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Uni-Stadt Duisburg: Und was machen wir jetzt?

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Party-Logbuch Duisburg "Anderswo ist auch scheiße"

Diese Stadt hat's nicht leicht: In Duisburg können Studenten zwar studieren - aber können sie dort auch feiern? Markus Flohr jedenfalls hatte Spaß beim Kneipenmarathon mit MSV-Ultras, lernte deren Lieder und tanzte in einem Rittersaal aus Pappmaché, bis der grüne Morgen graute.

Vortag: Ich will ausgehen in einer heimgesuchten Stadt: Duisburg, am Rande des Ruhrgebiets, kurz vor Holland, tief im Westen. Ohne Fußballmeister wie Dortmund, ohne Grönemeyer wie Bochum, dafür aber mit der Katastrophe bei der Love Parade und einem störrischen Ex-Bürgermeister namens Sauerland.

Duisburg hat ein Problem mit seinem Leumund - wie mit einer Krankheit, die man nicht loswird. "Du fährst nach Duisburg? Duisburg ist ein Heroinabhängiger auf kaltem Entzug", sagt mein Freund Fefczak, der lange dort gelebt hat. Die Kohle ist weg, der Stahl ist weg, sie haben Duisburg verbraucht. Und jetzt? Fefczak wohnt heute in Berlin. Ob er mitkommt? Ja, nee, keine Zeit.

17.00 Uhr Mein neuer Begleiter für die Nacht heißt Zlatan und holt mich am Bahnhof ab. "Wir laufen heute in Hochfeld von Kneipe zu Kneipe", sagt er. "Ein Laden, ein Bier." Hochfeld? Duisburg-Ruhrort kenne ich. Schimanski, Schiffe und so. Aber Hochfeld? "Hochfeld liegt am Rand der Innenstadt", sagt Zlatan, "und hat nicht den besten Ruf. Ich komme hier gut zurecht. Wird eine lange Nacht. Bist du fit?", fragt Zlatan und niest kräftig. Seine Augen sind glasig. Grippe.

19.00 Uhr Vor dem "Heimat Hochfeld" stehen zehn Jungs, gerade volljährig, und zwei Mädchen. Sie gehören zu einem Ultra-Fanclub des MSV Duisburg. Sie tragen schwarze Sportjacken, Dreiviertelhosen, Turnschuhe. Sie haben Baseball-Caps auf dem Kopf, einige der Jungs sind tätowiert.

Magnus, dichter Bart, doppelt so alt wie alle anderen, ist auch dabei. Er zieht sich das Hemd hoch. Unter der rechten Achsel kommt das Bild einer leichtbekleideten Frau zum Vorschein. "Wie heißt denn deine Neue?", fragt einer. Zlatan trinkt sein erstes Bier, mit jedem Schluck wird seine Stimme brüchiger. "Ich glaube, ich steige lieber aus. Zu krank." Wieder einen Begleiter verloren. Ich schließe mich den Ultras an, obwohl ich keinen kenne.

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19.10 Uhr: Zweite Kneipe: das "Kreta". Wir reden über Fußball. Über den MSV aus Duisburg. Darüber, wie viele Läden wir in den nächsten Stunden schaffen. Man scheint diesen Abend als Sportveranstaltung zu verstehen. Am Ende soll es in die Innenstadt zum Tanzen gehen. Magnus zeigt mir auf der Toilette eine Sehenswürdigkeit: ein Becken in Brusthöhe, mit zwei Stahlgriffen an beiden Seiten. "Das gab es früher überall, so ein Kotzbecken. Hör ma', da weißt du gleich, worum et geht, wa?"

19.20 Uhr: Das Ultra-Team steht wieder auf der Straße, die nächste Kneipe zittert schon. Magnus erklärt mir Hochfeld: Hier sind die Menschen arm, hier wohnen viele Migranten, Türken und so, und seit kurzer Zeit lauter Bulgaren. "Die hausen zum Teil zu zwölft in winzigen Zimmern und schlafen auf siffigen Matratzen. Die Männer machen harte Jobs für lächerlich wenig Geld. Wände rausreißen." Im Norden des Stadtteils ist das Rotlichtviertel von Duisburg. "Da streiten sich Hells Angels und Bandidos, wer das Sagen hat."

19.30 Uhr: Die nächste Kneipe heißt Egli, und die griechische Wirtin erklärt, das bedeute "Glanz". An der Wand hängen eine griechische Flagge und Bilder von der Akropolis. In der Luft hängen Rauch und Schnaps. Männer spielen Backgammon. Ein Ultra will tanzen. "Habt ihr 'Griechischer Wein' von Udo Jürgens?" Die Wirtin schaut gequält. Ein anderer Ultra geht zum Tresen "13 Bier bitte!" Jetzt schaut die Wirtin fragend: "Seid ihr alle 18?"

19.40 Uhr: Um die Ecke haben die Bandidos eine neue Bar aufgemacht. Wir stehen auf der Schwelle und fragen nach Bier. Ein Mann mit Bart und Jeans schaut erst auf unser Ultra-Kommando, dann hilflos zu seinem Kollegen. Er sagt: "Bier? Hier gibt es kein Bier." Im "Hochfelder Markt" gibt es zwar Bier, aber auch keinen Udo Jürgens, dafür aber die ersten Fangesänge: "Wir gehen voran, als zwölfter Mann, ganz egal wie weit, ob Sturm, ob Schnee, MSV Duisburg allez!" Dazu breiten die Ultras ihre Arme aus und klatschen im Takt. Die Gruppe ist kleiner geworden, kaum noch Bewegung. Wollten wir nicht tanzen gehen? Die Innenstadt ist nicht mehr weit. Ich mache mich allein auf den Weg.

22.00 Uhr: Vor einem Laden, der "goldengrün" heißt, treffe ich Anke und Markus. Die Straße hier ist aufgerissen worden, das ist schon ein wenig her, aber geteert hat sie niemand. Staub, Erde, Steine und Dreck wandern langsam auf den Bürgersteig. Duisburg, das kann man überall sehen, ringt mit seiner Armut und damit, sich ein Image zu geben. Einen berühmten Sohn hat die Stadt: den aus Holland übergesiedelten Geografen Mercator, der vor etwa 500 Jahren den Globus erfand. Jetzt tapeziert das Stadtmarketing alles mit Plakaten voll, auf denen "Duisburg 2012 - 500 Jahre Mercator" steht. Im "goldengrün" hängt stattdessen ein Plakat von "Tatort"-Kommissar Schimanski, dem berühmtesten Duisburger der Neuzeit. Auch wenn der kein richtiger Duisburger ist. Markus sagt: "500 Jahre Schimanski - auch kein schlechter Slogan."

23.00 Uhr: Im Café Zentral treffen wir Can. Er ist Kurde und hat so etwas wie einen Wollknäuel auf dem Kopf, weil er auf einer Indien-Reise den Glauben der Sikh angenommen hat. Vor vielen Jahren ist er nach Duisburg gekommen, um "hier ein wenig Kultur aufzubauen". Jazz, Filme und solche Dinge. "Ich muss dir etwas erklären", raunt Can, "du bist jetzt in Duisburg. Du bist ganz unten." Markus will widersprechen, zuckt dann aber mit den Schultern. Vor dem Fenster gähnt eine Baustelle in den Abend, und über den Dächern leuchtet der grün angestrahlte Stadtwerke-Turm. Drei Abluftschornsteine eines Heizkraftwerks, mitten in der Stadt. Duisburgs Wahrzeichen.

24.00 Uhr: Wir wollen tanzen. In der City ist nicht mehr viel los - also fahren wir raus, zu einem Schloss aus Pappmaché, das Pulp heißt. Drinnen sieht es aus wie am Set von "Herr der Ringe": merkwürdige Fabelfiguren an der Wand, phantastische Wappen, falsche Kronleuchter unter der Decke, dicke Holztafeln als Tische. In der Eingangshalle gibt es ein Selbstbedienungsrestaurant, an langen Spießen werden Hähnchen gebraten. Auf drei Tanzflächen läuft alles durcheinander: Bon Jovi, Xavier Naidoo, Techno, House. Hier tanzt die Ruhrpott-Jugend. Es ist voll, und das will etwas heißen, denn das "Pulp"-Schloss ist riesig.

Als Raucherecke dient ein an der Außenwand befestigter Käfig mit dicken Gitterstangen, unter dem die Gleise zu Duisburgs Güterbahnhof führen. Kein Zug weit und breit. Anke sagt, einen solch merkwürdigen Laden gebe es doch überall. Sie ist gerade aus Berlin nach Duisburg zurückgezogen - eigentlich kommt sie von hier. "Nur die Duisburger haben ständig das Gefühl, sich für ihre Stadt entschuldigen zu müssen." Markus sekundiert: "Anderswo ist auch scheiße."

5.00 Uhr: Ein letztes Bier beim Imbiss neben dem grünen Stadtwerke-Turm. Gegenüber schimmert grell die Leuchtreklame eines Bordells. Markus schaut am Turm hoch. Bald werde der abgerissen, sagt er, "wird nicht mehr gebraucht". Das Kraftwerk - abgeschaltet. Zu alt, zu dreckig. Das Wahrzeichen einfach stehen zu lassen, ist der Stadt und RWE zu teuer. Der Turm muss weg. Dies wird nicht mehr gebraucht, das wird nicht mehr gebraucht. Duisburg, die Stadt, die nicht mehr gebraucht wird. Das Herz des Kapitalismus schlägt heute woanders. Wir essen noch eine Currywurst. Und hoffen auf weitere 500 Jahre Schimanski.

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