
Tipps von Top-Journalisten "Beliebtheit ist kein Maßstab"
Wie wurde aus Tom Buhrow der ARD-Journalist auf dem wichtigsten Sendeplatz, bei den Tagesthemen? Wie schaffte es Kai Diekmann an die Spitze der "Bild"-Zeitung? Warum hat Anne Will eine eigene Talkshow? Und: Gibt es vielleicht ein Rezept, eine Abkürzung, einen Masterplan, wie man zum Top-Journalisten wird?
Das Klischee von jungen Leuten, die "irgendwas mit Medien" machen wollen, stimmt, wenn überhaupt, nur zum Teil. Wahr aber ist: Der Andrang auf die Ausbildungsplätze ist groß, und entsprechend schwer ist es, einen Volontariatsplatz zu bekommen. Auch die Journalistenschulen in Hamburg, München und anderswo müssen regelmäßig aus hunderten Bewerbern die besten auswählen. Wer einen Platz bekommen möchte, braucht Talent, Glück - und was noch?
Jan Philipp Burgard und Moritz-Marco Schröder, beide Journalisten, sind durchs Land gereist und fragten bekannte Kollegen nach ihren Erfolgsrezepten. Tom Buhrow von den Tagesthemen gab Antworten, genauso wie Peter Kloeppel von RTL und Frank Schirmacher von der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung".
Lesen Sie hier in den Buchauszügen, wie Talkerin Anne Will, "Bild"-Kapitän Kai Diekmann und "Neon"-Gründer Michael Ebert in den Journalismus gelangten und sich durchsetzten.
Kai Diekmann - "Du musst nach den Sternen greifen"
Frage: Welcher Titel, den Ihnen Kollegen anderer Magazine und Zeitungen gegeben haben, gefällt Ihnen am besten? A) "der meistgehasste Chefredakteur Deutschlands" B) "Fürst der Finsternis" oder C) "Pascha des Monats"?
Diekmann: Den Pascha des Monats habe ich mir mit viel Mühe erarbeitet. Im Ernst, Beliebtheit ist kein Maßstab, wenn Sie Journalismus machen.
Frage: Wie würden Sie Ihren Führungsstil in einer Schlagzeile beschreiben?
Diekmann: Da müssen Sie andere fragen.
Frage: Andere sagen über Sie, dass Sie schon als Jungredakteur genau wussten, wo Sie hin wollen. Wussten Sie auch, dass Sie mal Chefredakteur würden?
Diekmann: Im Gegenteil: In meinem Leben sind die Dinge oft anders gekommen, als ich ursprünglich dachte. Bei der Bundeswehr zum Beispiel wollte ich zur Panzerartillerie und landete in der Pressestelle. Anschließend wollte ich studieren, dann habe ich eine Zusage für das Volontariat bei Axel Springer bekommen. Ich hatte nie einen Masterplan, mich haben immer nur Geschichten interessiert - ich hatte immer den Gedanken: Du musst nach den Sternen greifen. Du musst immer etwas Besonderes machen.
Frage: Haben Sie dafür ein Beispiel?
Diekmann: Als ich für "Bild" 1987 ins Parlamentsbüro ging, gab man mir einen extrem schwierigen Bereich: die Grünen. Damals haben sie nicht mit BILD geredet. Diesen Interviewboykott wollte ich brechen. Das habe ich innerhalb von eineinhalb Jahren geschafft.
Frage: Was hat Sie an dem Beruf begeistert?
Diekmann: Ich habe mich schon als Schüler leidenschaftlich gern mit Politik beschäftigt und war süchtig nach "Stern" und "Spiegel". Der Mainstream war damals eher links orientiert. Es gab viele linke Schülerzeitungen, aber nichts Bürgerliches. Also habe ich mit ein paar Freunden die Schülerzeitung "Passepartout" gegründet, die sich politisch anders positioniert hat.
Frage: Was für ein Typ von Schüler waren Sie?
Diekmann: Ich war eher renitent. Ich habe schon in Schulzeiten gern gegen den Strich gebürstet. Damals war es für viele Mitschüler schick, Palästinensertücher zu tragen, gegen Atomkraft zu sein und "Bildung statt Bomben" zu rufen. Ich war zwar nicht für "Bomben statt Bildung", aber ich sah vieles anders als die meisten. Es hat mir Spaß gemacht, Debatten offensiv und auch polarisierend oder provokativ zu führen.
Frage: Wie haben Sie das als Schüler getan?
Diekmann: Zum Beispiel haben wir in der Schülerzeitung Lobenshymnen auf die Bundeswehr angestimmt. Das hat uns eine Menge Ärger eingebracht. Aber weil "Passepartout" ausgesprochen politisch war, war sie auch ausgesprochen erfolgreich.
Frage: Das heißt?
Diekmann: Sie hatte eine Auflage von 30.000 bis 35.000 Stück. Wir haben sie kostenlos verteilt und über Anzeigen finanziert. Mein Partner war Lenny Fischer, heute einer der wenigen großen deutschen Investmentbanker, die international eine Rolle spielen. Er war damals für die Finanzen zuständig, ich für den Inhalt. Unsere Wege haben sich getrennt, als er die Seite 1 als Anzeige verkauft hat.
Frage: Wie ging es für Sie weiter?
Diekmann: Ich wurde von der Lokal-Redaktion des Westfalen-Blatts angesprochen, ob ich nicht Lust hätte, für sie zu schreiben. So habe ich ganz klassisch angefangen und am Wochenende Termine wahrgenommen: die Einweihung von neuen Feuerwehrfahrzeugen, Vereinssitzungen, goldene Jubiläen.
Frage: Was kann man heute als Schüler tun, um sich auf eine Karriere im Journalismus vorzubereiten?
Diekmann: Ganz einfach: Schreiben! Schülerzeitung machen, sich um Praktika bemühen, Leidenschaft und Begeisterung zeigen.
Frage: Was muss man noch mitbringen?
Diekmann: Neugierde und Einsatzbereitschaft. Sie müssen bereit sein, mehr als das was gefordert wird zu leisten und immer einen Schritt weiter gehen wollen, als andere. Ich finde auch wichtig, sich politisch zu engagieren. Ich war zum Beispiel in der Jungen Union aktiv. Ich hatte das Glück, Mentoren zu finden. Es ist extrem wichtig, Menschen zu treffen, die einen führen und im richtigen Augenblick beraten. Ein Netzwerk ist im Berufsleben - egal in welcher Branche und in welchem Bereich - unverzichtbar.
Frage: Wie baut man sich das auf?
Diekmann: Als junger Parlamentskorrespondent hatte ich mir in den Kopf gesetzt, jede Woche mindestens 10 bis 15 Visitenkarten nach Hause bringen. Ich habe mir immer vorgenommen: Du sprichst andere an, du redest. Das ist wahnsinnig anstrengend und kompliziert - besonders als junger Mensch und Berufseinsteiger.
Frage: Sie haben nicht studiert - ist eine akademische Ausbildung für eine Karriere im Journalismus also unnötig?
Diekmann: Ich wollte immer studieren. Ich war schon an der Universität in Münster immatrikuliert für Geschichte, Germanistik und Politik. Aber dann kam das Angebot für ein Volontariat, im Anschluss wollte ich das Studium wieder aufnehmen. Aber spätestens als ich Chefreporter bei der Bunten geworden bin, habe ich so viel verdient, dass ich mir nicht mehr vorstellen konnte, zu studieren. Dennoch sage ich bis heute jedem, der sich bei uns bewirbt und noch im Studium ist: zu Ende studieren, nicht abbrechen! Melden Sie sich wieder, wenn das Studium zu Ende ist. Nicht eine Sekunde vorher.
Michael Ebert - "Es hilft schon, kein Arschloch zu sein"
Frage: Welche Charaktereigenschaften braucht man, um für "Neon" schreiben zu können?
Ebert: Es hilft schon, kein Arschloch zu sein.
Frage: Wie definieren Sie "Arschloch"?
Ebert: Ein Arschloch ist ein Egoist, der bereit ist, Nachteile für andere in Kauf zu nehmen, um eigene Vorteile zu erreichen.
Frage: Welche Wesenszüge sollte man sonst mitbringen?
Ebert: Man muss teamfähig sein. Wir entwickeln bei "Neon" viele Ideen gemeinsam und arbeiten zusammen an einzelnen Geschichten. Alle Redakteure sind für alle Ressorts zuständig. Ein spannendes Modell, das die Arbeit für alle abwechslungsreicher macht.
Frage: Muss man mehr Einfühlungsvermögen haben?
Ebert: Nein. Wer als Journalist seinen Job gut machen will, braucht die Fähigkeit, auf Menschen zu- und einzugehen. Aber man muss bei "Neon" nicht noch netter oder zugewandter sein als etwa die Redakteure der "Brigitte" oder des "Spiegel".
Frage: Was unterschätzen junge Leute am meisten, die hier als Praktikanten ankommen?
Ebert: Dass sie ein Handwerk beherrschen müssen. Es hilft nichts, gute Ideen zu haben, wenn man nicht in der Lage ist, sie lesbar aufzuschreiben.
Frage: Wie wird man Praktikant bei "Neon"?
Ebert: Man bewirbt sich mit einer Mappe inklusive Lebenslauf und Leseproben. Jeder Bewerber soll zudem zehn Ideen für Geschichten beifügen, die er entweder gerne in "Neon" lesen oder für "Neon" schreiben möchte. Diese Ideen sind für uns das aussagekräftigste Element der Bewerbung, wichtiger als der Lebenslauf.
Frage: Und wie finden Sie Ihre Redakteure?
Ebert: Wir lesen zum Beispiel Texte von Autoren anderer Magazine und denken: der trifft ziemlich gut den Ton einer Geschichte. Dann sieht man sich vielleicht mal zu einem Kaffee. Redakteure werden aber auch regelmäßig freie Mitarbeiter, die schon viel für "Neon" geschrieben haben.
Frage: Legen Sie bei Bewerbern Wert auf ein gutes Abitur?
Ebert: Nein.
Frage: Spielt das Studium eine Rolle?
Ebert: Mir ist eine journalistische Ausbildung wichtig. Wir haben auch schon Leute eingestellt, die noch nicht studiert, dafür aber eine der führenden Journalistenschulen besucht hatten.
Frage: Kommen wir zu Ihnen: Wann haben Sie herausgefunden, dass Sie Journalist werden wollen?
Ebert: Mit 15.
Frage: Gab es einen Auslöser?
Ebert: Viel profaner. Es war eine grundsätzliche Eitelkeit, die viele Journalisten treibt, auch mich. Und aus der entstand der Dienstleistungsgedanke, Dinge verstehen zu wollen und anderen mitzuteilen. Deshalb bin ich bei der Lokalredaktion der "Schwäbischen Zeitung" vorbei gegangen und habe gefragt, ob ich einen Artikel schreiben dürfe.
Frage: Später haben Sie ein Volontariat bei der "Schwäbischen Zeitung" absolviert. Lernt man heute immer noch das Handwerk am besten bei einer Lokal- oder Regionalzeitung?
Ebert: Für mich war's das Richtige. Aber mein Volontariat ist auch schon mehr als 15 Jahre her. Zur Qualität der Volontärsausbildung heute kann ich wenig sagen.
Frage: Sie selbst haben nach dem Volontariat ein Jurastudium begonnen. Warum?
Ebert: Mein Ausbilder hat mir am Schluss meines Volontariats gesagt: "Du bist ein junger Kerl und talentiert, aber du musst dich besser strukturieren. Studier' Jura, nutze das Studium, um Ordnung in deiner Birne zu schaffen." Ich fand das schlüssig und habe mich für Jura eingeschrieben. Nach fünf Semestern bot sich die Gelegenheit, Redakteur beim "Stern" zu werden. Da habe ich das Studium natürlich abgebrochen.
Frage: Haben Sie bereut, nicht zu Ende studiert zu haben?
Ebert: Meine Frau ist Juristin, ich habe miterlebt, was für eine Qual es ist, sich durch zwei Staatsexamina zu kämpfen. Nachdem ich nie als Jurist arbeiten wollte, fehlt mir der Abschluss nicht.
Frage: Wenn Sie jetzt nochmal 18 wären, was würden Sie nach dem Abi als nächstes tun, um Journalist zu werden?
Ebert: Ich hätte schon seit mindestens zwei Jahren für die lokale Tageszeitung geschrieben. Ich würde studieren und versuchen, möglichst viel praktische Erfahrung zu sammeln. Lernen kann man immer, auch mit einem Text über die Hauptversammlung eines Geflügelzuchtvereins.
Anne Will - "Studieren und probieren, dann kann nichts schiefgehen"
Frage: War es für Sie ein Kindheitstraum, Journalistin zu werden?
Will: Als Kind wollte ich eigentlich Schreinerin werden.
Frage: Nicht gerade ein typischer Traumberuf für ein Mädchen…
Will: Mit diesem Berufswunsch wollte ich wohl vor allem meinen Vater beeindrucken, der eine Schreinerlehre gemacht hatte, bevor er Architekt wurde. Er hat mir einen Werkzeugkasten geschenkt, mit dem ich auch nach Kräften gespielt habe. Aber irgendwann hatte er als Spielzeug ausgedient.
Frage: Wann kristallisierte sich heraus, dass Sie Journalistin werden möchten?
Will: Ungefähr mit 16. Ich habe gern Artikel über Journalisten und ihre Arbeit gelesen. Für mich klang das wie ein Traumberuf. Allerdings hatte ich damals überhaupt keine Vorstellung davon, wie er funktioniert.
Frage: Später moderierten Sie als erste Frau die Sportschau, waren "Miss Tagesthemen". Ihre Arbeit wurde mit zahlreichen Preisen geehrt. Was muss man können, um die Anne Will von morgen zu werden - muss man zum Beispiel immer eine 1 in Deutsch haben?
Will: Nein, aber natürlich ist ein gutes Ausdrucksvermögen wichtig. Schließlich ist es die Kerntätigkeit eines Journalisten, über sehr komplizierte Zusammenhänge sehr verständlich zu reden oder zu schreiben. Wer das nicht kann, der wird sich schwer tun. Ansonsten halte ich nichts davon, Noten an berufliche Chancen zu koppeln. In diesem Beruf geht es auch um Talent. Dieser Beruf lebt nicht nur davon, dass man durchs Studium gedonnert ist, 25 Sprachen gelernt und 200 Praktika absolviert hat. Eine weitere Grundvoraussetzung ist der Spaß an der Sache. Denn nur wer Spaß hat, kann einen guten Job machen. Ein weiterer Tipp: Man sollte sich schon früh ausprobieren. Wer erst nach dem abgeschlossenen Studium auf die Idee kommt "irgendwas mit Medien" zu machen, und nichts Entsprechendes nachzuweisen hat, der hat schlechte Karten. Ich konnte durch mein Volontariat sehr früh damit anfangen, unterschiedliche Formate in unterschiedlichen Redaktionen zu moderieren. So hatte ich schnell einen großen Erfahrungsschatz für mein junges Alter. Damit habe ich mich durchgesetzt.
Frage: Was kann man schon als Schüler tun, um sich auf eine Laufbahn in den Medien vorzubereiten?
Will: Die Mitarbeit bei einer Schülerzeitung ist eine gute Möglichkeit, um zu lernen. Auch ein Praktikum bei einer Lokalzeitung kann sehr lehrreich sein. Ich bin als freie Mitarbeiterin für die "Kölnische Rundschau" mit großem Spaß über die Dörfer gedüst, um Schützenkönige zu interviewen.
Frage: Welche Eigenschaften muss man als junger Mensch noch mitbringen?
Will: Zuerst einmal Neugierde und vielseitiges Interesse, das ist sicher die Haupteigenschaft. Außerdem sollte man eine klare Haltung für sich herausbilden, zu der man steht. Das sind die Eigenschaften, die einen durch das ganze Berufsleben tragen werden, wenn man sie sich beibehält.
Frage: Stellen Sie sich vor, Sie wären noch einmal 18. Was würden Sie nach dem Abi tun?
Will: Ich würde sehr vieles wieder genau so machen, wie ich es gemacht habe. Ich würde wieder ein Studienfach wählen, das mich interessiert: zum Beispiel Geschichte. Danach würde ich mich um eine journalistische Ausbildung bemühen. Parallel zum Studium würde ich als freie Mitarbeiterin für eine Zeitung schreiben. Ich habe mich darauf konzentriert, möglichst schnell zu studieren. Heute glaube ich: Das war für meine weitere Karriere nicht so wichtig.
Frage: Gibt es auch etwas, das Sie heute anders machen würden?
Will: Ich würde mich schon während der Schulzeit bemühen, ein Jahr ins Ausland zu gehen und eine Sprache zu lernen. Das vermisse ich heute sehr, dass ich das nicht gemacht habe, auch während des Studiums nicht.
Frage: Zu welchem Fach raten Sie Abiturienten?
Will: Studieren Sie das, was Sie am meisten interessiert - und nutzen Sie die Gelegenheit, nebenbei in die verschiedensten Jobs hinein zu schnuppern. Nicht nur, um tolle Referenzen und Zeugnisse vorweisen zu können, sondern vor allem, um herauszufinden: Was liegt mir, was habe ich mir ganz anders vorgestellt. Kurzum: Studieren und probieren - dann kann eigentlich nichts schiefgehen.
Die Interviews sind gekürzte Auszug aus dem Buch "Wege in den Traumberuf Journalismus. Deutschlands Top-Journalisten verraten ihre Erfolgsgeheimnisse" von Jan Philipp Burgard und Moritz-Marco Schröder, erschienen im Solibro-Verlag.