Ausbeutung im Altenheim Praktikant erhält 10.000 Euro Nachzahlung

Ein Jahr lang schuftete ein Jugendlicher im Altenheim, um eine Lehrstelle als Pfleger zu ergattern - und bekam sie nicht. Dafür bekommt er jetzt eine saftige Nachzahlung. Arbeitsrichter urteilten: Das Praktikum war keins, der Stundenlohn betrug sittenwidrige 1,30 Euro.

Na bitte, es gibt also doch ein anständiges Gehalt für ein Praktikum - zumindest wenn es sich dabei in Wahrheit um ein verdecktes Arbeitsverhältnis mit sittenwidrigem Lohn handelt. Praktikanten haben Anspruch auf vollen Lohn, wenn sie tatsächlich als Arbeitskraft eingesetzt werden, entschied das Arbeitsgericht Kiel in einem jetzt veröffentlichten Urteil. Im Rechtsstreit lagen dabei ein formell als Praktikant beschäftigter Kläger und der Betreiber eines Altenheims, ein Zweckverband mehrerer Kommunen.

Der öffentliche Heimbetreiber versprach dem Kläger einen Ausbildungsplatz zum Altenpflegehelfer, für den Fall, dass er nach einer mehrmonatigen berufsvorbereitenden Maßnahme im gleichen Betrieb ein langes Praktikum absolvieren würde. Das Praktikum trat der junge Mann auch an und schloss mit dem Altenheimbetreiber einen Praktikantenvertrag für ein knappes Jahr.

Zu lernen gab es indes nicht viel. Der vermeintliche Praktikant wurde wie ein Mitarbeiter in den Dienstplänen des Heims geführt und musste fortan den dienstlichen Weisungen des Heimpersonals folgen. Seine Wochenarbeitszeit betrug 38,5 Stunden, die Vergütung war auf monatlich 200 Euro festgelegt - was einem Stundenlohn von 1,30 Euro entspricht.

Als der Heimbetreiber nach den insgesamt 17 Monaten Berufsvorbereitung und "Praktikum" nicht wie vorher vereinbart einen Ausbildungsvertrag anbot, klagte der Praktikant. Er verlangte die übliche Vergütung für Wohnbereichshelfer, also einer hauswirtschaftlichen Hilfskraft, in Höhe von monatlich 1286 Euro. Seine gesamte Forderung belief sich auf 10.317 Euro.

Richter kritisieren "unzulässigen Lohnwucher"

Die Arbeitsrichter gaben dem Kläger in vollem Umfang Recht. Der Zweckverband, der das Heim betreibt, hatte nichts dazu vorgetragen, welche Fähigkeiten der Kläger erlernen musste. Das Vertragsverhältnis sei mithin kein Ausbildungs-, sondern ein Arbeitsverhältnis gewesen, so die Kieler Richter. Entscheidend sei nicht der Vertragswortlaut, sondern die praktische Durchführung des Vertragsverhältnisses (Aktenzeichen 4 Ca 1187d/08).

Besonders betonten die Richter das Missverhältnis einer insgesamt 17-monatigen Vorbereitungszeit für eine anschließende 18-monatige Ausbildung zum Altenpflegehelfer. Für ein Arbeitsverhältnis sei die vereinbarte Vergütung von 200 Euro sittenwidrig und stelle unzulässigen Lohnwucher dar. Das Urteil wird vier Wochen nach der Zustellung an den Beklagten offiziell rechtskräftig, sofern es keine Anfechtung durch den Heimträger gibt.

Zwei Petitionen gegen die Ausbeutung von Praktikanten hatten in den letzten Jahren bereits den Bundestag beschäftigt. Doch auf der Suche nach praktikantenfreundlicheren Regelungen verkeilten sich am Ende zwei Bundesministerien - das Bildungsministerium mochte nicht einmal die überschaubaren Verbesserungen mittragen, die das Arbeitsministerium vorgeschlagen hatte.

Zu Klagen zorniger Praktikanten kommt es selten. Zuletzt war es einer Bremer Hochschulabsolventin gelungen, eine saftige Nachzahlung durchzusetzen. Die Innenarchitektin arbeitete ein halbes Jahr lang bei einer süddeutschen Agentur und bekam 375 Euro monatlich, umgerechnet ein Stundenlohn von 2,46 Euro brutto. Das wertete das Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg ebenfalls als "Lohnwucher" und sprach ihr ein nachträgliches Entgelt von über 7000 Euro zu.

cht/ddp

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