Werbefeldzug der Bundeswehr Jagd auf die Jugend
Pascals Traum beginnt, als um 5.15 Uhr in der Kaserne sein Wecker klingelt. Er habe sofort das Licht angemacht, sagt er. Obwohl der Kamerad noch geschlafen hat. Er ist aufgestanden, hat sich seinen blauen Pullover angezogen und gewartet, dass der Bus ihn und 29 weitere Jugendliche endlich in die Heeresfliegerwaffenschule ins niedersächsische Bückeburg fährt.
An diesem Tag nämlich, so hat es die Bundeswehr versprochen, gibt es den "ultimativen Pilotentest". Pascal, 18 Jahre alt, wäre gern Pilot. Es gibt auch noch ein paar andere Programmpunkte für die drei Schnuppertage: ein Vortrag über die Pflichten der Fliegertruppe und ein Erfahrungsbericht aus Afghanistan. Aber was kann man einem jungen Mann schon groß erzählen, der wie Pascal einen Traum hat? Pascal möchte fliegen.
Die Jugendlichen, die nun etwas müde über das Gelände schlurfen, kommen aus der ganzen Republik. Sie sind zwischen 16 und 18 Jahre alt, keine Kinder mehr, aber auch noch keine Erwachsenen, und haben gerade Ferien. Da kamen die vielen Angebote auf der Jugend-Website der Bundeswehr gerade recht: Bergsteigen in Berchtesgaden, Beach-Camp auf Sardinien und eben Pilotentests in Bückeburg. Und das alles, wirbt die Bundeswehr, "for free".

Fliegen aufs Militär: Wie die Bundeswehr um die Jugend wirbt
Die Jugendzeitschrift "Bravo" zeigte dazu auf einer Internetseite ein buntes Werbevideo. Mit Popmusik und Urlaubsbildern sollten Jugendliche bei ihrer Abenteuerlust gepackt werden. Dass die jungen Menschen bei einem Auslandseinsatz möglicherweise töten müssen, dass sie am Hindukusch selbst sterben könnten, dafür war im Gute-Laune-Video offenbar kein Platz mehr. Denn auch die Bundeswehr hat einen Traum: möglichst viele neue Soldaten anwerben.
In Halle 5 sind schon mal die Hubschrauber ausgestellt. Ein Mann, der aussieht wie der amerikanische Action-Darsteller Vin Diesel, beginnt, die Jungen und Mädchen mit technischen Details zum "Eurocopter 135" zu bombardieren. Er ist seit 25 Jahren Pilot, hat über 4150 Flugstunden und wirkt ein wenig, als würde er über den Dingen schweben. Die Jugendlichen stehen im Halbkreis. Fast alle möchten sie einmal Pilot werden. Deshalb sind sie hier.
"Kohle, Rente, Sicherheit, verstehste?"
In den vergangenen Wochen gab es Streit, weil bei all der Öffentlichkeitsarbeit der Bundeswehr zu oft die Wörter "Fun" und "Action" vorkamen und selten von "Krieg" und "Auslandseinsatz" geredet wurde, einerseits. Andererseits müssen seit dem Wegfall der Wehrpflicht auch etwa 15.000 Soldaten auf dem freien Arbeitsmarkt rekrutiert werden. Zwar besuchen schon seit Jahrzehnten Jugendoffiziere Schulen und informieren über eine Karriere beim Bund, was ihr immer wieder Kritik einbringt. Doch mittlerweile betont sie auch laut und gern den Freizeitspaß der Truppe. Auf Bilder aus dem Bundeswehreinsatz wird dabei fast komplett verzichtet.
Die Bundeswehr braucht junge Rekruten - die sich, wenn es gut läuft, für viele Jahre verpflichten. "Ich weiß schon, dass man dann auch sein Land verteidigen muss", sagt Pascal. "Eben ein bisschen Action", sagt ein anderer junger Mann. Er wisse, dass viele deutsche Soldaten traumatisiert aus einem Krieg heimkehren und sich mehr Sorgen um ihr Leben machen als um die Frage, welcher Beach-Typ sie sind. Alle wissen das, sagt ein Presseoffizier. Die Frage ist nur, ob es auch alle verstehen.
Im hinteren Teil der Halle fragt ein junger Mann einen Piloten schließlich: "Hattest du schon mal den Gedanken, dass du nicht mehr nach Hause kommst?" Der Pilot erzählt leise von psychologischen Lehrgängen über Geiselnahmen und von seinen Eheproblemen. Die meisten bekommen davon allerdings nichts mit. Denn der Vin-Diesel-Typ hat sich gerade mit beiden Armen an das Heck des Eurocopters gehängt. Er baumelt dort wie eine deutsche Actionfigur. Pascal stellt viele Piloten-Fragen.
Neben dem Transporthubschrauber CH-536 langweilen sich Justin, 18 Jahre, und sein Kumpel Marc, 19. Beide planen eine Karriere bei der Bundeswehr. Sie haben sich dafür am Morgen nicht besonders beeilt und sind von den naiven Fragen hier genervt. Marc war vergangene Woche schon in Berchtesgaden klettern, genau wie ein paar andere Jugendliche aus der Gruppe auch. Justin denkt sowieso schon bei jeder überflüssigen Schulstunde daran, was er in dieser verlorenen Zeit alles verdienen könnte. Beide wollen zur Armee, weil der Job vor allem krisenfest ist: "Kohle, Rente, Sicherheit, verstehste?", sagt Justin.
Die Worte "Sicherheit" und "Traum" könnten tatsächlich noch einmal für ein Werbevideo wichtig werden. Denn irgendwo zwischen Justins Pragmatismus und Pascals Pilotenwunsch gibt es eine Schnittmenge, aus der zwischen Bückeburg und Berchtesgaden künftig der Nachwuchs rekrutiert wird.
Am Nachmittag findet im Medizinischen Institut schließlich der "ultimative Pilotentest" statt. Pascal ist etwas deprimiert. Oft hat er zu Hause am PC geübt. Er hat sogar so lange auf einem Segelfliegerplatz herumgehangen, bis ein Pilot ihn mitgenommen hat - und trotzdem ist er vorhin mit dem Hubschrauber im Flugsimulator gegen einen Zaun geflogen. "Typisch Segelflieger", hat der Bundeswehrpilot gesagt.
Popmusik und Hubschraubereinsatz
Pascals Mission lautet nun: verletzte Kameraden eines abgestürzten Hubschraubers in Kunduz retten. Für niemanden in der Gruppe ist dieses Szenario befremdlich. Noch nie hätte ihn jemand auf diesen Hubschraubereinsatz angesprochen, sagt ein Fluglehrer. Und das ist vielleicht auch das Problem: Mission, Verletze, Kunduz. Lauter Worte, die an diesem Tag von bunten Bildern verdrängt werden. Jeder dieser jungen Leute weiß, dass die Bundeswehr eine Truppe im Einsatz geworden ist, aber im Kopf läuft dazu häufig nur die Popmusik aus dem Werbevideo. Der andere Auftrag wäre gewesen, einen Lastwagenkonvoi in Afghanistan zu fotografieren.
Pascal sitzt in einem kleinen nachgebauten Cockpit, in der Hand ein Steuerknüppel, vor ihm eine riesige gekrümmte Leinwand, der Rest des Raumes ist schwarz. Für ihn geht es jetzt um eine ganze Menge. Sein Vater ist Amerikaner und war im Golfkrieg bei der Air Force, er kennt ihn kaum. Seine beiden Großväter sind im Zweiten Weltkrieg sogar gegeneinander geflogen. Pascal kommt aus einer Fliegerfamilie und will endlich beweisen, dass seine Mutter sich zu Unrecht Sorgen macht. Pascal möchte zeigen, dass er fliegen kann.
Alles ein großes Computerspiel
Im Raum gegenüber sitzt Fluglehrer Klaus Reddmann und gibt über ein Mikrophon Anweisungen. Er ist 59 Jahre alt, seit 40 Jahren bei der Bundeswehr, seit 2008 betreut er die flugpsychologischen Tests. Im Gegensatz zu Pascal scheint er zu wissen, dass hier nichts entschieden wird. Es geht darum, junge Leute an die Bundeswehr heranzuführen. Eigentlich ist das hier auch kein richtiger Test, es ist ein großes Computerspiel. Bei dieser Mission kann man nur gewinnen. Selbst den schlechtesten Jugendlichen sagt Reddmann noch ein paar freundliche Worte.
Nach der Übung steht Reddmann vor dem medizinischen Institut und raucht. Seit dem Ende der Wehrpflicht ist die Zahl der Bewerber deutlich zurückgegangen. Wichtig sei, dass der erste Wunsch nicht Pilot laute, sondern Soldat, sagt Reddmann.
Dann kommt Pascal durch die Tür. "Könnte ich vielleicht noch eine Missionsreflexion bekommen? Ich glaube, ich habe bei der Mission etwas versemmelt", sagt er. Er möchte hören, ob er fliegen kann. Reddmann murmelt ein paar nett gemeinte Sätze. Pascal ist erleichtert. Dann muss er los.
"Ich gehe einfach davon aus, dass die Leute, die hier herkommen, sich vorher Gedanken gemacht haben", sagt Reddmann noch. Aber da ist Pascal schon weg. Es ist früher Abend. Und Pascal träumt immer noch.