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Obskure Personalauswahl Gescheitert am Schädeldeuter

Kassiert der Jobbewerber eine Absage, kann es an seinen Ohrläppchen liegen. Oder am Sternzeichen oder der Handschrift: Manche Firmen setzen auf die sonderbarsten Methoden. Ein Psychologieprofessor hat die Scharlatanerie bei der Personalauswahl untersucht - im Interview verrät er die absurdesten Methoden.
Bewerber, zeig her deinen Schädel: "Simple Taschenspielertricks"

Bewerber, zeig her deinen Schädel: "Simple Taschenspielertricks"

Foto: Corbis

SPIEGEL ONLINE: In Ihrem Buch "Schädeldeuter und andere Scharlatane" schreiben Sie über unseriöse Methoden, die auch bei der Personalauswahl eine Rolle spielen. Wie häufig kommt das vor?

Uwe Peter Kanning: Konkrete Zahlen gibt es natürlich nicht. Wer gibt schon zu, dass er seine Mitarbeiter mit Hilfe von Schädeldeuterei, Astrologie oder Graphologie auswählt? Aber es gibt Belege, dass auch renommierte Konzerne auf unwissenschaftliche Methoden setzen. Laut einer Schätzung des Diagnostikexperten und Psychologieprofessors Heinz Schuler von 2007 greifen immerhin 2,4 Prozent der deutschen Unternehmen bei der Personalauswahl auf die Graphologie zurück. Da sich stets mehrere Kandidaten auf eine Stelle bewerben, betrifft allein schon das ein paar Tausend Menschen. Noch größer dürfte die Dunkelziffer bei der Astrologie sein, die ja tief in unserer Gesellschaft verankert ist. Nur wird kaum ein Personalmanager offen sagen, dass er einem Kandidaten wegen eines falschen Sternzeichens absagt.

SPIEGEL ONLINE: Was verbirgt sich hinter der Schädeldeuterei?

Kanning: Die sogenannte Psycho-Physiognomik behauptet, anhand der Schädelform, der Gesichtszüge, der Form von Nase und Ohren Aussagen über die Persönlichkeit machen zu können. Zurück geht das unter anderem auf Franz Joseph Gall, der Anfang des 19. Jahrhunderts die Phrenologie begründete: Demnach ist jeder Eigenschaft eines Menschen ein bestimmtes Hirnareal zugewiesen und dieses umso größer, je stärker die Eigenschaft ausgeprägt ist. Deshalb - so Galls Theorie - drückt das Hirn an der Stelle von innen gegen den Schädel und verursacht eine Auswölbung. Und daran will der kundige Schädeldeuter die Persönlichkeit eines Menschen erkennen können. Das ist natürlich kompletter Blödsinn, schon allein physikalisch - wie soll das Hirn den Schädelknochen verformen? Zudem weiß man heute, dass das Hirn in Netzwerkstrukturen funktioniert. Später hat Carl Huter, der als eigentlicher Gründer der Psycho-Physiognomik gilt, seine eigene Theorie dazu entwickelt.

SPIEGEL ONLINE: Und wer verbreitet heute im Personalbereich so einen Mumpitz?

Kanning: Da gibt es etliche Vertreter. Eine der schillerndsten Figuren ist der gelernte Autolackierer Dirk Schneemann, der nach eigenen Angaben renommierte Firmen zu seinen Kunden zählt. Beim TÜV Rheinland hatte er vor ein paar Jahren sogar eine Ausbildung zum zertifizierten Referenten für Psycho-Physiognomik angeboten. Heute betreibt Schneemann eine Personalberatung und beschäftigt sich mit der Auswahl von Topmanagern. Daneben gibt es alle möglichen Schädel-Experten. Anfang des Jahres hatte sogar die Industrie- und Handelskammer München ein Seminar zur Psycho-Physiognomik für Führungskräfte und Personalmanager angeboten, das dann zum Glück wieder abgesagt wurde. Da sollten sie lernen, wie sie die Potentiale ihrer Mitarbeiter erkennen. Die Schädeldeuterei befindet sich also im Aufwind.

Bewerbungs-Blendwerk

SPIEGEL ONLINE: Wie erklären Sie sich das?

Kanning: Da spielen die Medien eine wichtige Rolle. Wenn selbst renommierte Wirtschaftsmagazine völlig unkritisch darüber berichten, tritt der Häufigkeits-Validitäts-Effekt auf: Je öfter ich etwas lese, desto wahrer erscheint es mir. Da kippen auch anfängliche Skeptiker manchmal um. Hinzu kommt die Wirkung großer Firmennamen.

SPIEGEL ONLINE: Lassen sich qualifizierte Personalmanager wirklich so leicht beeindrucken?

Kanning: Leider ja. Wenn ich das nicht selbst erlebt hätte, würde ich es vielleicht auch nicht glauben. Vor einigen Jahren war ich als Mitarbeiter der Uni Münster bei einem internationalen Konzern, der Berater eingeladen hatte, um Einstellungsgespräche für Hochschulabsolventen zu verbessern. Auch Herr Schneemann präsentierte dort seine Methode - so bizarr, dass ich erst dachte, ich bin bei einer Sendung mit versteckter Kamera.

SPIEGEL ONLINE: Gab es praktische Übungen zur Schädeldeutung?

Kanning: Schneemann fing sofort an, die Personalmanager zu deuten. Er sagte zum Beispiel sinngemäß: Ich erkenne am Abstand ihrer Augen, dass es Ihnen wichtig ist, etwas in Ihrem Leben zu leisten und ein positives Verhältnis zu Ihren Mitarbeitern zu haben. Das sind positive und so allgemeine Aussagen, dass die meisten natürlich zustimmen. In der Psychologie kennt man das als Forer-Effekt: Gibt man Menschen eine abstrakte Rückmeldung, dann finden sich viele wieder und sagen, ja genau, das bin ich. Keiner der akademisch gebildeten Personalmanager war in der Lage, solche simplen Taschenspielertricks zu durchschauen. Schneemann hat sich auch der sogenannten Ex-Post-Facto-Deutung bedient. Als es um Kosten ging, sagte er zu mir: "Herr Kanning, das habe ich doch gleich an ihren großen Ohrläppchen gesehen, Sie sind geschäftstüchtig." Auch das hat die Personaler schwer beeindruckt. Es war erschütternd. Man darf sich nicht darauf verlassen, dass in Konzernen nur professionelle Personalarbeit betrieben wird.

SPIEGEL ONLINE: Funktioniert das bei der Astrologie und Graphologie genauso?

Kanning: Astrologen sind im direkten Analysegespräch oft sehr geschickt. Sie machen eine widersprüchliche Aussage, beobachten die Reaktion ihres Kunden und passen ihre Aussagen dann an. Hunderte von Studien widerlegen die Aussagekraft der Astrologie - wie auch der Graphologie, die behauptet, man könne aus der Handschrift auf die Persönlichkeit schließen oder gar eine Prognose über den beruflichen Erfolg abgeben.

SPIEGEL ONLINE: Sie sprechen von einer bizarren und leicht durchschaubaren Traumwelt der pseudowissenschaftlichen Diagnostik, von Scharlatanen. Aber warum haben diese Scharlatane dennoch so viel Erfolg?

Kanning: Alle Pseudowissenschaften bieten schnelle Lösungen an und versprechen, dass der Bewerber das Ergebnis nicht manipulieren könne, was ja bei einem Vorstellungsgespräch - wenn auch nur begrenzt - möglich ist. Seinen Schädel oder sein Sternbild kann keiner verfälschen. Das klingt für viele Personaler sehr attraktiv, sie suchen so etwas wie eine geheime Formel, mit der sie Menschen durchschauen können. Dabei verweisen die Scharlatane gern auf Jahrtausende altes Erfahrungswissen. Auch das kommt oft gut an: Wenn's schon die alten Chinesen oder Griechen wussten, kann es ja so falsch nicht sein. Denkt man das allerdings konsequent zu Ende, dann müssten wir ja heute auch noch zu den Göttern beten, um nicht vom Blitz erschlagen zu werden.

SPIEGEL ONLINE: In einem Kapitel Ihres Buches geht es um Körpersprache - dazu gibt es doch viele seriöse wissenschaftliche Studien. Warum ist denn das nun fauler Zauber?

Kanning: Es gibt in der Tat viel Forschung dazu, wie Menschen auf uns wirken. Nur das darf man nicht damit verwechseln, wie Menschen sind. Genau das macht Samy Molcho, der große Guru der Körpersprache. Er behauptet zu wissen, wie die Menschen sind, jeder einzelne Finger hat da seine Bedeutung. Das ist zwar unterhaltsam, aber wissenschaftlich nicht haltbar. Jeder Schauspieler lernt, mit seiner Körpersprache einen bestimmten Effekt zu bewirken - und verändert damit doch nicht seine Persönlichkeit. Wenn man überlegt, wie viele Kommunikationstrainer sich auf Molchos wilde Interpretationen beziehen und wie viele Personalmanager damit vertraut sind, kann man davon ausgehen, dass auch bei der Bewerberauswahl oft wüst herum interpretiert wird. Geht ein Bewerber betont aufrecht, dann gilt er als selbstbewusst. Aber in Wirklichkeit wirkt er ja nur so und hat nicht plötzlich eine andere Persönlichkeit, wenn er geduckt zur Tür reinkommt.

SPIEGEL ONLINE: Wie können Bewerber auf Personaler-Hokuspokus reagieren?

Kanning: Bei der Körpersprache könnte ich natürlich die Schwäche der Gegenseite nutzen, mich mit den Interpretationen von Samy Molcho beschäftigen und entsprechend auftreten. Bei der Graphologie sollte man sich einfach zu schade sein. Wenn ein Unternehmen handschriftliche Unterlagen anfordert, sollte man sich nicht dort bewerben. In meinen Augen ist die graphologische Analyse unseriös, wer weiß, was so eine Firma sonst noch alles macht. Da würde ich mir auch von Hochschulabsolventen Selbstbewusstsein wünschen. Fatal ist es bei der Schädeldeuterei oder der Astrologie: Davon wissen die Bewerber in der Regel nichts und können sich auch nicht dagegen wehren.

Das Interview führte Bärbel Schwertfeger
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