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Werbefeldzug der Bundeswehr "Muss ich da an die Front?"

Nachwuchsprobleme machen der Bundeswehr massiv zu schaffen. Schuld sind der Geburtenknick im Osten - und die Angst, im Auslandseinsatz zu sterben. Intensiv buhlt das Militär um die Soldaten von morgen und sucht ein modernes Image. Es ist eine höchst schwierige Mission.

An einem wolkenverhangenen Freitag rückt die Bundeswehr aus zu einer heiklen Mission. Drei blaulackierte Sattelschlepper rollen auf den Marktplatz in Nordhorn, sie postieren sich zwischen Kirche und Kastanienbäumen.

Angeführt wird die Truppe von Oberstleutnant Broich, der seine Männer dabei beobachtet, wie sie ihr Einsatzlager aufbauen. In wenigen Stunden ziehen sie eine Kletterwand und eine Quizbühne hoch, sie errichten einen Tresen und dekorieren ihn mit Schlüsselbändern. Sie hängen Plakate auf, von denen Frauen in Uniform mit viel Lipgloss lächeln. Am Ende leuchtet fast alles blau und modern.

Broich und seine Mannen befinden sich auf Werbefeldzug, es ist eine schwierige Mission. Sie ist auf der Suche nach Nachwuchs, nach den Soldaten von morgen.

Bundeswehr sucht ein attraktiveres Image

Denn ausgerechnet jetzt, da gute Leute gebraucht werden, da 6500 deutsche Soldaten in vielen Teilen der Welt für Frieden und Sicherheit sorgen sollen, ausgerechnet jetzt wollen immer weniger junge Menschen zum Militär.

Beinahe jedes Jahr zählt das Personalamt der Bundeswehr weniger Bewerber für Zeit- und Berufssoldaten. Waren es 2002 noch 55.864 Kandidaten, sank die Zahl im vergangenen Jahr auf 42 500. Dieses Jahr ist besonders schwierig, zum schwindenden Interesse der Schulabgänger verschärft der Geburtenknick im Osten den Nachwuchsmangel.

Gegenüber 2006 bewerben sich 15 Prozent weniger Jugendliche für den Dienst als Unteroffizier auf Zeit. Bei Offizieren beträgt der Rückgang 16 Prozent. Schon jetzt fehlen der Bundeswehr Ärzte, Minentaucher und andere Spezialisten.

Broich glaubt, den Grund für das Nachwuchsproblem erkannt zu haben. Die Leute wüssten einfach nicht, wie der Beruf des modernen Soldaten aussehe, sagt er. "Viele denken doch, wir laufen den ganzen Tag im Wald rum und spielen Krieg." Deshalb steht er jetzt mit den Trucks und seinen Jungs in Nordhorn. Sie sollen mithelfen, der Bundeswehr ein neues, attraktiveres Image zu verleihen, sie moderner, vielleicht sogar ein bisschen cool wirken zu lassen. Das Dumme ist nur, dass jetzt keiner auf den Marktplatz kommt.

Broichs Kollegen haben extra eine Drohne herangeschleppt, einen unbemannten Flugkörper, den sie Interessierten gern vorgeführt hätten. Vielleicht ist es nun aber ganz gut, dass keine Besucher kommen, denn die Soldaten wissen leider nicht, wie sie das Ding in die Luft kriegen sollen. Der Motor springt nicht an, weil der Computer abgestürzt ist.

Probleme mit der XXL-Generation

Fürs Erste zieht sich der Oberstleutnant in eine Kabine im Innern eines Trucks zurück und trinkt einen Espresso gegen die Tristesse. Broich wirkt deprimiert. 22 Schulklassen haben sie angeschrieben und sogar einen kostenlosen Abholservice angeboten. Angemeldet hat sich eine Realschulklasse.

Und bei der Laufkundschaft sieht es an diesem Tag auch nicht besser aus. Irgendwann steht dann doch ein Mann mit seinem pummeligen Sohn auf dem Marktplatz. Der Vater hat in der Zeitung von den Karrieremöglichkeiten bei der Bundeswehr gelesen.

"Weißt du denn schon, welcher Beruf es sein soll?", fragt ein Wehrdienstberater den Jungen. Der zuckt mit den Schultern. "Er will sich noch in alle Richtungen informieren", sagt der Vater. Der Wehrdienstberater drückt ihnen Broschüren in die Hand.

Broich kennt diese Fälle. Oft kommen Eltern, die nicht wissen, was aus ihren Kindern werden soll. Und oft haben sie Kinder dabei, die nur schwer zu vermitteln sind. Das Problem der Bundeswehr ist nicht nur, dass sich immer weniger junge Menschen für sie interessieren. Schlimm ist auch, dass unter denen, die wollen, immer seltener solche sind, die auch können. Zu viele Problemjugendliche. Zu viele Dicke. Im Bundeswehr-Jargon nennt man sie die XXL-Generation.

"Als ich unterschrieb, gab es noch keinen 11. September"


Broich geht zum Info-Tresen, er zeigt, welche Leistungstests Bewerber vor dem Dienstantritt bestehen müssen. "Das sind die Mindestanforderungen", sagt er und tippt auf die Liste: "15 Liegestütze in 40 Sekunden" steht da oder: "1500 Meter in 12 Minuten". Das reicht, um sich wenigstens die dicksten Brocken vom Hals zu halten.

Die "Nachwuchsgewinnung", so Generalinspekteur Wolfgang Schneiderhan, sei "die zentrale Herausforderung der Streitkräfte". Und die lässt sich die Truppe einiges kosten. Allein die Einsätze der blauen "Karriere-Trucks" kosten die Bundeswehr 1,5 Millionen Euro im Jahr. 2008 fahren die Werbewagen 40 Touren. Jedes Mal ist die Truppe mit bis zu 35 Leuten vor Ort.

Hinzu kommen Millionen für aufwendig produzierte Kino- und Fernsehspots. Außerdem war die Bundeswehr im zurückliegenden Jahr auf 43 Messen präsent, auch diese Besuche kosten eine halbe Million Euro. Gezielt steuern die Werber Arbeitsämter und Schulen an, am häufigsten im Osten Deutschlands.

Bilder von getöteten deutschen Soldaten schrecken ab

Im Arbeitsamt Chemnitz wimmelt es an diesem Herbstmorgen vor Real- und Hauptschülern auf der Suche nach einem Ausbildungsplatz. Etliche Betriebe sind mit einem Info-Stand angerückt, zwischen ThyssenKrupp und den Chemnitzer Stadtwerken leuchtet auch das Blau der Bundeswehr. Stabsfeldwebel Wendler ist extra früh aufgestanden, um sich einen der besten Plätze im Saal zu sichern.

Ein Junge mit Igelschnitt sagt, dass er entweder Kfz-Mechatroniker oder Landwirt werden wolle. "Dir ist aber schon klar, dass du dann auch Autos oder Panzer in Kabul instandsetzen musst?", fragt Wendler. Der Junge guckt irritiert. "Muss ich da an die Front?" Sein Vater fügt an: "Na ja, mein Junge meint, wenn er zum Beispiel in den Irak muss."

"Da sind wir nicht stationiert", sagt Wendler schnell, aber er kann die Situation nicht mehr retten, die Familie zieht zum nächsten Stand. Seit deutsche Soldaten nicht mehr nur in deutschen Kasernen die Gewehre putzen, sondern im Ausland ums Leben kommen können, ist die Nachwuchssuche erheblich schwieriger geworden. Manchen ist erst seit dem Afghanistan-Einsatz bewusst, dass der Soldatenberuf auch gefährlich sein kann.

Inzwischen gehgen die Militärs auch Umwege

Wendler seufzt. Echtes Interesse am Arbeitgeber Bundeswehr ist auch in Chemnitz nicht zu erkennen. Ein 17-Jähriger fragt ihn, ob er bei der Truppe günstig den Führerschein machen könne. Ein Mädchen will Krankenschwester beim Militär werden, aber in Sachsen bleiben. "Wir sind die Bundeswehr, keine Sachsenwehr", brummt der Stabsfeldwebel.

Und dann kommt auch noch der gepiercte Teenager, der mit Hilfe der Bundeswehr seinen Hauptschulabschluss nachholen will. "Junge, die Bundeswehr ist kein Bildungsinstitut", ruft Wendler genervt, aber dann reißt er sich zusammen. "Also, wir können dir Lohn und Brot für vier Jahre bieten, wie wäre es zum Beispiel mit Rettungssanitäter?"

"Uuh, nix mit Blut", sagt der Gepiercte. "Na, dann Kraftfahrer", sagt Wendler und drückt ihm die Broschüre in die Hand. In der Zielgruppe der 14- bis 23-Jährigen könne sich jeder siebte junge Mann grundsätzlich vorstellen, Soldat zu werden, hat das Sozialwissenschaftliche Institut der Bundeswehr ermittelt. Doch die Bilder von getöteten deutschen Soldaten schrecken ab, hinzu kommen die Vorurteile. Längst hat sich unter jenen, die etwas vorhaben mit ihrem Leben, die Ansicht verbreitet, die Bundeswehr sei ein Club der Verlierer.

Um diesem Image entgegenzutreten, gehen die Militärs inzwischen auch Umwege. Fast überall, wo viele Menschen zusammenkommen, ist die Bundeswehr in Stellung, sogar auf der "Infa Messe" in Hannover, einer Verbraucherveranstaltung, die im Volksmund auch Hausfrauenmesse heißt.

Er lebnisse in Kabul und im Kosovo

Man treffe wichtige "Multiplikatoren" bei solchen Ereignissen, sagt Hauptfeldwebel Thorsten Kramer, schließlich hätten Mutter oder Großvater auch Einfluss auf den Berufsweg der Kinder.

Zwischen Staubsauger- und Wurstfabrikanten erzählen zwei Feldjäger im Tarnanzug von ihren Erlebnissen in Kabul und im Kosovo. "Wer bei uns unterschreibt, der weiß, worauf er sich einlässt", sagt der eine. "Na ja", erwidert der andere. "Als ich unterschrieb, gab es noch keinen 11. September."

Hauptfeldwebel Kramer rührt derweil mit der Hand durch die Lostrommel der Tombola. Er sieht glücklich aus, es haben viele mitgemacht. Mütter und Kinder haben Name, Alter und Anschrift ausgefüllt und auf den Adress-Berg geworfen. Es gibt einen MP3-Player und eine Laptop-Tasche zu gewinnen. Der Hauptfeldwebel wird nun ein paar Gewinner ziehen, die sich freuen dürfen.

Das Wichtige aber sind die Adressen der vielen Verlierer. Die wandern nach der Ziehung nicht in den Müll, sondern in die Datenbank der Bundeswehr. Der Feldzug geht weiter.

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