Trotz zentralem Aufgabenpool Warum Abi-Prüfungen in jedem Bundesland anders sind

Abiturienten lesen sich vor Beginn der Prüfung die Abituraufgaben durch
Foto: Felix Kästle / picture alliance/dpaDas Abi-Chaos im Fach Mathematik ist perfekt. Schon gleich nach den Prüfungen hatten zahlreiche Schülerinnen und Schüler im Internet protestiert: zu viele, zu schwere Aufgaben, zu wenig Zeit. Nach Hamburg und dem Saarland passt auch Bremen den Bewertungsmaßstab teilweise an. Bayern räumt zwar ein, dass die Prüfungen etwas schwerer gewesen seien, als in den Jahren zuvor - ändert die Benotung aber nicht.
Abitur in Deutschland ist nicht gleich Abitur - es gibt erhebliche Differenzen: Unterschiedliche Lehrpläne und Bewertungsmaßstäbe führen dazu, dass jedes Bundesland seine eigene Reifeprüfung abnimmt. Im Süden und Osten haben sie's schwer, im Norden müssen Schüler für dieselbe Note weniger leisten - dieses Gerücht hält sich hartnäckig.
Das Abiturzeugnis, die Eintrittskarte in die akademische Welt, entscheidet auch über die berufliche Zukunft. Und je besser die Note, desto größer die Chancen, an einer begehrten Hochschule zu einem beliebten Fach zugelassen zu werden - egal, unter welchen Bedingungen diese Note zustande gekommen ist. Das Abitur ist ein Wettbewerb mit unfairen Mitteln.
Mit dem gemeinsamen Aufgabenpool sollte nun endlich alles fairer, vergleichbarer, besser werden. So zumindest hatten es die Kultusminister bei der Einführung 2016 versprochen. Das Prinzip: Die Länder machen Aufgabenvorschläge und schicken sie an das Institut für Qualitätsentwicklung im Bildungswesen (IQB), angesiedelt an der Humboldt-Universität Berlin.
Länder dürfen die Pool-Aufgaben abändern
Unter Leitung des Instituts prüfen Fachleute, ob das Niveau der Aufgaben stimmt. Anschließend können die Länder sich aus der Sammlung bedienen und ihre Abiturprüfungen mischen. So sollte theoretisch möglich sein, dass Schüler in Bayern und Bremen, in Nordrhein-Westfalen und Sachsen dieselben Formeln aufstellen, dieselben Gleichungen lösen müssen. Der Pool sei "ein wichtiger Schritt in Richtung Vergleichbarkeit", lobte die damalige Präsidentin der Kultusministerkonferenz (KMK), Susanne Eisenmann.
Was die Minister so deutlich nicht sagten: Die Länder dürfen die Pool-Aufgaben noch einmal abändern und auf die eigene Schülerschaft anpassen - und die meisten machen von dieser Möglichkeit auch regen Gebrauch. "Den Wortlaut der Aufgaben zu ändern, hat oft nachvollziehbare Gründe; formale, aber auch inhaltliche", sagt der Mathematiker Jens Mandavid, der für den Stark-Verlag Jahr für Jahr Abituraufgaben analysiert. Der Verlag bietet Bücher zur Prüfungsvorbereitung für alle Bundesländer an. "Die Originalfassung ist meistens nicht die am besten formulierte."
In der Praxis geht es allerdings nicht nur um Formulierungen. Mandavid und seine Kollegen haben Abituraufgaben der vergangenen Jahre verglichen und festgestellt, dass häufig ganze Aufgabenteile ergänzt oder weggelassen wurden. Außerdem änderten manche Länder sogenannte Operatoren ("Bestimmen" statt "Berechnen") oder verteilten die Leistungspunkte anders, als im Erwartungshorizont des IQB vorgesehen ist.
Eine Aufgabe, diverse Länder-Varianten
Im vergangenen Jahr zum Beispiel sollten Abiturienten in Nordrhein-Westfalen, Berlin, Brandenburg und Baden-Württemberg ein Gebäude berechnen, das mithilfe zweier Pyramiden konstruiert war. Während Schüler in Baden-Württemberg nur drei Teilaufgaben lösen mussten, umfasste die Klausur in Berlin und Brandenburg sechs. Die Berliner und Brandenburger Version enthielt dafür Zwischenergebnisse, damit die Prüflinge nicht mit falschen Zahlen weiterrechneten. Außerdem war eine Gleichung angegeben, die Schüler im Südwesten nicht als Hilfestellung bekamen.
Im Analysis-Teil, erhöhtes Anforderungsniveau, mussten sich Schüler in Hamburg, Rheinland-Pfalz und Schleswig-Holstein mit der Flugbahn einer Kugel beim Kugelstoßen beschäftigen. Zwölf Aufgabenteile, 42 zu erreichende Punkte, so hatte das IQB die Aufgabe ursprünglich konzipiert. Während Hamburg die Aufgabe unverändert übernahm, wurde in den beiden anderen Bundesländern jeweils ein größerer Aufgabenteil entfernt.
Schleswig-Holstein ersetzte zudem eine Teilaufgabe und formulierte weitere um. "Dadurch wurden sie deutlich besser lesbar und verständlicher", sagt Mathematiker Mandavid. Rheinland-Pfalz strich eine Aufgabe ersatzlos und ersetzte mehrere Teilaufgaben, "was sie zum Teil schwieriger werden ließ", urteilt der Experte.
Nach Ansicht des Experten, kann es durchaus sinnvoll sein, wenn Länder in die Gestaltung der Aufgaben eingreifen. Schließlich seien die Lehrpläne nach wie von unterschiedlich. Nur: Von gemeinsamen Aufgaben sollte man dann nicht sprechen.