Simultandolmetscher "Bei Trump habe ich Schweißausbrüche"

Norbert Heikamp, Simultanübersetzer
Foto: PrivatSPIEGEL ONLINE: Herr Heikamp, Simultandolmetschen bedeutet, dass Sie jemandem zuhören und mit sehr knapper Verzögerung übersetzen, was er oder sie sagt. Wie funktioniert das?
Heikamp: Ich gehe davon aus, dass man das nicht lernen kann, sondern das Talent dazu haben muss. Es reicht nicht, zweisprachig zu sein. Man muss sich vorher intensiv mit dem Redner und dem Thema auseinandersetzen. Nur dann kann man schnell genug begreifen und antizipieren, also in gewisser Weise vorausahnen, was der Redner im nächsten Moment sagen wird. Wenn er mit 'Guten Abend' beginnt, folgt sehr wahrscheinlich 'meine Damen und Herren'.
SPIEGEL ONLINE: Das klingt erst einmal einfach.
Heikamp: Es wird anspruchsvoll, wenn die Rede über solche Floskeln hinausgeht und es um Themen wie die sensorgestützte Müllsortierung oder Fehlbelegungsabgaben in der gemeinnützigen Wohnungswirtschaft in Frankreich geht. Man muss sich vorab genau einlesen. Während der Rede selbst muss ich mich zu hundert Prozent auf den Redner konzentrieren, sonst läuft er mir davon - das ist so, als passe man beim Dribbeln eines Balls nicht auf. Politikerreden zu übersetzen, ist besonders anspruchsvoll.
SPIEGEL ONLINE: Was ist daran so schwierig?
Heikamp: Achten Sie bei einer Rede von Barack Obama mal darauf, wie er den Kopf bewegt: von rechts nach links. Er liest vom Teleprompter ab und spricht dadurch viel schneller als bei freier Rede. Das gilt für viele Politiker und setzt uns Dolmetscher stark unter Druck. Man hält das oft nur zehn bis 15 Minuten durch, dann wechseln wir uns ab. Besonders tückisch wird es, wenn Politiker das Gegenteil von dem sagen, was man eigentlich erwartet.
SPIEGEL ONLINE: Zum Beispiel?
Heikamp: Als Boris Johnson nach dem Brexit-Votum überraschend verkündete, er wolle nicht der neue britische Premier werden, habe ich das zwar korrekt übersetzt, dachte aber voller Schreck: Hab ich mich verhört? Oder Silvio Berlusconi sagte als Ministerpräsident nach einem Erdbeben, es würde Italienern nichts ausmachen, in Zelten zu leben, denn sie seien das ja vom Urlaub gewöhnt. Da fragt man sich: Hat er so etwas Zynisches gerade wirklich gesagt? Bei Trump habe ich solche Schweißausbrüche andauernd.
SPIEGEL ONLINE: Was bringt Sie bei Trump so ins Schwitzen?
Heikamp: Trump kann den Ruf eines guten Übersetzers völlig ruinieren, denn er widerspricht sich innerhalb kürzester Zeit immer wieder, sodass die Zuhörer denken müssen: 'Was redet der Übersetzer da für einen Blödsinn?' Das, was Trump vorträgt, steht außerdem in diametralem Gegensatz zu dem, was seine designierten Minister sagen, und er springt von einem Thema zum nächsten. Erst schimpft er, in der Pharmaindustrie säßen Mörder, im nächsten Moment geht es nahtlos um den Freihandel. Er ist total spontan assoziativ, völlig unberechenbar. Da muss man beim Übersetzen höllisch aufpassen.

Norbert Heikamp arbeitet seit fast vier Jahrzehnten als Simultandolmetscher für die Sprachen Deutsch, Französisch und Englisch sowie Italienisch passiv. Er übernimmt Live-Übersetzungen für den WDR, Phoenix, ZDF und RTL und hat bereits diversen Politikern wie Barack Obama, Silvio Berlusconi und Theresa May seine Stimme geliehen.
SPIEGEL ONLINE: Ist Trump damit eine Ausnahmeerscheinung?
Heikamp: In gewisser Weise schon. Die allermeisten Politiker pflegen einen rationalen Diskurs. Es wird ein Problem erörtert und dafür eine Lösung geboten. Trump dagegen zündet lauter Nebelkerzen. Er sät bewusst Unverständnis. Das strapaziert unsere Denkgewohnheiten. Das ist wie beim Dadaismus. Es ist nicht vorhersehbar, was da kommt. Das macht das Übersetzen so extrem schwierig.
SPIEGEL ONLINE: Trumps Sprache ist oft rüde. Wie leicht gehen Ihnen seine Beschimpfungen über die Lippen?
Heikamp: Ich finde es durchaus wichtig, zum Beispiel Trumps sexistische Sprüche zu dolmetschen wie "'Fass ihnen an die Muschi", auch wenn ich solche Sätze an sich nicht gerne sage. Aber daran wird deutlich, was er für ein Mensch ist, wie er handelt.
SPIEGEL ONLINE: Wie gehen Sie mit Trumps Temperament um?
Heikamp: Ich habe Kollegen, die darauf bestehen, eine Rede rein sachlich wiederzugeben. Aber ich fürchte, dass Zuhörer abschalten, wenn es zu monoton wird. Deshalb bringe ich eine gewisse Tonalität mit rein und versuche bei Obama zum Beispiel, seine Lässigkeit zu transportieren. Trump wiederholt sich bei seinen Wutausbrüchen oft. Als er etwa bei einer Pressekonferenz einen CNN-Kollegen immer wieder mit den gleichen Worten beschimpft hat, habe ich das einmal übersetzt - und seine Rede dann im Original stehen lassen. Das fand ich am wirkungsvollsten.
SPIEGEL ONLINE: Wie bereiten Sie sich auf Ihren Dolmetscher-Einsatz bei Trumps Amtseinführung vor?
Heikamp: Ich habe mir die Abläufe genau angesehen und auch den Amtseid, den Trump ablegen wird. Darüber hinaus setze ich mich seit Monaten sehr intensiv mit ihm als Person auseinander, habe Biographien gelesen etc. Er ist ein absoluter Narzisst, der sein Geschäftsgebaren nun auf die Regierungsarbeit überträgt. Er hat nur eine Botschaft: I want to make the big deal. Ich will das große Geschäft machen. Immerhin kann ich Trump jetzt in dieser Hinsicht einschätzen.
SPIEGEL ONLINE: Sie sind offensichtlich kein Trump-Fan, leihen ihm aber Ihre Stimme. Ist das ein Konflikt für Sie?
Heikamp: Ich habe auf jeden Fall schon darüber nachgedacht: Wem darfst du deine Stimme leihen? Das ging mir das erste Mal so bei Frankreichs Rechtspopulistin Marine Le Pen. Da habe ich mich gefragt, welcher Kollege hat wohl früher den deutschen 'Führer' übersetzt und welche Verantwortung trägt man da. Das Argument, wenn ich es nicht tue, tut's ein anderer, finde ich schwach. Aber Trump ist ein demokratisch gewählter Politiker und der neue Präsident der Vereinigten Staaten. Den übersetze ich. Für die AfD oder NPD würde ich das nicht tun.