das Tagesgeschäft bekommen. Außerdem bekam sie trotz ihres langen Gastspiels am Thalia Theater keine Stelle angeboten. So gesehen wäre in ihrem Fall ein nur dreimonatiges Praktikum sogar besser gewesen. Sie hätte die anderen Monate dann nutzen können, um Kontakte zu Unternehmen zu knüpfen, die Praktikanten bessere Übernahmechancen bieten.