
Partystadt Ramallah: Tanz den NGO-Praktikant
Party-Feeling im Krisengebiet Disco Ramallah
Die Bässe wummern, Zigarettenqualm und Schweiß hängen in der Luft. Dicht an dicht stehen die Partygänger im "Andarin Club". Palästinenserinnen sind nicht darunter, dafür zucken auf der überfüllten Tanzfläche Schwedinnen, Deutsche und Amerikanerinnen im Takt von R'n'B, umschwärmt von jungen palästinensischen Männern.
Rund um die Tanzfläche sitzen an kleinen Holztischen Praktikanten unterschiedlichster Hilfsorganisationen, politischer Parteien und Regierungen. Von Adenauer bis Heinrich Böll, beinahe jede Stiftung hat hier ihre jugendlichen Vertreter, sie quatschen und lachen mit Mitarbeitern der dänischen Botschaft und des französischen Kulturcenters. Zum Look der internationalen Kurzzeithelfer gehört bei fast allen: ein schwarz-weiß gemusterter "Palischal" und eine Kippe in der Hand.
"Und für welche Organisation arbeitest du so?" Bei kaum einem Bier an der Bar oder einem Gang zur Toilette entgeht man der Party-Standardfrage. "Es ist wahrscheinlicher, einen Stoßtrupp betrunkener Schweden als ein Mädchen aus Ramallah in den Clubs hier zu treffen", sagt der Palästinenser Alla' Hilu, 29, und hebt sein Bier prostend in die Luft. "Welcome to Ramallah."
Wein und Schnaps vom Christen, Joints an der Straßenecke
Sieben Stockwerke weiter unten vor dem Club sind die Straßen im Zentrum Ramallahs fast menschenleer. Nur ein paar einheimische Jugendliche sitzen vor einer Imbissbude. Wer nach Mitternacht noch unterwegs ist, ist jung und männlich. Oder eine sogenannte "Internationale". Ein Falafel-Sandwich in der Hand laufen drei Mädchen die Straße entlang. Ein Auto mit drei jungen Palästinensern fährt langsam neben ihnen her. "Hey baby, where are you from?", rufen die Jungs aus den offenen Fenstern.
Mehr als tausend Nichtregierungsorganisationen tummeln sich nach Schätzungen des proisraelischen Jerusalemer Thinktanks "NGO-Monitor" im Westjordanland. Und das auf 5655 Quadratkilometern, einer Fläche nicht einmal ein Viertel von Rheinland-Pfalz. Das NGO-Mapping-Project von 2007 listet in seiner Statistik 1196 NGO, die meisten haben ihr Büro in Ramallah.
Die jungen "Internationalen" kaufen Wein, Bier und Schnaps in einem der wenigen christlichen und damit mit Alkohollizenz ausgestatteten Supermärkte und schleppen ihre Einkäufe oft auf Privatpartys - wie an diesem Abend in die Wohnung einer französischen Praktikantin des Deutsch-Französischen Kulturcenters. Einen Joint zum Bier zu organisieren ist in Ramallah auch kein Problem. Auf dem Küchentisch stehen arabisches Gebäck, Salzbrezeln und Wein. Vincent, 29, ein professioneller Graffitikünstler aus Straßburg, greift zu. Gerade hat er sich an einer Wand nahe dem Stadttheater verewigt, jetzt ist Feierabend. "Zu Hause werde ich angeben, wie gefährlich es hier war", sagt er augenzwinkernd.
In der Blase lässt es sich gut leben
Mohammed sitzt auf der Couch und knackt gesalzene Kürbiskerne. Der 23-jährige Student arbeitet nebenher als Arabisch-Übersetzer für ausländische Journalisten. "Ramallah ist eine Blase, in der sich die Internationalen wohlfühlen. Das Westjordanland sieht anders aus", sagt er.
Doch in der Blase lässt es sich gut leben. "Palästina ist das bestgehütete Geheimnis in der Hilfsindustrie. (..) Es klingt cool und gefährlich, weil es als Kriegsgebiet bezeichnet werden kann, aber tatsächlich ist es ziemlich sicher und hat all den Komfort, den Internationale wollen", zitiert das palästinensische Veranstaltungsmagazin "This week in Palestine" Emily Watson, die amerikanische Projektmanagerin einer medizinischen NGO.
Hilft die Hilfsindustrie am Ende vor allem sich selbst? Barabara Kieser, 25, Menschenrechtsbeobachterin des Weltkirchenrats (EAPPI) und Peace Watch Switzerland, weiß, welch merkwürdige Blüten die NGO-Industrie treiben kann. Als die israelische Armee vor kurzem den Viehstall einer palästinensischen Familie zerstörte, standen die NGO am Schauplatz Schlange. Insgesamt sechs Organisationen waren herbeigeeilt, um den Vorfall zu dokumentieren. "So pervers es klingen mag, solche Geschichten sind begehrt", sagt die Politikstudentin aus Zürich.
Drei Monate lang steht die Schweizerin mit orangefarbener Weste am Checkpoint 300, dem Hauptzugang von Betlehem nach Jerusalem durch die von Israel um das Westjordanland gebaute Mauer. Täglich müssen ihn Tausende von Palästinensern auf ihrem Weg zur Arbeit passieren. "Es wissen wohl nicht alle Palästinenser, was wir hier machen. Man könnte argumentieren, dass wir das System mit unserem Engagement eher noch unterstützen, als dass wir etwas dagegen bewirken. Unsere Präsenz kann ja auch als Anerkennung dieses Checkpoints interpretiert werden." Zu den Aufgaben der Schweizerin gehört es auch, sich mit den Bewohnern palästinensischer Dörfer auf einen Tee zu treffen. Präsenz zeigen, heißt das im NGO-Jargon. "Manchmal fahre ich nach Tel Aviv, aber das erzähle ich ihnen ungern", sagt sie.
"Das ist eben der Unterschied", sagt Mohammed dazu und knackt noch einen Kürbiskern. "Sie können mal schnell nach Israel ans Meer fahren. Wir nicht."
Morgen ist Live Jam Session im "Andarin-Club". Eine Truppe ausländischer Hobbymusiker wird irische Musik spielen und die jungen Vertreter der NGO-Industrie werden sich im Takt wiegen, so wie beinahe jeden Abend in der Disco Ramallah.