

Im Skandal um gekaufte Jura-Examen hat der angeklagte Richter Jörg L. überraschend ein Geständnis abgelegt. "Ich möchte die Verantwortung für mein Handeln übernehmen", sagte der 48-Jährige am Dienstag im Prozess im Landgericht Lüneburg. "Ich bin mir bewusst, wie groß der Schaden ist, den ich der Justiz zugefügt habe."
Der Jurist gab zu, als Referatsleiter im niedersächsischen Landesjustizprüfungsamt Referendaren Prüfungslösungen für das Zweite Staatsexamen verkauft zu haben. "Grundsätzlich räume ich die Vorwürfe genau so ein, wie die Staatsanwaltschaft sie mir vorwirft", sagte er. Nur in Einzelheiten wich er in seinem Geständnis von den elf in der Anklage genannten Fällen ab. In drei ergänzenden Punkten ging sein Geständnis sogar über die Anklage hinaus. Er habe den Referendaren helfen und seine Frau finanziell absichern wollen, erklärte er.
"Der größte Fehler meines Lebens"
"Ich weiß, dass das der größte Fehler meines Lebens war, und dass dieser nicht wieder gut zu machen ist. Ich habe mich zu etwas hinreißen lassen, was unentschuldbar ist", heißt es in der Erklärung, die Jörg L. am Dienstagvormittag in der Hauptverhandlung verlas.
"Wir werten das als umfassendes Geständnis", sagte Gerichtssprecher Volker König. Es sei nicht auszuschließen, dass ein Urteil in der kommenden Woche fallen könnte. Dem ehemaligen Richter drohen bis zu zehn Jahre Haft. Ursprünglich waren bis Ende Juni mehr als 50 Verhandlungstage angesetzt.
Die Staatsanwaltschaft wirft L., der seit dem Frühsommer in Bremen in Untersuchungshaft sitzt, Bestechlichkeit in besonders schwerem Fall vor, außerdem Verletzung des Dienstgeheimnisses und versuchte Nötigung. L. soll den angesprochenen Kandidaten mit einer Verleumdungsklage gedroht haben, falls sie ihn verraten.
L. habe elf Rechtsreferendaren Prüfungsinhalte und Lösungsskizzen für das zweite juristische Staatsexamen zum Kauf angeboten. Kontakt zu mutmaßlichen Käufern hatte der Richter regelmäßig: Seitdem L. vor drei Jahren, damals noch Richter in Celle, als Referatsleiter ans Landesjustizprüfungsamt wechselte, war er dort zuständig für juristische Staatsexamen. Außerdem hielt er Kurse für Examenskandidaten ab, die bereits einmal durch das zweite Staatsexamen gefallen waren.
Ein Auszug aus der Anklage:
Der Fall um Jörg L. ist nicht nur ein Skandal für die Justiz und die juristische Ausbildung in Niedersachsen, er klingt auch wie ein Drehbuch für einen bizarren Krimi: Erst Monate nachdem es die ersten Auffälligkeiten bei ungewöhnlich guten Examensprüfungen gab, brachte der Hinweis einer Referendarin die Ermittler Anfang 2014 auf die Spur des Richters.
Im März vergangenen Jahres wurde Jörg L. schließlich in einem Hotelzimmer in Mailand verhaftet - bei sich hatte er 30.000 Euro in bar, eine geladene Pistole und eine ehemalige Geliebte. Seit seiner Auslieferung nach Deutschland im Sommer sitzt er in Untersuchungshaft in Bremen, Mitte Dezember begann der Prozess.
Das Verfahren könnte auch für viele weitere Juristen brisant werden: Nach L.s Festnahme Ende März begannen Ermittler damit, die Klausuren von rund 2000 Juristen zu überprüfen, die seit 2011 in Niedersachsen ihr Examen abgelegt hatten - darunter auch gut 100 Juristen, die heute Richter oder Staatsanwälte sind.
In 15 Fällen wurden bereits Verfahren zur Examensaberkennung eingeleitet, sagt ein Ministeriumssprecher. Unter den Verdachtsfällen seien "keine Personen, die in der niedersächsischen Justiz beschäftigt sind" - was offen lässt, ob möglicherweise Betroffene bereits von sich aus gegangen sind. Sollte einem Richter das Staatsexamen aberkannt werden, könnte das nach Wiederaufnahme oder Revisionen eine Lawine von Neu-Prozessen auslösen, meinen Juristen.
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Ein Richter auf der Anklagebank: Der 48-jährige Jörg L. soll laut Anklage elf Rechtsreferendaren Inhalte des zweiten juristischen Staatsexamens verraten oder angeboten haben, dafür habe er teils fünfstellige Summen verlangt. Seit Mitte Dezember 2014 steht er deswegen vor Gericht.
Medienrummel beim Prozessauftakt im Gerichtssaal: Das Interesse an Jörg L. ist groß. "So ein Fall ist mir bundesweit nicht bekannt", sagte der Sprecher der Staatsanwaltschaft Verden, Lutz Gaebel. Der Prozess war auf mehr als 50 Tage angesetzt - ein Mammutverfahren, das nun doch zu einem früheren Ende finden könnte.
Der Angeklagte: Jörg L. (M.) hat am dritten Verhandlungstag ein Geständnis abgelegt. "Ich möchte die Verantwortung für mein Handeln übernehmen. Ich weiß, dass das der größte Fehler meines Lebens war", sagte der 48-Jährige.
Die Ankläger: Die Staatsanwaltschaft, hier Staatsanwältin Marie Tartz und Oberstaatsanwalt Marcus Röske, werfen Jörg L. Bestechlichkeit in besonders schwerem Fall vor, Verletzung des Dienstgeheimnisses sowie versuchte Nötigung. Dem ehemaligen Richter drohen bis zu zehn Jahre Haft.
Auf der Flucht: Anfang April wurde Jörg L. in Mailand gefasst. Bei seiner Festnahme in einem Hotel soll er laut Medienberichten eine geladene Pistole und 30.000 Euro bei sich gehabt haben. Er soll in Begleitung einer jungen Frau gewesen sein.
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