Veröffentlichte Abschlussarbeiten Fette Fehler? Schlechte Note? Egal!

OmniScriptum-Verlag: Quantität vor Qualität
Thomas C. hatte im Januar 2014 gerade sein Studium beendet, als er eine überraschende E-Mail bekam. Ob er seine Masterarbeit veröffentlichen wolle, wurde er darin gefragt. Er werde auch an den Verkaufserlösen beteiligt. C., der in Salzburg Medieninformatik studiert hatte, wunderte sich zwar über die Anfrage des AV Akademikerverlages, denn massentauglich schien ihm seine Arbeit nicht gerade zu sein: Er hatte 50 Seiten darüber verfasst, wie Gemeinden und Kommunen mit statistischen Daten umgehen.
Gleichzeitig fühlte er sich aber auch geschmeichelt und erzählte seinen ehemaligen Kommilitonen von dem verlockenden Angebot. Dabei machte er eine ernüchternde Feststellung: Fast alle aus seinem Jahrgang hatten eine solche Anfrage erhalten. Für den 29 Jahre alten Freiberufler war das ein guter Grund, den Deal abzulehnen.
Er und die anderen Jungakademiker hatten Bekanntschaft mit einer Firma gemacht, die kaum jemand kennt, aber nach eigener Aussage der Verlag mit dem weltweit größten Buchprogramm ist. Die Firma heißt OmniScriptum und ist die Mutter des AV Akademikerverlages sowie etwa 50 weiterer Ableger. Das Geschäftsmodell des Riesen ist simpel und unterschiedet ihn von den meisten Unternehmen seiner Branche. Es lautet: Quantität vor Qualität.
"Sicherlich mehr als 100.000" potenzielle Autoren schreibe OmniScriptum jährlich an, sagt Wolfgang P. Müller, Gründer und Alleingesellschafter der Unternehmensgruppe. Nicht alle machten mit, aber die Quote ist so hoch, dass es kein Verlag der Welt auf mehr Neuerscheinungen bringt: Zwischen 30.000 und 35.000 Buchtitel veröffentlicht OmniScriptum pro Jahr, davon etwa 80 Prozent in der akademischen Sparte.

Ausgabe 2/2015
Gianis und die Groupies
Warum griechische Studenten Professor Varoufakis lieben
Diese Bücher, die hinterher über Buchhändler als Fachliteratur zu Preisen zwischen 10 und 250 Euro verkauft werden, sind: schnöde Bachelor-, Master- und Doktorarbeiten. Ganz gleich, aus welchem Fachgebiet sie stammen, mit welcher Note sie bewertet wurden, ob sie vor Rechtschreibfehlern oder gar inhaltlichen Mängeln strotzen - der Verlag hat Interesse daran. Er lektoriert und korrigiert nichts. Egal, ob fette Fehler drin stehen - Hauptsache, das Buch ist erst mal im Programm.
Dieses Geschäftsmodell, das unweigerlich Tausende enttäuschte Leser produzieren muss, nennt Müller "überaus erfolgreich": 1,6 Millionen Bücher seien so im vergangenen Jahr verkauft worden. Das lohnt sich für OmniScriptum, dessen Gewinne im Millionenbereich liegen.
Damit der Geldstrom nicht abreißt, suchen die Verlagsmitarbeiter laut eigener Aussage auf Facebook, Xing oder den Internetseiten der Hochschulen nach Nachwuchsautoren. Dabei beschränkt sich die Gruppe längst nicht nur auf Deutschland. Auch für englisch-, französisch- und spanischsprachige Autoren hat OmniScriptum eigene Verlage, ebenso wie für den chinesischen Markt. Zudem werden unter anderem Büros auf Mauritius, in Malaysia und Moldawien unterhalten. Die meisten Autoren kommen aus den USA, Russland und China.
Wer einwilligt, seine akademischen Arbeiten zu veröffentlichen, überträgt dem Verlag für drei Jahre kostenlos die Exklusivrechte. Doch erst, wenn jemand das Buch zum Beispiel über Amazon bestellt, wird es gedruckt und lohnt sich für den Akademikerverlag: Dann bekommt die Firma einen Anteil vom Erlös, "in der Regel 55 bis 65 Prozent", sagt Müller. Bei einem solchen Modell lohnt es sich bereits, wenn nur Mama, Papa und Oma ordern. Wer zum Beispiel sollte sich auch ansonsten ernsthaft für eine Bachelorarbeit für 23,90 Euro interessieren, die folgenden Titel trägt: "Die kleine Organschaftsreform und ihre großen Auswirkungen: Eine Darstellung der wichtigsten Änderungen der ertragsteuerlichen Organschaft und ihre Auswirkungen."
Aggressive E-Mails mit Kaufaufforderungen
Die Autoren selbst erhalten pro verkauftem Buch zwar einige Prozent des Verlagserlöses, ausgezahlt wird Geld aber nur, wenn das Werk pro Monat durchschnittlich 50 Euro einspielt - wenn es weniger ist, bekommt der Autor sein Honorar nur als Büchergutschein und darf sich etwas aus dem reichhaltigen und im Grunde bizarren Onlineshop des Verlags aussuchen.
Damit die Einnahmen stimmen, übt zumindest ein amerikanischer Ableger des OmniScriptum-Verlags Druck auf seine Autoren aus. Das schreibt der US-Journalist Joseph Stromberg, der eine von ihm angefertigte Arbeit bei LAP Lambert Academic Publishing veröffentlichte. Als er sein eigenes Werk nicht in Buchform kaufen wollte, erhielt er von LAP aggressive E-Mails mit dringenden Kaufaufforderungen. Schließlich erwarb er ein Exemplar - und bekam noch einmal einen eindrucksvollen Beweis für die kuriose Methode, nach der OmniScriptum arbeitet. Auf Seite 86 stand nämlich immer noch ein Satz, den Stromberg vor Manuskript-Abgabe untergebracht hatte: "Liest irgendein Korrektor dieses Buch, bevor es gedruckt wird? Ich glaube nicht."
OmniScriptum-Gesellschafter Müller ficht das alles nicht an - in Wahrheit brauche der Buchhandel viel mehr Revolutionäre wie seinen Verlag. Dass Doktoranden die Veröffentlichung ihrer Dissertation selbst bezahlen und Uni-Bibliotheken hochpreisige Abos mit wissenschaftlichen Zeitschriften abschließen müssen, hält er für mehr als überholt. Genau wie es nur "journalistische Arroganz" sei, dass die OmniScriptum-Gruppe immer wieder für eine ihrer anderen Buchreihen kritisiert wird: Der Verlag bringt auch Wikipedia-Einträge als kostenpflichtige Bücher heraus.
Aus dem Verkehr ziehen, anstatt in den Kreislauf einzuspeisen
Bei Professoren hat der Buchriese keinen guten Ruf. "Veröffentlicht nicht bei diesem deutschen Verlag", rät zum Beispiel Jonathan Sterne seinen Studenten. "Es wird eurer Karriere nicht helfen, es wird Auswahlkommissionen nicht beeindrucken, und es wird nicht von euren Kommilitonen gelesen werden." Sterne ist Professor an der McGill University in Montreal in Kanada und hat auch in den USA gelehrt.
Sterne kann sich an keinen einzigen Fall erinnern, in dem eine Veröffentlichung bei OmniScriptum einem jungen Wissenschaftler in irgendeiner Form genutzt hätte. Der Verlag werde weder als Quelle zitiert noch in Literaturverzeichnissen oder Lehrplänen auftauchen. Mit einer Veröffentlichung bei OmniScriptum würden Studenten ihre Arbeiten vielmehr entwerten und verhindern, dass diese einen "normalen" wissenschaftlichen Publikationsprozess durchlaufen - inklusive Korrektur und Verbesserungen.
Verlage wie OmniScriptum hätten keine intellektuelle Integrität, und sie zögen Arbeiten aus dem Verkehr, anstatt sie in den Kreislauf einzuspeisen - was der Sinn einer Veröffentlichung sei. Wer in so einem Verlag publiziere, warnt Sterne, der schade seiner Arbeit: Er schicke sie "auf einen akademischen Friedhof".