Hochstapler als Gymnasiallehrer "Ein frecher Hund"

Er hat nie Abi gemacht, hat keinen Uniabschluss - trotzdem unterrichtete ein Elektriker aus Rheinland-Pfalz dank gefälschter Urkunden als Gymnasiallehrer. Erst nach fünf Jahren flog der Schwindel auf. Vor Gericht zeigte sich der Hochstapler nun reuig.
Amtsgericht in Landau: In der Stadt unterrichte der Lehrer zuletzt - bis er aufflog

Amtsgericht in Landau: In der Stadt unterrichte der Lehrer zuletzt - bis er aufflog

Foto: Ronald Wittek/ picture-alliance/ dpa

Sein Abiturzeugnis habe er sich in einer Kneipe abgeholt, so erzählt es der Angeklagte vor dem Landauer Amtsgericht. Das Zeugnis sei umsonst gewesen, er habe nur noch seinen Namen eingetragen, sagt der 43-jährige Elektriker. Und die Noten, will der Richter wissen, die habe er sich doch sicher selbst gegeben? Nein, beteuert der Angeklagte. Er habe das Punktesystem am Gymnasium doch gar nicht verstanden.

Punktesystem hin oder her, mehr als ein Jahrzehnt nach dem beschriebenen Zeugnishandel am Wirtshaustisch hat der Mann selbst Gymnasiasten unterrichtet und benotet. Deswegen, und wegen mehrerer gefälschter Zeugnisse, verurteilte ihn das Amtsgericht Landau nun zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren auf Bewährung wegen Betrugs und Urkundenfälschung. Rund fünf Jahre hatte er an verschiedenen Gymnasien unterrichtet, obwohl er als Schüler nur kurz die Realschule und danach die Hauptschule besucht hatte. Vor dem Richter räumte der Angeklagte all das ein. SPIEGEL ONLINE sagte er am Rande des Prozesses: "Ich habe betrogen, und dazu muss ich stehen."

In gelbem T-Shirt, Jeans und Sportschuhen tritt er im Gerichtssaal auf, er spricht breiten pfälzischen Dialekt. Bei Nachfragen an Richter oder Staatsanwalt sagt er statt "Wie bitte?" nur "Häh?". Als er an einem Gymnasium Unterrichtspläne erstellte, waren die voller Rechtschreibfehler, sagt einer seiner ehemaligen Schulleiter.

Schon als Schüler fälschte er Noten

Wie schafft es einer, jahrelang vor Schülern, Eltern und Kollegen den Gymnasiallehrer zu mimen? Und warum ist nicht viel früher jemand stutzig geworden?

Der Angeklagte beschönigt nichts. Er sei schon als Kind ein "frecher Hund" gewesen und habe auch damals schon Noten gefälscht. Nach der Hauptschule lernte er Elektriker, wie sein Vater. Gefallen habe ihm der Beruf aber nicht. Er schrieb sich an der Fachhochschule für Wirtschaftsingenieurwesen ein. Auch da habe es ihm nicht gefallen, aber er wollte sich, so sagt er es heute, vor seinen Eltern keine Blöße geben und ihnen einen höheren Abschluss präsentieren. Darum habe er auch das Zeugnisgeschäft in der Kneipe eingefädelt. Die Eltern hätten ihn unter Druck gesetzt, er solle Abi machen und studieren.

Mit seinem falschen Abi schaffte er es an die Universität Koblenz-Landau und schrieb sich für Sport ein. Ein Motorradunfall habe ihn daran gehindert, die praktischen Prüfungen zu absolvieren. Er fälschte wieder und flog zum ersten Mal damit auf. Wegen Urkundenfälschung verurteilte ihn ein Gericht zu 800 Mark Geldstrafe. Danach verließ er die Uni.

Unkonventionell, dienstbeflissen, locker

Auch ohne Zeugnisse gestaltete er seinen Lebenslauf und seine Karriere weiter so, dass sie den Eltern auf dem Papier gefallen mussten. Mit falschem Abi und einem gefälschten Zeugnis für das erste Staatsexamen mit der angeblichen Note 1,6 stellte er sich an einem Studienseminar in Baden-Württemberg vor - und schaffte sein erstes echtes Zeugnis seit seiner abgeschlossenen Berufsausbildung: Er bestand sein zweites Lehramts-Staatsexamen mit Note 3,5. Für eine Lehrerstelle hätte das kaum gereicht, in Bewerbungen gab er also eine 1,5 an. Das reichte.

Im Sommer 2006 startete er als Referendar an einem Gymnasium in Rastatt in den Lehrerberuf. Als Sport- und Biologielehrer sei er "sehr unkonventionell" gewesen, erinnert sich die damalige Schuldirektorin. Dienstbeflissen, aber locker, "die Schüler hätten wohl cool gesagt". Er habe sich insgesamt bewährt, sagt seine ehemalige Chefin, seine Referendarzeit bewertete sie mit "befriedigend".

2007 wurde er Beamter auf Probe, 2008 wechselte er an ein Gymnasium im rheinland-pfälzischen Landau. Wieder unterrichtete er Sport und Biologie.

Auch wenn er fachlich nicht überzeugte, Kollegen und Schülern war der falsche Lehrer durchaus angenehm. Zwar habe er "abstruse Antworten" gut benotet, berichtete ein ehemaliger Schüler der "Rheinpfalz". Und auch nach einem Jahr habe er noch nicht alle Schüler beim Namen nennen können. Die Atmosphäre im Bio-Unterricht sei aber sehr locker gewesen. Neben seiner Arbeit als Lehrer war der Hochstapler auch noch ehrenamtlich engagiert. Bis Mitte 2011 arbeitete er unter anderem als Handballtrainer. Er sei sehr zuverlässig gewesen, sagte ein Vereinsmitarbeiter dem Gericht und habe "durch seine Arbeit überzeugt". Ein Trainerschein sei daher nicht so wichtig.

Land fordert 75.000 Euro zurück

Im Sommer 2011, der Elektriker unterrichtete inzwischen im fünften Jahr, wurde sein Schulleiter Hans Peter Neumann stutzig und hakte nach. "Seine Leistungen in der Schule waren nicht mit seinen Zeugnissen in Einklang zu bringen", sagte Neumann SPIEGEL ONLINE im April. "Unterdurchschnittlich" nannte er sie nun vor Gericht. Neumann recherchierte, suchte die Abschlussarbeit seines Bio-Lehrers in der Uni-Bibliothek und fand nichts. Seine Nachfrage beim Landesprüfungsamt ließ den falschen Lehrer schließlich auffliegen.

Gut ging es ihm schon länger nicht. Sein Anwalt Stefan Beck sagte dem Mitteldeutschen Rundfunk, seit 2008 habe sein Mandant psychische Probleme, und er bedauere seine Taten.

Neben der Bewährungsstrafe muss der vermeintliche Lehrer 300 Stunden gemeinnützige Arbeit leisten - er hat aber noch ein weiteres Problem: Das Land Rheinland-Pfalz beziffert den Schaden, den er verursacht hat, auf rund 75.000 Euro. Das Geld fordert es nun zurück.

Mitarbeit: Sabine Schilling, "Die Rheinpfalz" 

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