Empfehlung für Eltern Ab wann sollten Kinder ein Smartphone bekommen?
"Aber alle haben ein Handy. ALLE!" Werden Eltern von ihren Kindern mit diesem Satz konfrontiert, können sie - zumindest bei den unter 14-Jährigen kontern: Nicht ganz.
Laut der aktuellen KIM-Studie haben 32 Prozent der Zehn- bis Elfjährigen ein Handy, 29 Prozent ein Smartphone. Bei den 12- bis 13-Jährigen haben bereits 28 Prozent ein Handy und 55 Prozent ein Smartphone. Fest steht: Die Smartphone-Nutzer und -Besitzer werden immer jünger.

Kristin Langer ist Diplom-Pädagogin, Schwerpunkt Medien. Als freie Medienpädagogin berät sei bei Elternabenden an Schulen und in Kindergärten und bildet Lehrer, Schüler und Erzieher zu Themen rund um digitale Medien fort. Die Initiative schau-hin.info unterstützt sie als fachliche Beraterin. Sie hat eine Tochter, die zum Glück schon alt genug ist für ein Smartphone.Initiative "Schau hin"
SPIEGEL ONLINE: Bald geht die Schule wieder los. Viele Eltern von Fünftklässlern fragen sich, ob ihr Kind jetzt ein Smartphone braucht.
Langer: Ja, die meisten Eltern stellen sich diese Frage aus Sicherheitsgründen, weil der Schulweg nun länger ist, zum Beispiel. Wenn es allerdings nur darum ginge, würde ja ein Handy reichen. Der Druck, ein Smartphone anzuschaffen, ist jedoch gestiegen - eben weil schon so viele Kinder in dem Alter eins haben.
SPIEGEL ONLINE: Wie lautet Ihr Rat?
Langer: Kinder sind neugierig und haben Wünsche, deshalb wollen sie solche Dinge nutzen - und die meisten kommen gut damit klar, technisch damit umgehen können sie ja längst. Eltern sollten sich trotzdem gut überlegen, ob sie einem zehnjährigen Kind ein Smartphone in die Hand drücken. Denn: Sie sind teuer, man darf sie nicht verlieren, da darf nichts drankommen, und es darf nicht geklaut werden. Und in der Schule ist es nicht erlaubt. Ein Smartphone ist also auch mit mehreren Stressfaktoren belegt, das kann ein zehnjähriges Kind belasten.
SPIEGEL ONLINE: Ab wann sind Smartphones okay?
Langer: Der Elternratgeber "Schau hin!" empfiehlt ein Smartphone ab elf oder zwölf Jahren. Dann sind Kinder in der Regel emotional so gefestigt, dass sie sagen können: Ich will mir kein Video anschauen, in dem jemand gefoltert wird, auch wenn meine Klassenkameraden sich das angucken.
SPIEGEL ONLINE: Genau davor haben viele Eltern Angst: Dass ihr Kind mit verstörenden Inhalten konfrontiert wird.
Langer: Ich weiß. Dazu muss man allerdings sagen, dass sich gerade die Kleinen eher harmlose Dinge zuschicken. Es hängt aber auch immer von der Persönlichkeit des Kindes ab: Das eine geht ganz anders zum Beispiel mit Fotos von Verletzten um als ein anderes. Da sollten Eltern schauen, was für ihr Kind gut ist. Sie kennen es schließlich am besten. Generell ist es völlig legitim, dass Mütter und Väter sagen: Dieses und jenes wollen wir nicht. Und auch trotz der großen Kulleraugen ihrer Kinder sollten sie nichts tun, bei dem sie ein schlechtes Gefühl haben.
SPIEGEL ONLINE: Auf der anderen Seite steht die Sorge, das eigene Kind auszugrenzen, wenn man ihm kein Smartphone besorgt. Schließlich läuft die Kommunikation in vielen Klassen mittlerweile vor allem über WhatsApp-Gruppen.
Langer: Das darf aus meiner Sicht nicht der Maßstab für die unteren Klassen sein. Meine Empfehlung: Beim ersten Klassenabend sollten die Eltern zusammen mit den Lehrern überlegen, wie die Medienerziehung aussehen soll. Als Medienpädagogin an Schulen und in Kindergärten mache ich die Erfahrung, dass, wenn Eltern sich trauen, ihre Bedenken auszusprechen, sie sehr schnell Unterstützung durch andere Eltern in der Gruppe finden. Und dann ist es gar nicht mehr so schwer zu sagen: Unsere Kinder bekommen in der fünften und sechsten Klasse noch kein Smartphone.
SPIEGEL ONLINE: Sollen Eltern ihr Handy zur Verfügung stellen, damit das Kind in WhatsApp-Gruppen sein kann?
Langer: Hm, ich würde davon abraten. Zum einen wollen Eltern sich ja nicht zum Sklaven ihrer Kinder machen. Zum anderen möchte man seine Kinder zur Selbstständigkeit erziehen. Die Kinder könnten auch telefonieren oder sich E-Mails schreiben, die am Familien-PC abgerufen werden können.
SPIEGEL ONLINE: Und was sollten Eltern beachten, die ihrem Kind schon ein Smartphone gekauft haben?
Langer: Wichtig ist, passwortgeschützte Sicherheitseinstellungen vorzunehmen , sodass Kinder nicht allein ins Internet gehen können. Auf jeden Fall sollte man Regeln aufstellen, wie man online miteinander umgeht, spricht und was man unterlässt - so etwas gibt es ja auch im Klassenverband oder in der Familie. Und wenn beschlossen wird, einen Messenger-Dienst zu nutzen, gibt es Alternativen, die datenschutzmäßig sicherer sind als WhatsApp, wie zum Beispiel Threema. Es hilft übrigens schon häufig, den Kindern zu sagen, dass WhatsApp laut den eigenen AGB erst ab 16 Jahren erlaubt ist.
SPIEGEL ONLINE: Finden Kinder nicht gerade Sachen spannend, die verboten sind?
Langer: Zehnjährige in der Regel nicht, die vermeiden lieber Ärger mit Erwachsenen.
SPIEGEL ONLINE: Sollten Eltern die Chats und Verläufe auf den Smartphones ihrer Kinder kontrollieren?
Langer: Nein. Eltern sollten die Privatsphäre ihrer Kinder respektieren. Wer zu große Sorgen hat und seinem Kind nicht vertraut, sollte lieber noch kein Smartphone erlauben. Genauso rate ich davon ab, dass Eltern das Smartphone nutzen, um zu gucken, wo sich ihr Kind befindet.
SPIEGEL ONLINE: Woran merken Eltern, dass ihr Kind online gemobbt wird?
Langer: Viele Kinder erzählen nicht, wenn sie gemobbt werden, weil sie denken, sie hätten einen Fehler gemacht. Eltern merken aber, wenn etwas nicht stimmt: Die Kinder wirken oft bedrückt, haben Bauchweh, Schulunlust, essen zu viel oder zu wenig. Gerade bei den Jüngeren brechen die Sorgen meistens hervor, wenn man sie in einer entspannten Situation direkt anspricht. Aber: Ob ein Kind gemobbt wird, hängt nicht nur davon ab, ob es ein Smartphone hat oder nicht.
Anmerkung der Redaktion: Seit wenigen Tagen gilt für WhatsApp eine neue Altersbeschränkung, der Messenger-Dienst ist nun ab 13 Jahren erlaubt - und nicht mehr, wie es noch vorher war und im Text heißt, ab 16.
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