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Praktikanten-Aufschrei: Sandwich-Protest in Brüssel

Foto: SPIEGEL ONLINE

Praktikanten in Brüssel Protest der Billiglöhner

Sie arbeiten häufig unbezahlt, ohne richtige Verträge, dafür aber mit reichlich Überstunden: Jetzt protestierten Praktikanten in Brüssel gegen die harten Arbeitsbedingungen in Europas Hauptstadt - und dabei geht es ihnen nicht nur um sich selbst.

Irgendjemand hat etwas zu essen mitgebracht. Baguettes, belegte Brötchen und anderes Gebäck. Das typische Mittagessen von Praktikanten in Brüssel. Typisch, weil billig. Ein normales Mittagessen im Restaurant kostet um die 18 Euro - undenkbar für die vielen un- oder unterbezahlten Praktikanten in Europas Hauptstadt. Deshalb haben sich am Mittwochmittag ungefähr 200 junge Leute vor dem Hauptgebäude des Europäischen Parlaments versammelt - zum "Sandwich Protest".

Was wie ein lustiger Flashmob klingt, ist für die Demonstranten bitterer Ernst: Sie protestieren gegen unfaire Arbeitsbedingungen für Praktikanten in Europas Hauptstadt. Viele Praktikanten arbeiten ohne oder für sehr geringe Bezahlung, ohne richtige Verträge und Versicherungen und ohne geregelte Arbeitszeiten, schreiben die Initiatoren in ihrem Aufruf. Viele gut ausgebildete und hoch motivierte junge Menschen hätten das Gefühl, ihre Arbeit würde nicht wertgeschätzt und sie verlören nach und nach ihre Leidenschaft.

Dagmar Olszewski zum Beispiel bekommt 650 Euro Praktikumsgehalt pro Monat. Das sei ja "eigentlich gutes Geld", wie sie selbst sagt. Allerdings: Sie arbeite durchschnittlich 50 bis 60 Stunden die Woche in der Beratungsfirma. Und Brüssel ist teuer. 500 Euro kostet bei Dagmar allein die Miete. Sie sprach mit anderen Betroffenen und schließlich rief die Gruppe zum Mittagsstreik auf. Mehr als 500 hatten sich bereits zuvor über die Facebook-Seite  angekündigt.

Ohne reiche Eltern geht es kaum

Dass viele Gleichaltrige die Sandwich-Sorgen liebend gern gegen die eigene Arbeits- und Perspektivlosigkeit tauschen würden, ist den Demonstranten bewusst: "In Zeiten von hoher Arbeitslosigkeit und ökonomischen Krisen ist jede Möglichkeit zu arbeiten kostbar", heißt es in dem Aufruf. Praktikanten, die 50 Stunden und mehr pro Woche arbeiten, damit aber nicht ihre Lebenshaltungskosten decken können, sind auf externe finanzielle Hilfe zum Beispiel von ihren Eltern angewiesen. "In so einem System werden gleich talentierte aber weniger wohlhabende Menschen ausgeschlossen."

Lassi Harmala, 26, aus Finnland, arbeitet für eine Uno-Organisation in Brüssel. Er hat die Demonstration mitorganisiert. Seine Forderung: allgemeine Standards, an die sich alle Arbeitgeber halten müssen. Derzeit können sich die Organisationen darauf verlassen, dass sich Hunderte junge, talentierte Studenten und Absolventen auf unbezahlte Praktika bewerben - und dann mitunter häufig Überstunden schieben, Verantwortung übernehmen wie ein Festangestellter oder sich als billiger Postbote ausbeuten lassen, bloß um ein gutes Zeugnis zu bekommen. Denn jeder weiß: Wer sich für Europa interessiert, muss hierherkommen.

"Keine Ahnung, wo ich in vier Monaten sein werde"

Eine Überwachung des Arbeitsmarktes in diesem Bereich fordert unter anderem die europäische Charta für Praktika und Berufsausbildungen . Und auf dem Portal InternsGoPro  können Praktika und deren Bedingungen bewertet werden. Die Macher hoffen, dass sich dort dank der Internet-Anonymität noch mehr Betroffene als auf dem Place du Luxembourg in Brüssel melden.

"Viele Praktikanten trauen sich oft nicht, etwas zu unternehmen, da sie Angst haben, abgestempelt zu werden. Und viele sind froh, überhaupt einen Praktikumsplatz bekommen zu haben", sagt Studentin Rebekka, 28. "Andere fürchten es könnte sich negativ auf den Jobeinstieg auswirken, denn sich zu engagieren scheint in vielen Fällen heute nicht mehr unbedingt in den Lebenslauf eines 'Young Professional' zu passen", sagt die Studentin der Politik- und Kommunikationswissenschaften. Sie selbst finanziert sich ihr Leben derzeit mit einer Mischung aus Studienkredit und Teilzeitjob. Zuvor absolvierte sie Praktika, unter anderem bei bei Europäischen Kommission und im deutschen Auswärtigen Dienst.

"Diese Situation verhindert, dass wir ein stabiles Leben führen können, Zukunftspläne schmieden oder eine Familie gründen. Ich habe keine Ahnung, wo ich in vier Monaten sein werde", sagt Cristina, 25. Besonders scheinheilig findet die junge Frau das Verhalten bei internationalen Organisationen, die sich weltweit um Menschenrechte kümmern, aber ihre eigenen Praktikanten nicht bezahlen.

Mitarbeit: Christoph Schult, Brüssel
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