Praktikumsmühle Kapieren geht über Kopieren
"Wir Deutschen sind Europameister, wenn es gilt, freiwillige Praktika zu machen", sagt Harro Honolka, Geschäftsführer des Münchner Instituts Student und Arbeitsmarkt. Denn: Zwei bis drei Praktika absolvieren deutsche Studenten während ihres Studiums - meist aus eigenem Antrieb, wie die große SPIEGEL-Umfrage "Studentenspiegel" zeigte.
Das kommt nicht von ungefähr: "Früher waren Praktika ein Plus, heute sind sie ein Muss", betont Anna-Maria Engelsdorfer, Beraterin im Hochschulteam der Arbeitsagentur in München. "Ohne vorhergehende Praxiserfahrung kommt man heute in vielen Unternehmen gar nicht erst in die Nähe eines Angestelltenvertrags." Beim richtigen Arbeitgeber dagegen kann ein Praktikum der Türöffner zum Traumberuf werden.
Engelsdorfer empfiehlt daher, drei, vier Praktika während des Studiums zu machen: eins zum Orientieren, eins zum Überprüfen, eins zum Vertiefen. "Die Gefahr bei fünf oder sechs Praktika in unterschiedlichen Unternehmen ist allerdings, dass Personaler später eine Zielorientierung vermissen", sagt sie.
Tobias Nickel schätzt das etwas anders ein. Der Recruiting-Leiter der BMW-Group hat während seines Studiums selbst fünf Praktika absolviert. "Wir sind definitiv nicht misstrauisch, wenn bei einem Bewerber mehrere Praktika im Lebenslauf stehen", sagt er. Manuela Ebbes-Barr, Senior Managerin bei den Bertelsmann Recruiting Services, stimmt zu: "Während der Studienzeit kann man gar nicht genügend Praxiserfahrung sammeln. Diejenigen, die umfassende und inhaltlich anspruchsvolle Praktika absolvieren, beweisen schon während des Studiums Eigeninitiative und Leistungsbereitschaft." Allerdings dürfe sich wegen Praxissemestern das Studium nicht allzu sehr in die Länge ziehen: "Das wäre wieder ein Minuspunkt", so Ebbes-Barr.
Praktika zu sammeln erweise sich allerdings nur für die Zeit während des Studiums als hilfreich, meint Tobias Nickel. Als Hochschulabsolvent sollte man sich schleunigst um eine feste Stelle kümmern: "Praktika nach dem Studium sind eher differenziert zu betrachten", so der BMW-Personaler. Wer dann zu viele Praktika absolviere, sollte sich jedenfalls eine gute Erklärung dafür zurechtlegen.
"Gefühlte Berufstätigkeit"
In vielen Branchen haben junge Akademiker nicht die Wahl - das Praktika-Hopping bleibt zunächst ihre einzige Chance, Berufserfahrung zu sammeln und Kontakte zu potenziellen Arbeitgebern zu knüpfen. Das kann sehr anstrengend werden, sich aber letztlich auch auszahlen - wie bei Dagny Lüdemann, 29. Die Hamburgerin hatte bereits jahrelang als freie Journalistin gearbeitet und ihren Magister in Französisch und Biologie in der Tasche. Trotzdem hospitierte sie zunächst bei einem spanischen Fernsehsender, dann beim "PM-Magazin", dann bei "Spektrum der Wissenschaft". Und so weiter - insgesamt arbeitete sie zwei volle Jahre lang als Praktikantin, in immer neuen Städten.
Acht Mal musste Dagny Lüdemann deswegen umziehen. Nebenher bewarb sie sich um Volontariate und Redakteursstellen - und kassierte am laufenden Band Absagen. "Während dieser Zeit habe ich mich wie eine Nomadin gefühlt", erzählt sie. "Nirgends war ich richtig zu Hause und immer von Menschen umgeben, die ich erst seit kurzem kannte." Immerhin habe sie sich bei ihren Praktika "berufstätig gefühlt - wenn auch nur für kurze Zeit". Ihre ernüchternde Erfahrung: "In dieser Branche trifft man immer wieder die gleichen Leute, die wie die Aasgeier um einen Traumjob kreisen. Alle sind Mitte bis Ende zwanzig, sie haben ein abgeschlossenes Studium und Erfahrungen im Journalismus."
Der Konkurrenzdruck war groß, der Praktikumsmarathon zermürbend, Dagny Lüdemann auf Unterstützung durch ihre Eltern angewiesen. Sie hielt durch: "Ich hatte Glück, dass ich Praktika in renommierten Häusern bekommen habe", sagt sie. "Das hat meine Chancen auf eine Festanstellung enorm verbessert.. Jetzt volontiert sie bei einer großen Tageszeitung in Berlin. "Dass ich das noch vor meinem 30. Geburtstag hinbekommen habe, freut mich wahnsinnig."
Auch wenn für Lüdemanns Berufseinstieg das alte Motto "Viel hilft viel" gegolten haben mag - wichtiger als die Anzahl klangvoller Praktika sei immer noch deren Qualität, da sind sich alle Experten einig. Damit die Mini-Lehren eine Maxi-Wirkung in Sachen Zukunftsplanung entfalten, müssen sie mehr beinhalten als reine Zuträger-Tätigkeiten.
"Die Branche ist mir zu unhöflich"
Bei der 21-jährigen Ursula Müller (Name geändert) geriet das erste Praktikum nach dem Abitur zum Fiasko. Für ihr Haushaltswissenschafts-Studium musste die Münchnerin ein Vorpraktikum in der Gaststättenbranche absolvieren - und hatte mit einer klassischen Mappe bei einem renommierten Münchner Hotel angeheuert. "Wahrscheinlich wäre eine aufwändige Bewerbung gar nicht nötig gewesen", sagt sie heute. "Später hatte sich herausgestellt, dass das Hotel alle Praktikumsbewerber nimmt."
Statt internationalen Flairs gab es im Hotel nur Ärger für die Abiturientin: keine Einweisung, keinen Ansprechpartner, keine Antworten auf Fragen. Dafür Malochen vom ersten Tag an. "Ich habe alles in Eigenregie erledigt", klagt Müller. "Vom Bettenmachen bis zum Kloputzen." Nach sechs Wochen kündigte sie. Länger wollte sie nicht als kostenfreie Arbeitskraft herhalten. Mehr noch: Müller hat als Konsequenz ihrer Praktikumserfahrung das Studium der Haushaltswissenschaft aufgegeben ("die Branche ist mir zu unhöflich"). Inzwischen studiert sie Deutsch und Geschichte auf Lehramt.
Ihr Hauptproblem war: Auch ein unbezahlter Hilfsjob trägt häufig den Decknamen "Praktikum". "Bei einem ordentlichen Praktikum muss von vornherein klar sein, dass es Wissenserwerb bringt", sagt Honolka von Student und Arbeitsmarkt. "Nur dadurch qualifiziert man sich für einen Beruf."
Es müsse um mehr gehen als um den Praktikanten-Dreikampf Kaffeekochen, Kopiererhüten, Kurierdienste machen: "Sonst kann der Praktikant weder seine Fähigkeiten testen, noch dem Arbeitgeber zeigen, wozu er in der Lage ist", sagt Honolka. Und hinterher könne das Unternehmen lediglich über den Praktikanten sagen: "Er kann Latte Macchiato kochen wie eine italienische Mama." Dem Ziel, den beruflichen Einstieg vorzubereiten, sei das nicht dienlich.
Nadine Nöhmaier ist Autorin des neuen Praktikumsknigge
Checkliste: So erkennt man ein gutes Praktikum