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Postdocs Wie geht es Ihnen, Dr. Unsichtbar?

Milliarden zusätzlicher Euro pumpen Bund und Länder in die Wissenschaft. Das könnte den deutschen Hochschulen eine "Happy Hour" bescheren, der Umschwung verbessert die Karrierechancen für junge Forscher. Und doch bleibt die Stimmung bei Postdocs mies. Warum nur?
Von Christine Prußky

Wie gut kennen sich Nachwuchswissenschaftler in der deutschen Förderlandschaft wirklich aus? Darüber grübeln seit kurzem nicht mehr nur die Zuschussgeber nach. Bei Postdocs ist die Unkenntnis über Förderwege und Karrierechancen zum Teil so erschreckend groß, dass sich nun sogar die Bundesregierung darum kümmert. Nachwuchsforscher, plötzlich Kanzlersache. Was ist passiert?

Nun, die Zeiten sind einfach vorbei, in denen Deutschlands Wissenschaft den Nachwuchs einfach Nachwuchs sein lassen konnte. In denen man Doktoranden und Assis still forschen ließ und die dafür hinter vorgehaltener Hand murren durften. Das ist Geschichte. Jetzt herrscht Forschermangel. 70.000 Wissenschaftler fehlen nach EU-Berechnungen in diesem Jahr. Tendenz steigend.

Aus dem Assi von einst ist der Postdoc geworden. Der ist zwar nicht reicher als sein Vorgänger. Aber er erfährt etwas, wovon der Assi nicht einmal zu träumen wagte: Das wissenschaftspolitische Establishment interessiert sich für ihn. Landauf, landab sind Hochschulstrategen dabei, Förderprogramme speziell für Postdocs zu entwickeln und auszubauen. Gleiches tun die außeruniversitären Forschungsorgansiationen. Freundlich winken sie mit Geld und Stellen in Richtung Postdocs. Und die? Bleiben skeptisch und tendenziell schlecht gelaunt.

Der Assi geht, der Postdoc kommt

Irgendwann, das zeigt sich jetzt, müssen junge Forscher vom deutschen Reformzug gefallen sein. Vielleicht waren sie genervt von den ewigen Novellierungen, vielleicht waren sie es auch einfach nur leid, jede Änderung in Förderrichtlinie X oder Y zu verfolgen. Was immer die Ursachen waren, Fakt ist: Das Wissen der Postdocs über die Förderlandschaft Deutschland ist lückenhaft und manchmal schlicht veraltet.

Die vielen kleinen Kommunikationspannen wirken wie Sand im Getriebe der Bundesregierung, die Deutschlands Zukunft in der Wissenschaft sieht – und deshalb alles daransetzen muss, die Leistungsträger der Forschung von heute und von morgen für die Republik einzunehmen. Das gelingt natürlich nur, wenn die tatsächlich erreichten Verbesserungen auch bei denen zur Kenntnis genommen werden, die die Zukunft sind: die Postdocs nämlich.

Newsfeeds, Weblogs, Wikis: In der schönen Welt des Web 2.0 kann das doch wohl kein Problem sein. Denkt man so – und liegt prompt falsch. Die Erfahrung macht denn auch die Deutsche Forschungsgemeinschaft. In den vergangenen Jahren optimierte sie ihre Förderprogramme und griff dabei auch Anregungen der Postdocs auf. Der Förderzeitraum für das Programm "Eigene Stelle" wurde zum Beispiel verlängert. Bis zu sechs Jahre haben junge Wissenschaftler nun Zeit, ihr eigenes Forschungsprojekt zu realisieren. Danach dürfen sie sich mit einem neuen Projekt noch einmal um eine "Eigene Stelle" bewerben, für die es – auch das ist neu – keinerlei Altersgrenzen mehr gibt.

"Wir haben einfach kein Gesicht"

All das ließe sich mit ein paar Klicks auf der DFG-Homepage und vielleicht noch einem Anruf in der DFG-Zentrale erfahren. Die Schwelle ist also niedrig, wird aber dennoch nicht von allen Postdocs genommen. Zumindest schlagen einige von ihnen bis heute hartnäckig exakt die Verbesserungen vor, die längst umgesetzt sind. Mit der Unkenntnis perpetuiert sich in den Reihen der Postdocs natürlich der alte Frust aufs Establishment. Eine unheilvolle Verknüpfung, die die Bundesregierung nun durchbrechen will.

Im Auftrag des Forschungsministeriums entwickelt die RWTH Aachen jetzt ein Kommunikations- und Informationssystem speziell für den Forschernachwuchs. 300.000 Euro gibt Annette Schavan in den nächsten drei Jahren für dieses eine Portal aus. Ende Oktober soll es unter der Webadresse www.kisswin.de freigeschaltet werden. Die aktuellsten Zahlen zur Situation des wissenschaftlichen Nachwuchses in Deutschland werden dort zu finden sein, zusammengefasst und nachzulesen auf 300 Seiten im "Bundesbericht wissenschaftlicher Nachwuchs" (BuWiN).

Das Portal und der Bericht – zusammen geben sie Postdocs vielleicht das, wonach sie sich sehnen: eine Heimat in der Scientific Comunity und ein Gesicht. "Doktoranden sind durch die Graduate-Schools mittlerweile sichtbar geworden. Wir sind immer noch unsichtbar. Keiner weiß, wie viele wir eigentlich sind. Auf befristeten Stellen und in Drittmittelprojekten halten wir zwar den akademischen Betrieb am Laufen, wir haben aber keinen Status in der Hochschulhierarchie. Wir haben einfach kein Gesicht", sagt Dr. Peter Fischer.

Der 34-Jährige zählt seit Februar vergangenen Jahres zu den Unsichtbaren, denjenigen Promovierten also, die sich über wenigstens ein Jahrzehnt in der Hoffnung auf eine Professur mit unstabilen Beschäftigungsverhältnissen abspeisen lassen (müssen). Dass die Laune nach Jahren in der Furche nicht mehr die beste sein kann, nahmen Wissenschaftsmanagement und Professorenschaft bisher schweigend in Kauf. Wer Professor werden will, muss leiden. Mit der Devise jagt man heute jeden guten Postdoc aus der Tür. Wer sie halten will, muss sie motivieren und - ja, auch das - für gute Stimmung sorgen.

"Happy Hour" an der Hochschule

Das ist manchmal leichter als gedacht. Bisweilen braucht es nur Menschen, die wie Dr. Beate Scholz mit guten Nachrichten im Koffer anreisen. Scholz ist bei der DFG für Nachwuchsförderung zuständig und bekämpft nicht nur bestehende Informationsdefizite bei Postdocs. Im Grunde ist Beate Scholz derzeit so etwas wie ein Garant für eine "Happy Hour".

Im Moment hat sie nämlich ziemlich viele gute Nachrichten auf Lager. So kann Scholz von zusätzlichem Geld für Förderprogramme, gestiegenen Bewilligungszahlen und einer im internationalen Vergleich hohen Bewillligungsquote berichten. Liegt die Quote bei Postdoc-Programmen international zwischen 10 und 20 Prozent, haben bei der DFG zwischen 20 und 40 Prozent der Antragsteller Erfolg.

"Die 'gefühlten' Unsicherheiten scheinen mir in Deutschland sehr groß zu sein, und die reale Fördersituation ist viel besser, als manche Postdocs glauben. Je besser sie also über die vielfältigen Möglichkeiten informiert sind, desto besser ist in den meisten Fällen die Stimmung. Hierbei kommt Vorgesetzten eine wichtige Verantwortung zu", sagt Scholz.

Das Rezept ist einfach - und wirkt. Ist es doch die viel beschworene "gefühlte" Perspektive, die Nachwuchsforscher in Deutschland vermissen. Nach den ganz großen Kürzungswellen an den Hochschulen, gibt es jetzt tatsächlich Grund zu neuer Zuversicht. Auch und gerade für Postdocs: Der Generationswechsel an Hochschulen sorgt nach Prognosen des Statistischen Bundesamtes bis zum Jahr 2010 für rund 4300 freie Professorenstellen. 200 zusätzliche Professuren sollen nach einem Beschluss von Bund und Ländern in den nächsten fünf Jahren für Frauen eingerichtet werden. Und etwa 10.000 zusätzliche Forscherstellen sollen bis 2010 in Deutschland entstehen, finanziert aus den Milliarden von Euro, die Bund und Länder über die Exzellenzinitiative und den Hochschulpakt in die Hochschulen pumpen.

Lobbyarbeit? Keine Zeit!

Wie diese Stellen genau ausformuliert sein werden, ist im Moment noch unklar. Und genau das ist für Prof. Dr. Margret Wintermantel auch eine Erklärung für den Pessimismus in den Reihen der Nachwuchsforscher. "Nach den Sparrunden müssen die Postdocs erst noch davon überzeugt werden, dass mit der Exzellenzinitiative und dem Hochschulpakt wirklich ein Umschwung eingeleitet wurde", sagt die Präsidentin der Hochschulrektorenkonferenz und vermutet: "Die Skepsis und die gefühlte Unsicherheit in Bezug auf ihre eigene Laufbahn in der Wissenschaft werden erst dann weichen, wenn sich die unmittelbare Arbeitssituation der Nachwuchswissenschaftler verbessert."

Wann wird das sein? Und wann werden Postdocs in Deutschland erkennen, dass ihre Karrierechancen heute so gut sind wie lange nicht? "Wer mit der eigenen Situation unzufrieden ist, äußert sich zu Recht dazu deutlicher in der Öffentlichkeit, als dies viele Wissenschaftler tun, die mit ihrer Situation zufrieden sind", sagt Beate Scholz und hält es daher für "notwendig, einmal gezielt die zu Wort kommen zu lassen, die mit der Forschungsförderung in Deutschland positive Erfahrungen gemacht haben".

Manchmal allerdings fehlen selbst den Unzufriedenen die Worte. Bei Dr. Unsichtbar zum Beispiel ist das so. Er schweigt noch nicht einmal aus Trotz, er hat schlicht keine Zeit zum Reden. Zu beschäftigt ist er, sich in der Wissenschaft und seine Familie über Wasser zu halten. Wer hat da noch einen Kopf für Lobbyarbeit? Dabei wäre sie bitter nötig. Denn trotz aller Fortschritte in Bezug auf Förderprogramme, die wichtigste Frage lassen Deutschlands Uni-Bosse hübsch unbeantwortet. "Ich vermisse bei den Universitäten einfach den Mut, feste Stellen für gute Forscher unterhalb der Ebene der Professur einzurichten", sagt Peter Fischer.

Damit spricht der Postdoc nicht nur das aus, was sich viele seiner Kollegen auf dem Weg zur Professur wünschen, er benennt auch einen handfesten Nachteil, den Deutschland im Brain-Gain hat. Ob Großbritannien, Frankreich oder auch die USA – im internationalen Vergleich leistet sich kein Land so wenig festangestellte Wissenschaftler wie Deutschland. Dem Bundesbericht für den wissenschaftlichen Nachwuchs zufolge hat in deutschen Unis nur etwa ein Fünftel der Hochschullehrer eine unbefristete Stelle. Frankreich, die USA und Großbritannien haben mehr festangestellte Hochschullehrer. In Großbritannien haben zwei Drittel und in Frankreich sogar fast drei Viertel der Hochschullehrer einen unbefristeten Vertrag.

13 Jahre in der Furche

Ist das deutsche Konzept wettbewerbsfähig? Dr. Andreas Keller zweifelt: "Die Qualität wissenschaftlicher Arbeit hängt mit der Qualität der Arbeitsbedingungen zusammen. Wenn sich der Forschermangel weiter zuspitzt, wird es darum gehen, dem Nachwuchs verlässliche Perspektiven zu geben", sagt Keller, im Vorstand der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) zuständig für Hochschule und Forschung.

Wie unsicher wissenschaftliche Laufbahnen in Deutschland sind, lässt sich in der Studie "Wege zur Professur" nachlesen, die vergangenes Frühjahr im Waxmann-Verlag erschien. Nach dem Befund der Kasseler Hochschulforscher Kerstin Janson, Harald Schomburg und Ulrich Teichler erstreckt sich die Phase instabiler Beschäftigung für Wissenschaftler in Deutschland über durchschnittlich 13 Jahre. Und der Karriereweg bleibt in Deutschland nach der Promotion mindestens so unsicher wie davor – anders als in den USA, wo junge Wissenschaftler auf TenureTrackPositionen gelangen können.

Wenn deutsche Postdocs in die USA schauen, dann sind es eben diese Stellen mit der Perspektive auf eine Lebenszeitprofessur, die ihnen den Blick verklären. Davon träumen sie. Deshalb gehen sie gern in die USA. Von der Arbeit in den Instituten jenseits des Atlantiks schwärmen sie aber auch, weil sie dort Respekt erfahren und damit das bekommen, was ihnen in Deutschland fehlt: ein Gesicht.

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