
Mutter mit Minijob: "Ich war zu naiv"
Vier Kinder, keine Ausbildung, viele Ambitionen "Mein Dilemma als Frau"
Es ist kurz vor zwölf Uhr mittags, Madita trägt eine rot-weiß-karierte Schürze, so wie ihre Mama. Die Zweijährige sitzt mit nackten Füßen auf der Küchenanrichte aus Holz, zwischen Gasherd und dem Brett, auf dem Theresa, 29, gerade Zwiebeln für Spaghetti Bolognese hackt.
Madita wirft Zwiebelstücke in die heiße Pfanne und schüttet Tomaten aus der Dose hinterher. Soße geht daneben, sie patscht mit den Händen rein, in dem Moment klingelt es an der Tür. "Ah, das ist der Alex. Und Madita, wenn ich einmal nicht auf dich gucke", sagt Theresa ruhig und lächelt.
Alex, acht Jahre, kommt gerade aus der Schule. Auf dem Heimweg hat ihm eine Nachbarin eine Gurke und Eier mitgegeben, die sie für die Familie vom Einkauf auf dem Bauernhof mitgebracht hat. "Mama, ich wollte Max abholen, du hast mir gar nicht gesagt, dass er heute nicht im Kindergarten ist." Max, 5, ist zu einem Nachbarsjungen zum Spielen gegangen, wo genau er gerade ist, weiß Theresa nicht, aber es wird schon alles okay sein. "Wir haben eine gute Nachbarschaft, ich lasse die Kinder immer allein raus, nur Madita noch nicht", sagt sie.

Theresa und Tochter Madita in der Küche
Foto: Yvonne SeidelAuch in die Kita soll Madita erst mit drei, "sie ist ja noch so klein", findet Theresa. Und: "Meine Mutter war mit mir und meinen fünf Brüdern auch zu Hause, und wir hatten eine tolle Kindheit in Bayern auf dem Dorf, wie in Bullerbü." Nach dem Mittagessen legt sie die Kleine zum Mittagsschlaf hin, dann kommt Nadine, 10, aus der Schule, die beiden Großen machen Hausaufgaben. Danach gehen sie immer alle raus, es sei denn, es regnet in Strömen in ihrem Ort nahe Stuttgart. Theresa trifft andere Mütter, selten sind es Väter, aus der Nachbarschaft, die Kinder spielen.
Um 18 Uhr sind sie wieder zu Hause, sie bereitet das Abendessen vor, ihr Mann Daniel kommt heim, er bringt die Kleinen ins Bett, sie räumt auf, kocht vielleicht etwas für den nächsten Tag vor. Wenn es gut läuft, geht sie mit einer befreundeten Nachbarin kurz joggen, wenn es nicht gut läuft, weint sie, vor Erschöpfung und Frust. Ab 21.30 Uhr schaut sie in einen Film rein oder liest etwas - bis sie gegen 22 Uhr völlig fertig einschläft. Um fünf Uhr am nächsten Morgen bekommt Madita ein Fläschchen, um 6.10 Uhr klingelt der Wecker. Sie steht auf, macht Frühstück, weckt die Kinder. Daniel verlässt gegen sieben Uhr das Haus.
Wenn die Großen in der Schule sind und sie Max in die Waldorf-Kita gegenüber gebracht hat, wirbelt Theresa ab acht Uhr durch die 100 Quadratmeter große Vier-Zimmer-Wohnung: aufräumen, Wäsche waschen, Madita im Blick behalten. Meist hat sie bis dahin noch nicht mal einen Kaffee getrunken. Um neun Uhr kommen an drei Vormittagen in der Woche zwei weitere zweijährige Mädchen, die sie als Tagesmutter betreut.

Nadine und Alex im Wohnzimmer der Familie
Foto: Yvonne SeidelEinmal pro Woche geht sie spätabends ins Krankenhaus um die Ecke, wo sie vor Jahren eine Ausbildung zur Krankenschwester begonnen hatte, um Wartesemester fürs Medizinstudium zu sammeln. Heute schiebt sie dort Nachtdienste am Empfang, die 450 Euro sind wichtig für die Familie.
Es ist nicht das Leben, das sich Theresa vorgestellt hatte, als sie vor zehn Jahren Abitur machte und Gynäkologin oder Kinderärztin werden wollte. Und es ist nicht das Leben, das sie ihrer kleinen Madita wünscht: "Ich hoffe, dass sie den Beruf machen kann, der sie glücklich macht. Und dass sie mit ihrer Familie ohne Rollenvorstellungen einen Alltag lebt, in dem sich alle verwirklichen können." Natürlich, diese Wünsche sind ihre eigenen Träume. "Ich finde es toll, dass die Gesellschaft in vielen Bereichen offener und vielseitiger wird", sagt sie, "aber mein Dilemma als Frau habe ich immer noch."

Theresa mit drei ihrer vier Kinder auf dem Spielplatz
Foto: Yvonne SeidelTheresa hat, in verschärfter Form, ein Problem, das viele Frauen spüren: sich entscheiden zu müssen. Zwischen Rabenmutter und Hausfrau. Der Soziologe Carsten Wippermann befragte im Frühjahr 2015 mehr als tausend 18- bis 40-Jährige und fand heraus: Männer und Frauen sind in Deutschland zwar seit 1949 laut Verfassung gleichberechtigt - doch sind sie "in verschiedener Hinsicht real nicht gleichgestellt". So lasse sich über alle Gesellschaftsgruppen hinweg beobachten: "Sobald Kinder ins Spiel kommen, setzt häufig eine Retraditionalisierung der Geschlechterrollen ein." Und das, obwohl Frauen in Studien immer wieder angeben, dass sie ihre Erwerbstätigkeit gern erhöhen würden - und Männer ihre häufig gern reduzieren. So wie Daniel und Theresa.
Warum fühlt sich Theresa trotzdem gefangen in der klassischen Hausfrauen- und Mutterrolle, in einem Modell, von dem viele Großstädter und Politiker glauben, es sei seit Jahrzehnten passé? Es gibt mehrere Antworten darauf, persönliche, gesellschaftliche, politische.
Die persönliche lautet: Theresa hat viele Ideale, Ansprüche und Wünsche. Da ist zum einen das familiäre Erbe: "Ich komme aus einer Ökofamilie mit vielen Kindern, in der Bildung wichtig war. Mein Vater ist Lehrer, und es war eigentlich immer klar, dass ich mal studiere." So wie all ihre Brüder. "Das nagt an mir und meinem Selbstbewusstsein", sagt sie. Gleichzeitig war ihr immer klar: Sie möchte vier Kinder haben und früh Mutter werden.
Und dann sind da noch die Dinge im Leben, die sich nicht planen lassen. Als Theresa Anfang 20 ist, lernt sie beim Roten Kreuz ihren Mann Daniel kennen. Er bringt Nadine und Alex, damals vier und zwei Jahre alt, mit in die Beziehung. Sie steckt in der Ausbildung zur Krankenschwester, er arbeitet im Rettungsdienst, die Kinder gehen in die Kita. "Wir arbeiteten in Gegenschichten, gaben uns nur die Klinke in die Hand, das ging nicht lange gut", sagt Theresa. Schon damals kümmert sie sich um die beiden Kinder, als wären es ihre eigenen.

Alex' Hausaufgaben
Foto: Yvonne SeidelDann: Sie wird schwanger mit Max, bricht die Ausbildung ab, bleibt zu Hause, wird schwanger mit Madita. Daniel, 36, holt in diesen Jahren sein Abi nach, studiert und beginnt seine Vollzeitstelle als Ingenieur im Straßenbau. "Heute finde ich es oft ungerecht, dass mein Mann das alles machen konnte", sagt Theresa. Und: "Ich war zu naiv."
Dann sind da noch die gesellschaftlichen Erwartungen - oder sind es doch die eigenen? "Ich bin keine Helikoptermutter, aber ich habe Angst, eine schlechte Mutter zu sein, wenn ich nicht zu Hause bin", sagt Theresa. "Wenn ich davon spreche, dass ich arbeiten will, sagen meine Eltern: 'Überlaste dich nicht. Halte lieber deinem Mann den Rücken frei und sei für die Kinder da.'"
Und Theresa ist da: Die Kinder lernen Instrumente, Geige, Querflöte, Fagott, sie gehen zum Sport und wenn nötig zur Lernförderung. Einen Fernseher hat die Familie nicht, das heißt für die Mutter: "Im Winter oder bei schlechtem Wetter muss ich mir immer etwas überlegen." Auch gute Schulleistungen sind ihr wichtig, genau wie Umweltschutz, Nachbarschaftshilfe, gesellschaftliches Engagement, und dass ihr Gemüse und ihr Fleisch bio sind.

Theresa und Daniel R.
Foto: Yvonne SeidelWie wäre es, wenn sie und ihr Mann die Rollen tauschten? "Mein Mann wäre gern mehr zu Hause. Aber ständig allein mit den Kindern? Nein, da wäre er nicht glücklich. Außerdem würde das Chaos ausbrechen", sagt sie. Auch er sagt: "Dafür reichen meine Nerven nicht. Ich genieße die Ruhe, wenn ich montags wieder zur Arbeit komme." Und überhaupt, wie soll das finanziell gehen? Geld sei, so Daniel, ihr größtes Problem. Es reicht immer gerade so.
Theresa lebt total konservativ. Der einzige Unterschied zu vor 50 Jahren: Es gibt mehr Möglichkeiten. Sie kann immer noch eine Ausbildung, ein Studium, eine Karriere machen. Auch in ein paar Jahren. Und ihr Wunschtraum ist modern: "Ich studiere oder mache die Ausbildung, mein Mann arbeitet flexibel in Teilzeit, auch mal von zu Hause aus - und hat trotzdem die Chance auf eine Führungsposition. Wir bekommen finanzielle Unterstützung für die Kinder, und es gibt eine kostenlose flexible Betreuung auch am Nachmittag."
Die Realität: Würde sie ihre abgebrochene Ausbildung fortsetzen, hätten sie weniger Geld als jetzt, weil sie mehr Betreuung bräuchten. Sie müssten umziehen, weil das Krankenhaus im Ort nur Vollzeit-Ausbildungen anbietet, 40 Stunden im Schichtdienst. Doch jede neue Wohnung wäre teurer, und ihr soziales Nachbarschaftsnetz wäre weg.
Immer mehr Frauen in Deutschland sind berufstätig. Doch laut einer neuen Studie tragen sie so wenig zum Haushaltseinkommen bei wie in keinem anderen europäischen OECD-Land.
Wen wird sie wählen bei der Bundestagswahl? "Tja", sagt Theresa. "So richtig hat keine Partei etwas für Frauen wie mich im Angebot." Nicht mehr. Beziehungsweise: Das, was die Familie für ihr Ideal-Leben bräuchte, kommt von der Politik erst jetzt, langsam. Die SPD will das Ehegattensplitting abschaffen und belohnen, wenn beide Partner in Teilzeit arbeiten. Selbst die CDU-nahe Konrad-Adenauer-Stiftung erklärte kürzlich das "Zweiverdienermodell" zum neuen Leitbild.
Bisher habe sie "immer brav grün gewählt", sagt Theresa. Deren Idee einer Kindergrundsicherung findet sie super. "Noch besser wäre für mich aber so etwas wie die Herdprämie." Denn: Hausfrauen drohen im Falle einer Scheidung finanzielle Desaster und Altersarmut. "Aber deswegen kann ich nicht nach Bayern ziehen und CSU wählen. Und außerdem: Was für ein Bild steht dahinter?"
Ja, das Bild. Das macht Theresa auch zu schaffen. "Die Prägung macht ja so viel aus", sagt sie und schaut ihre zweijährige Tochter an. "Und was lebe ich ihr vor?"