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Job & Karriere

Promotion - und dann? Saisonarbeiter der Forschung

Gute Doktoranden kommen überall hin. Aber nur die wenigsten werden Professor, die meisten nehmen Kurs auf andere Berufe. Dass man sie darauf vorbereiten sollte, kam den Unis bislang kaum in den Sinn. Jetzt entdecken sie das Heer der Nachwuchsforscher als Schatz.
Von Hans-Christoph Keller

Manchmal ist es besser, zu wissen, was man nicht will. Gösta Gabriel zum Beispiel hat sich das Berufsziel Professor vorerst abgeschminkt. Obwohl der Altorientalist am Graduiertenkolleg "Götterbilder – Gottesbilder – Weltbilder" der Uni Göttingen über ein Thema promoviert, mit dem man auf den ersten Blick nichts anderes werden kann: "Schicksalsvorstellungen im babylonischen Weltschöpfungsepos".

Aber Gabriel will eben nicht. Und das liegt gar nicht so sehr am Professorenberuf selbst. "Für mich ist die Postdoc-Zeit im Vergleich zu möglichen Alternativen eher unattraktiv", sagt er.

Der 29-Jährige ist einer von tausenden Promovenden, die sich Jahr für Jahr den Kopf zerbrechen, wofür sie das alles eigentlich machen. Von den knapp 24.000 Doktorhut-Empfängern in Deutschland (Stand: 2007) klettert nur einer von hundert auf einen Lehrstuhl. Jeder vierte bleibt zwar in der Wissenschaft, aber auf dem Weg zum Prof-Job im Uni-Universum stecken. Die meisten gehen in die Wirtschaft oder in die Politik, arbeiten an Museen, in Galerien, in Kanzleien, in den Medien, im öffentlichen Dienst oder bei Organisationen. Nach Berechnungen der European University Association (EUA) sucht zunächst die Hälfte aller Promovierten in Europa eine Anstellung außerhalb der Hochschulen.

Viele Doktoranden in einer Blackbox

Doch werden sie auf diesen Arbeitsmarkt in Deutschland ausreichend vorbereitet? Lange nicht, nun aber zunehmend. Denn die Hochschulen haben seit der Exzellenzinitiative begriffen, dass sie sich viel mehr um den Nachwuchs kümmern müssen – unabhängig davon, ob jemand der Wissenschaft treu bleibt oder nicht. Doktoranden sind die Saisonarbeiter in der Forschungsmanufaktur. Ohne sie kämen etliche Professoren nicht zu ihren vielen Publikationen, die in Uni-Rankings eine Rolle spielen.

Bislang ist die Kinderstube des Akademiker-Weges jedoch sträflich vernachlässigt worden. Das zeigt sich allein schon daran, dass keine einzige Uni in Deutschland genau sagen könnte, wie viele Doktoranden sie insgesamt gerade beherbergt. Vor allem das Heer jener, die klassisch bei einem Doktorvater oder einer -mutter promovieren, taucht erst aus einer Blackbox auf, wenn die Arbeit abgegeben wird. So hat die Uni Freiburg derzeit zum Beispiel 1050 eingeschriebene Doktoranden, deren Namen sie kennt, aber in Wirklichkeit promovieren geschätzte 2500 im schönen Breisgau.

Auch deshalb will die Uni Freiburg bis 2012 Graduiertenkollegs zum Standard machen. Denn wer an einer solchen Einrichtung promoviert, ist eingeschrieben und hat ein Gesicht. Zudem hat sich gezeigt, dass das intensive Betreuungskonzept solcher Kollegs zumindest die Situation in den Geisteswissenschaften sehr verbessert hat.

Das belegt die Studie "Neue Ausbildungsformen – Andere Werdegänge?", die Prof. Dr. Jürgen Enders und Andrea Kottmann vom Center for Higher Education Policy Studies (CHEPS) an der Universität Twente für die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) angefertigt haben. Sie vergleicht den Berufsverlauf von Promovenden, die in den neunziger Jahren an Graduiertenkollegs promovierten, mit "gewöhnlichen" Doktoranden. Im Frühjahr soll sie erscheinen. Der "duz" liegt sie bereits vor.

Kollegs öffnen sich für Einzelkämpfer

Die DFG wollte wissen, was die Anfang der neunziger Jahre von ihr eingeführten Kollegs gebracht haben. Vorbild für das Modell waren die US-amerikanischen Graduate Schools. An deutschen Unis gibt es mittlerweile 247 Kollegs. Jährlich schließen etwa 1000 Kollegiaten ihre Promotion ab. Das sind rund acht Prozent aller Promotionen in Deutschland (ohne Humanmedizin).

Unis, die sich für ein solches Kolleg bewerben, müssen der DFG ihr Betreuungskonzept vorlegen. Dazu gehören auch Kurse, die für einen Job außerhalb der Wissenschaft fit machen. "Oft kristallisiert sich ja erst während der Promotion heraus, dass man lieber in einen anderen Beruf gehen will", sagt Dr. Annette Schmidtmann, bei der DFG zuständig für die Graduiertenkollegs.

Die Begleitkurse sind allerdings nicht nur für die Kollegiaten. "Es ist ausdrücklich erwünscht, dass die Kollegs sich öffnen für die Einzelkämpfer", sagt Schmidtmann. Das kann Gösta Gabriel für Göttingen bestätigen: "Die 'Free Floater' werden durch die Graduiertenschule systematisch in die Uni Göttingen eingebunden."

Die Universität Münster will das auf dem gesamten Campus umsetzen. Seit Herbst 2008 läuft dort das Programm "Promotion Plus". Es richtet sich in der Startphase zunächst zwar nur an Kollegiaten, soll aber später für alle Promovenden der Uni sein. "Ein Professor hat natürlich eine gewisse Verantwortung dafür, wie es mit seinem Zögling nach der Promotion weitergeht", sagt Dr. Marianne Ravenstein, Prorektorin für Lehre und Studienreform in Münster.

Raus aus der Uni - Job in der Wirtschaft ist erste Wahl

"Promotion Plus" ist indes eine Art Rundum-Versorgung, die die Betreuer entlastet. In mehreren Modulen werden die jungen Forscher fit für die Zukunft gemacht. Dabei geht es um mögliche Berufsfelder, um Drittmittelakquise, um Selbst und Fremdwahrnehmung, um den Aufbau von Netzwerken oder um Bewerbungsmethoden inner- und außerhalb der Wissenschaft.

Allerdings zeigen Enders und Kottmann in ihrer Studie, dass die Doktoranden der Graduiertenkollegs die Weiterbildungsangebote meist nur dann wahrnahmen, wenn sie der Vertiefung der eigenen wissenschaftlichen Arbeit dienten. Bei Beratungen zum Berufsübergang und bei Soft-Skil-lTrainings ließen sie sich selten blicken. Und das, obwohl 36 Prozent der ehemaligen Kollegiaten zum Zeitpunkt der Befragung die Welt von Forschung und Lehre verlassen hatten. Weniger als die Hälfte (43 Prozent) blieb an der Hochschule, und kaum ein Viertel (21 Prozent) forschte außerhalb der Uni. Bei den anderen Doktoranden waren die Berufsverläufe ganz ähnlich.

"Die Universitäten sollten erkennen, dass der Wechsel von der Hochschule in die Wirtschaft nicht die zweite Wahl, sondern die berechtigte erste Wahl ist", sagte Ende November Dr. Lidia Borrell-Damian, Programm-Managerin bei der EUA, als sie die jüngsten Ergebnisse des EUA-Projektes "Doc Careers" vorstellte.

Manche deutschen Unis beherzigen das und haben über die Graduiertenkollegs und -schulen sogenannte Graduiertenakademien als Service-Dach gebaut. Die Doktoranden sollen einheitliche und vor allem transparente Strukturen bekommen. In Jena wurde dafür sogar die Rahmenpromotionsordnung geändert und Prof. Dr. Amélie Mummendey als Prorektorin für den Aufbau der Akademie eingesetzt.

"Wir müssen die Doktoranden besser qualifizieren"

Ganz so weit ging die Uni Heidelberg nicht. Eine Graduiertenakademie für die 1000 Jungforscher, die jedes Jahr die Uni mit Titel verlassen, gründete sie vor knapp drei Jahren dennoch. "Wir wollen unseren Doktoranden die Qualifikationen bewusst machen, welche sie während ihrer Promotion erlangen", sagt Geschäftsführerin Dr. Katharina Fuchs-Bodde, "denn die benötigen sie auch in der Wirtschaft."

Tatsächlich erwarten große Unternehmen von den Promovierten nicht unbedingt übertragbare Fähigkeiten. Die EUA befragte sie für "Doc Careers": "Sie sagten, dass sie ihren neuen Mitarbeitern diese Fähigkeiten selbst beibringen können", berichtet Thomas Ekman Jørgensen, bei der EUA zuständig für Doktorandenprogramme, "die Unternehmen erwarten von den Unis vielmehr, dass sie den Nachwuchsforschern Kreativität beibringen und die Kompetenz, komplexe Fragestellungen zu verstehen."

Die Graduiertenakademien wollen das stärker in den Fokus nehmen. "Wir müssen die Doktoranden, die später außerhalb der Universitäten und Forschungseinrichtungen arbeiten, besser qualifizieren, wir müssen sie überhaupt erst als Schatz entdecken. Zudem muss das Verfahren der Doktorandenqualifikation transparenter gemacht werden", sagt Prof. Dr. Helmut Hoping, Direktor der Graduiertenakademie in Freiburg. Solch einen Service forderten bereits 2007 die in der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft organisierten Promovenden mit "Graduiertenzentren".

"Deutscher Doktortitel ist etwas wert auf dem Arbeitsmarkt"

Hoping will die Interessen der Doktoranden in Deutschland stärker ins Gespräch bringen und einen Verband der Graduiertenakademien gründen. Von denen gibt es ein gutes Dutzend. Vorbild ist der nordamerikanische "Council of Graduate Schools", in dem rund 500 Unis aus den USA und Kanada mit ihren Doktorandenschmieden vereint sind ( www.cgsnet.org ).

Der Arbeitstitel für das deutsche Pendant lautet "German University Association for Doctoral Research". Im April soll der Verband gegründet werden. "Wir verstehen uns als Interessenvertretung gegenüber der DFG, den Bundesländern, der Hochschulrektorenkonferenz und dem Wissenschaftsrat", sagt Hoping. Ein erstes wichtiges Anliegen sei zum Beispiel, dass in allen Bundesländern die Doktorandenbetreuung auf das Lehrdeputat von Professoren angerechnet werde.

Dann hätten sie auch mehr Zeit, um mit ihren Schützlingen über Karriereoptionen außerhalb der Wissenschaft zu reden. Denn das ist wichtig, weil "der Doktortitel auf dem deutschen Arbeitsmarkt im Unterschied zu anderen Ländern wirklich etwas wert ist", sagt Jürgen Enders.

Altorientalist Gösta Gabriel weiß das. Er will künftig im Hochschulmanagement arbeiten. Akademischer Stallgeruch ist dort für eine Karriere wichtig. Der Wert seines Doktortitels könnte sich also verdoppeln.

Autor Hans-Christoph Keller ist Redakteur der "duz" 

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