
Ritter-Rollenspieler: "Mit dem Image müssen wir leben"
Mittelalter-Rollenspiele Die Hiebe sind ein seltsames Spiel
Ein Tag im Herbst, mitten in einem Berliner Stadtpark: Zwei junge Männer mit Ritterhelm zücken ihr Schwert und gehen schreiend aufeinander los. Sie kreuzen ihre Kurzwaffen, setzen Treffer auf Kettenhemd und Kopfbedeckung, taumeln manchmal gar unter der Wucht der Schläge. Wären die Schwerter schärfer und spitzer, würde vielleicht einer der beiden bald seinen letzten Atemzug tun, aber so weit soll es bei aller Detailtreue dann ja doch nicht gehen. Außerdem sind sich die Kombattanten in Wahrheit ziemlich wohlgesinnt.
Die Männer, die da in einer öffentlichen Grünanlage aufeinander eindreschen, sind die Zwillingsbrüder Frank und Volker Berliner. Im Studium gehen die beiden unterschiedliche Wege - Frank studiert VWL im achten, Volker Informatik im zehnten Semester. Was ihre Freizeitgestaltung angeht, sind sich die Geschwister aber sehr einig: rausfahren, Ritter spielen.
Die Begeisterung für Rüstungen, Schwerter und mittelalterliche Gelage teilen die beiden 24-Jährigen schon seit ihrer Kindheit. Cowboys fanden Frank und Volker von jeher langweilig, so richtig männlich und martialisch erschienen ihnen nur die Rittersleut' aus dem 13. bis 15. Jahrhundert. Erst lebten die Brüder ihre Leidenschaft mit Hilfe von Büchern, Filmen und Computerspielen aus, doch das war ihnen irgendwann nicht mehr genug. 2006 taten sie sich mit einem Kumpel zusammen und gründeten die "Berliner Rittergilde" - es war der Beginn einer Erfolgsgeschichte. Fast überall in Deutschland ist die Begeisterung für Rollenspiele und mittelalterliche Szenarien groß; der Berliner Trupp umfasst mittlerweile etwa 60 Mitglieder, ein Viertel davon Studenten.
Haben die alle einen Hau?
Alle zwei Wochen kommen die Freizeitritter zusammen, um sich im Schwertkampf zu üben - ein Spektakel, das immer wieder Spaziergänger zu einer kurzen Pause animiert. Auch in der U-Bahn und im Bus ziehen die Geharnischten Blicke auf sich, gelegentlich lässt sich ein Recke in voller Montur auf dem Fahrrad bewundern. Regelmäßiges Training ist wichtig, denn die Gruppe tritt auf Mittelalter-Märkten oder bei Ritterspielen auf. Wer will, kann sie aber auch privat buchen, zum Beispiel, um Opa zum 80. Geburtstag unter lautem Trommeln der Landsknechte zum Ritter schlagen zu lassen.
Die Gilde stellt eine fiktive Söldnertruppe aus dem 13. Jahrhundert dar und wirkt auf den ersten Blick ziemlich authentisch. Viele Mitglieder haben zwischen 700 und 1000 Euro in ihre Ausrüstung investiert und tragen Kettenhemd, Bein- und Armschützer, Eisenhelm und Federstahl-Schwert. Chef-Ritter Frank hat sich sogar eine Prinz-Eisenherz-Frisur schneiden lassen, damit er auch unter seiner Kopfbedeckung einigermaßen original aussieht. Man könne sich allerdings um noch mehr Detailtreue bemühen, gibt Frank zu. So kämpften viele Rollenspieler mit typischen Schutzschilden aus Holz, während die Rittergilde sich mit Metall begnügt. "Außerdem tragen wir keine original mittelalterliche Unterwäsche." Derlei Miederware gibt es in einschlägigen Läden und Online-Shops durchaus zu kaufen.
Das Hobby der Geschwister Berliner und ihrer Waffenbrüder mag auf manchen Betrachter verstörend wirken. Wie viel Freak muss in Leuten stecken, um zweiwöchentlich schwerterschwingend aufeinander loszugehen? Was finden die dabei, Met aus Füllhörnern zu trinken und beim Gelage Brot, Schmalz und Schweinshaxe in sich reinzustopfen, als gäbe es kein morgen? Haben die alle einen Hau?
"Und ja, vielleicht bin ich auch ein bisschen verrückt"
"Mit dem Image müssen wir leben", sagt Volker Berliner, "und ja, vielleicht bin ich auch ein bisschen verrückt. Aber auf eine gute Art." Frank, Volker und ihre Kumpane wollen sich bewusst abgrenzen von all denjenigen, die das Mittelalter für ihre Zwecke umdeuten. Da gibt es jene, die die Zeit romantisch verklären, dem Minnesänger Walther von der Vogelweide huldigen und bei jeder sich bietenden Gelegenheit die Schalmei auspacken. Oder aber jene, die das Mittelalter als Vorwand nutzen, um Dinge zu tun, die im 21. Jahrhundert entweder nicht mehr gut ankommen oder gar strafrechtlich relevant sind.
Berüchtigt sind zum Beispiel die Freizeitritter, die Festivals und Märkte nutzen, um betrunken, rülpsend und Popo-grabschend übers Gelände zu wanken. Motto: wenig Geist, kaum Moral. Oder all jene, die die Kräuterlehre der Hildegard von Bingen oder den Schamanismus vorschieben, um sich althergebrachte Drogen wie Stechapfel oder Engelstrompeten einzupfeifen. Dann noch die Gothic-Fans, die das Mittelalter wegen der düsteren Musik, der Pest, der Hexenverbrennungen oder Zahnbehandlungen ohne Betäubung interessant finden.
In der "Berliner Rittergilde" hält man es eher mit den alten Tugenden: dem Maßhalten, der Treue, dem Hofieren der Frauen. "Wir streben charakterlich nach einem Ideal, und nur, wer seinen Charakter positiv formen will, wird bei uns aufgenommen", sagt Frank Berliner. So werden die Bewerber genau geprüft, ob sie geeignet sind, der Gilde beizutreten. Erachtet die Rittergilde die Aspiranten für würdig, werden sie in Geschichte, Philosophie und Militärtaktik geschult. Die geistige Weiterbildung ist für die Ritter-Chefs eine Selbstverständlichkeit - jeder soll möglichst auf dem neuesten Stand der Geschichtsforschung sein, um sich auf Festivals realistisch zu gebärden und keinen Unfug daherzuplappern.
Bislang haben die hohen Anforderungen an die Bewerber der Gilde nicht geschadet. "Wir freuen uns über einen großen Zulauf", sagt Frank. Was auch daran liegt, dass seine Truppe sich leichter tut mit der Aufnahme von Frauen als vergleichbare Ritterspieler; den Mädels ist lediglich die Teilnahme an Schwertkampf-Shows untersagt. Für Frank hat sich die Zulassung von Bäuerinnen und Burgfräuleins gelohnt: Seine Freundin Anna hat er kennengelernt, als er gerade in einer Ritterrüstung steckte.