Augsburger Jungwähler-Wette Voll Bock auf Kommunalwahl
Die Augsburger Medien waren irritiert. Da lag plötzlich dieser Umschlag im Briefkasten; ein Gummibärchen klebte dran. Dazu hieß es auf orange-schwarzem Briefpapier: "Das ist ein Gummibärchen. Ein Gummibärchen ist total allein und kann gar nichts erreichen." Und weiter: Der Stadtjugendring Augsburg lade zu einer Pressekonferenz, am 2. März 2007 in der Villa am Schwibbogenplatz 1. Mehr stand in dem Brief nicht.
Jugendring-Vorsitzender Raphael Brandmiller lüftete das Geheimnis: "Wir wetten, dass bei der Kommunalwahl im nächsten Jahr 11.000 Augsburger Jugendliche zur Wahl gehen." Zur Belohnung gäbe es am 31. Juli ein kostenloses Konzert auf dem Rathausplatz. Am Start eine "deutsche Kultband", als Vorbands zwei Nachwuchsgruppen aus der Augsburger Szene.
Eine kühne Wette. 11.000 junge Wähler, das wären 40 Prozent, also fast jeder Zweite aus der Altersgruppe zwischen 18 bis 27 Jahren. Bei der letzten Kommunalwahl in Augsburg nutzten rund 50 Prozent der Wahlberechtigten aller Altersklassen ihr Stimmrecht. Unter den Jungwählern liegt diese Zahl oft noch einmal bis zu 15 Prozent niedriger. Zum Vergleich: 35 Prozent der Jugendlichen gaben bei der letzten Landtagswahl in Bayern 2003 ihre Stimme ab.
Kreuzchen bei "Dubalapub" und "Selfmade Marmalade"
"Ein Teufelskreis", sagt Sebastian Kochs. Er arbeitet in der Projektabteilung des Stadtjugendrings und gehört zu denen, die sich die Sache mit der Wette ausgedacht haben. "Die Jugendlichen sagen: 'Wir interessieren die Politiker einen Scheißdreck'", sagt er. "Sie gehen erst gar nicht wählen, weil's 'ja eh nix bringt'. Im Gegenzug fragen Politiker: Warum sollen wir Jugendpolitik machen und ältere Klientel verschrecken, wenn die Jungen gar nicht wählen gehen?"
Kochs ist ein lässiger Typ; er trägt eine kantige schwarze Brille und einen silbernen Ohrring. Ihm traut man zu, mit jungen Leuten so zu reden, dass sie ihn verstehen. Er hat eine leer stehende Kneipe in der Augsburger Innenstadt angemietet, nennt sie jetzt "Wahllokal" - die Basis der "11Tausend"-Kampagne .
Lehrer laden in den letzten Wochen gerne ihre Schulklassen im "Wahllokal" ab. In lockerer Atmosphäre klärt Kochs die Jugendlichen über das komplizierte Kommunalwahlsystem auf: Was ist panaschieren, was kumulieren? Keine Ahnung? Damit die Teenager nicht gleich wieder abschalten, wird im "Wahllolkal" einfach mal so ein bisschen geübt, trocken gewählt quasi.
Die Jungwähler bekommen Stimmzettel, einen Stift - und sollen ihre Kreuze hinter den Namen von Augsburger Jugendbands machen, zwei von ihnen dürfen dann im am 31. Juli auf dem Rathausplatz auftreten. Die Gruppen heißen "Dubalapub", "Kopfsport", "Purblind", "Selfmade Marmalade". Im "Wahllokal" können die Jugendlichen noch mal schnell Probe hören und dann entweder einer Einzelband die Stimme geben oder auch der "Liste Indie-Pop". Fast wie bei einer richtigen Wahl. Kleiner Unterschied: Man steht an einem langen Tresen mit Kopfhörern und Ikea-Lampen. Ist ja auch viel lustiger.
"Ich wähle, weil ich mehr als Luft im Kopf habe"
Im Stadtbild mischen sich unter die biederen Wahlplakate mit ergrauten Politgrößen junge Gesichter, orange umrahmt. Auf den neuen Plakaten werben Jugendliche aus Augsburg für den größten Wahlverlierer der letzten Jahre - die Wahlbeteiligung. Ein großes Bild in der Mitte, drunter steht zum Beispiel: "Ich wähle, weil ich mehr als Luft im Kopf habe." Auch so eine "11Tausend"-Aktion.
Ein orangefarbener Bus tingelt durch die Stadt, damit es immer mehr Plakate werden. Geologiestudent Tobias Michel sitzt da drin, er hält Jugendliche an und fragt sie nach einem guten Spruch zur Wahl. Die meisten bocken, aber Tobias lässt nicht locker. "Die meisten sind überrascht, was ihnen einfällt, wenn sie mal nachdenken." Schnell eine Porträtaufnahme - knips - und ab damit in den Plakatgenerator im Bus. Schon hat jeder Jugendliche ein Wahlplakat mit eigenem Gesicht und Spruch.
Wenn Tobias den Satz "Politiker machen doch eh, was sie wollen" hört, hält er entgegen: "Politiker machen solange, was sie wollen, bis du aufstehst und ihnen in den Hintern trittst." Für viele Jugendliche in Augsburg ist "11Tausend" tatsächlich so etwas wie ein Wendepunkt: "Fanden sie Politik bisher scheiße, sind sie plötzlich begeistert, dass sie etwas zu sagen haben - und sich andere dafür interessieren", sagt Tobias Michel.
Wahlversprechen? - Nein, danke!
Aber - klappt die Wette? Sebastian Kochs hat täglich Zweifel. Auf der Internet-Seite von "11Tausend" läuft wöchentlich eine Wahlumfrage. Obwohl ein einfacher Klick genügt, haben nur fünf Prozent aller registrierten User abgestimmt. Die bange Frage: Wie viele raffen sich am Sonntag tatsächlich auf und gehen in die echten Wahllokale?
Selbst wenn es nicht klappen sollte - ein positives Fazit kann Kochs schon jetzt ziehen: "Viele Junge haben kapiert, dass man Politik nicht den Parteien überlassen darf. Wir haben den Spieß umgedreht und machen selbst Politik!"
Und: Seit sich Jugendliche in der "11Tausend"-Kampagne zusammentun und zur echten Lobby werden, lernen auch die Lokalpolitiker dazu. Wahlversprechen verkneifen sie sich dieses Mal - die glaubt eh keiner mehr. Bei den letzten Kommunalwahlen hatten die Parteien großspurig angekündigt, eine Neuauflage des legendären Augsburger "X-Large-Festivals" zu starten. Es blieb bei der Ankündigung.
Seit durch die Kampagne der Druck da ist, hat der Stadtrat ein neues Jugendkulturfestival abgenickt, das Kulturreferat finanziert erstmals seit 25 Jahren wieder einen Sampler der Augsburger Musikszene. CSU-Bürgermeister-Kandidat Kurt Gribl hat eine Popkommission gegründet, die junge Künstler fördern soll, mit einem fünfstelligen Etat, falls er Oberbürgermeister wird. Das ist zwar wieder ein halbes Wahlversprechen, aber aus der Nummer kommt Gribl nicht mehr raus.
Der Bürgermeister kam mit Fieber zum Rededuell
Tobias Michel reicht das nicht. Nach den Wahlen gehts weiter, betont er. "'11Tausend' ist Basisdemokratie. Jeder mischt sich ein und bestimmt mit. Wo gibt's sowas sonst?"
Die Landeszentrale für politische Bildung in Bayern kürte "11Tausend" schon zum Modellprojekt. Ende der Woche entscheidet sie, ob die Aktion auf ganz Bayern ausgedehnt wird; im Herbst sind in Bayern Landtagswahlen.
Und dann gibt es die Momente, in denen Michel, Kochs und die anderen "11Tausender" doch an ihren Erfolg glauben: zum Beispiel vor zwei Wochen, beim Rede-Duell des amtierenden Oberbürgermeisters Kurt Wengert (SPD) und seines Herausforderers Kurt Gribl (CSU). Ursprünglich sollten sie sich im Wahllokal behaken, aber da passen nur hundert Leute rein.
Es gingen so viele Karten weg, dass das Duell in ein Kino verlegt werden musste. Erst in den Saal mit 150 Plätzen, dann in den mit 360, schließlich in den größten mit 550 Sitzen. Ein echter Coup - als das "OB-Duell" losging, war das Kino berstend voll, Bürgermeister Wengert kam mit Fieber; eigentlich hatte er alle Wahlkampftermine für die Woche abgesagt. Nur diesen einen nicht: Das Duell war für ihn plötzlich ein Muss, da es im Lokalfernsehen übertragen wurde.
Am Sonntag wird in Bayern gewählt. Dann heißt es für die Augsburger wirklich: Top, die Wette gilt.