Siemens-Chef im SPIEGEL-Gespräch "Wer stehen bleibt, wird überholt"
Dass die Hamburger ihre Elbphilharmonie haben, die Berliner ihren Großflughafen BER und die Stuttgarter ihren Bahnhof, wird immer wieder gern und breit beschrieben. Großprojekte, die nicht richtig fertig werden. Hinzu kommen noch ICE-Züge, die nicht ausgeliefert werden. Und, und, und.
Wie ist es eigentlich um die Ingenieurskunst der deutschen Unternehmen bestellt? Wie können wir den technologischen Wandel meistern? Müssen wir uns Sorgen machen? Auf diese Fragen antwortete der Topmanager Joe Kaeser. Er ist seit Anfang August Chef des Münchner Technologiekonzerns Siemens. Anfang Dezember stellte er sich im Rahmen der Reihe "SPIEGEL-Gespräch - live an der Uni" den Fragen der SPIEGEL-Redakteure Dinah Deckstein und Armin Mahler im Audimax der Technischen Universität München.
Ob "Made in Germany" ein Auslaufmodell sei, wollten die Redakteure von Kaeser wissen. Der heutige Vorstandsvorsitzender arbeitet seit 1980 bei Siemens - und gibt Entwarnung: Nein, Sorgen machen müsse man sich zunächst nicht in Deutschland. Wenn die Produkte im Ausland so stark nachgefragt würden, wie das jetzt immer noch der Fall sei, und wenn dort, wo das Beste gerade gut genug ist, nach deutscher Technologie gefragt würde - da dürfe man sich "nicht verrückt machen lassen, wenn etwas mal nicht richtig funktioniert", sagte Kaeser.
Nur ein paar wenige Beispiele würden ihm einfallen, wo es nicht so gut gelaufen sei. Und auf die stürze sich dann immer die ganze Welt. "Und das Nette ist auch eigentlich daran, dass wir unseren europäischen Nachbarn immer auch die Möglichkeit bieten, ein bisschen schadenfroh mit uns zu sein. (...) Wenn wir neun Prozent Fehler machen, sind wir immer noch sehr gut. Da gibt es viele Länder in der Welt, die würden sich wünschen, dass sie neun Prozent richtig hinkriegen."
Eine Schicksalsfrage der deutschen Nation gäbe es allerdings. Und das sei die Innovationskraft. "Wenn wir das nicht können, haben wir ein richtiges Problem." Das gelte auch für Siemens.
Für gefährlich hält Kaeser vor allem die "Bequemlichkeitskultur" des Mittelstands. Die sei "ganz, ganz gefährlich", so Kaeser. "Das sind Menschen, die ihr Leben lang gearbeitet haben. Die sich Wohlstand erarbeitet haben. Die sagen: Eigentlich könnte das ja so bleiben." Und der Siemens-Boss warnt: "Wer stehen bleibt, wird überholt."
So viel Ehrgeiz er den Mittelständlern abverlangt, so viel Lässigkeit erlaubt Kaeser bei Großprojekten wie dem BER. Der Berliner Großflughafen sei doch schließlich nur ein Flughafen, der jetzt mit einer überehrgeizigen Terminstellung nicht hinkommt. "Das ist aber gar kein Problem", findet Kaeser. "Den braucht eh' keiner im Augenblick. Wenn wir den Flughafen in fünf bis zehn Jahren haben, reicht das vollkommen."
Seit dem Sommersemester 2007 diskutieren SPIEGEL-Redakteure regelmäßig an zahlreichen deutschen Hochschulen mit prominenten Gästen. Die SPIEGEL-Gespräche live an Universitäten begannen mit Harald Schmidt und einer Debatte über TV-Satire und dem Bestsellerautor Daniel Kehlmann über "Filme, Bücher, schöne Frauen".
Etliche weitere Gespräche folgten, darunter Diskussionen mit Claudia Roth, Cem Özdemir, Charlotte Roche und Gregor Gysi, mit Joschka Fischer und Gesine Schwan - sowie im vergangenen Wintersemester mit Web-Guru Sascha Lobo und Nasa-Manager Jesco Freiherr von Puttkamer.
Bereits stattgefunden haben unter anderem:
Was macht den Tod so sexy? SPIEGEL-Redakteur Frank Thadeusz im Gespräch mit dem Rechtsmediziner Michael Tsokos. (6. Mai 2013)
Verbrecher - warum sind die so? SPIEGEL-Redakteurin Barbara Schmid im Gespräch mit dem "Tatort"-Pathologen Joe Bausch und dem Gefängnisdirektor Michael Skirl. (12. April 2013)
Ist Politik die bessere Comedy? SPIEGEL-Redakteur Markus Brauck im Gespräch mit TV-Moderator Oliver Welke (16. Januar 2013)
Der Wert der Bildung - Ansichten einer Studienabbrecherin. SPIEGEL-Redakteur Ralf Beste im Gespräch mit Grünen-Chefin Claudia Roth an der Hochschule München. (11. Dezember 2012)
Nerds, Netz und Gesellschaft - was bringt das Internet der Demokratie? SPIEGEL-ONLINE-Ressortleiter Christian Stöcker und SPIEGEL-Autor Holger Stark im Gespräch mit Sascha Lobo, Autor und Strategieberater, über den Einfluss des WWW auf die Demokratie - an der Universität Potsdam (16. November 2011).
Burnout - eine neue Volkskrankheit? SPIEGEL-Redakteurin Annette Bruhns im Gespräch mit dem Psychologen und Trainer Prof. Matthias Burisch - im Haus der Wissenschaft in Braunschweig (14. November 2011).
Weltraumhotels und Marskolonien - die Zukunft der bemannten Raumfahrt SPIEGEL-Ressortleiter Olaf Stampf im Gespräch mit Professor Jesco Freiherr von Puttkamer, NASA-Manager, übers Forschen und Reisen im Weltall - an der FH Aachen (11. Oktober 2011).