Bombenbau an Waldorfschule Und es hat Bumm gemacht
"An den Schießständen", so heißt die Straße auf halbem Weg von der Freien Waldorfschule Lübeck zur Palinger Heide, die an der Grenze von Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern liegt. Hier mussten Lehrer und Schüler vorbei, im Gepäck das, was der Staatsanwalt einen "unkonventionellen Sprengkörper" nennt und die Mutter Ulrike N. eine "Rohrbombe". Der Anwalt des Lehrers spricht von der "Größe eines Chinaböllers".
Ob nun Rohrbombe, Sprengkörper oder Böller - unstrittig ist, dass etwas explodiert ist im Frühjahr 2010; erst ein Knallkörper, den Lehrer und Schüler hergestellt hatten, später auch der Schulfrieden.
Es ist die Geschichte von zwei Menschen, die zu weit gegangen sind. Sie lässt sich auf zwei Arten erzählen: als Bagatelle und als Drama. Als Geschichte eines Lehrers, dem übel mitgespielt wird. Und als Geschichte einer Mutter, die sich um ihren Sohn sorgt.
Es gibt solche Geschichten immer wieder, an fast jeder deutschen Schule: Die Justiz muss entscheiden, wenn Eltern und Lehrer nicht miteinander können, wenn es nicht gelingt, einen Streit vor Ort zu schlichten. Erst im Herbst musste sich in Köln ein Pädagoge vor Gericht verantworten, weil eine Mutter ihn angezeigt hatte: Er habe ihrer Tochter einen USB-Stick für 18 Euro geklaut. In Berlin verurteilte das Amtsgericht eine Mutter zu 900 Euro Geldstrafe: Die Frau hatte eine Lehrerin geohrfeigt, die ihren Sohn angeblich zu harsch angegangen war.
In Lübeck ermittelt jetzt die Staatsanwaltschaft gegen einen Waldorf-Lehrer wegen des Verdachts auf Verstoß gegen das Sprengstoffgesetz.
Die "Kräfte der Natur" anschaulich machen - mit Schwarzpulver
Der Anwalt des Lehrers erzählt die Geschichte so: Der Lehrer, 39, will seinen Schülern die "Kräfte der Natur" demonstrieren, das ist im März 2010. Der Unterricht des Mannes gilt als anschaulich und lebensnah. Er entscheidet sich, mit seiner fünften Klasse ein Experiment durchzuführen: Schwarzpulver in ein biegsames Messingrohr füllen, das etwa zehn Zentimeter lang ist und einen Durchmesser von 1,5 Zentimetern hat. Den Sprengkörper lässt er dann in der nahegelegenen Palinger Heide explodieren, die Schüler stehen 40 Schritte weit weg. Er kann sich nur an dieses eine Mal erinnern.
Zugegeben, es ist nicht erlaubt, Schwarzpulver im Unterricht einzusetzen. Das ist dem Mann damals aber nicht ganz klar, sagt der Anwalt. Gut ein Jahr später ermittelt auf einmal das Landeskriminalamt, der Lehrer wird von der Schule abgemahnt; im Januar 2012 schreiben die "Lübecker Nachrichten", er habe Rohrbomben gebastelt, gemeinsam mit seinen Schülern.
Die Mutter Ulrike N. erzählt es so: Sie hat ihren Sohn in der dritten Klasse auf die Waldorfschule geschickt, weil er an der staatlichen Grundschule gemobbt wurde. Sie hofft, es würde ihm da besser gehen. Bereits im Frühjahr 2009, also früher als der Lehrer es sagt, kommt ihr Sohn nach Hause und erzählt, sein Lehrer habe ihn und seine Klasse Bomben bauen lassen. Sie und ihr Mann sind entsetzt und erkennen als Sportschützen und Inhaber einer Waffenbesitzkarte die Gefahr. Deshalb geben sie ihrem Sohn das Sprengstoffgesetz mit, er soll es dem Lehrer überreichen - auf dass die Bombenbastelei ein Ende habe.
"Kann es sein, dass der Lehrer das tatsächlich darf?"
Zwei Jahre später, im Mai 2011, so berichtet die Mutter, kehrt der Sohn von einer Klassenfahrt zurück und erzählt, der Lehrer habe mit ihnen zusammen Kabel gesammelt, um Fernzünder zu basteln. Die Eltern beraten sich mit einem befreundeten Soldaten und einem Polizisten. Was, wenn so eine Rohrbombe hochgeht? "Die Hauptschäden entstehen durch den Druck", sagt die Mutter, eine solche Bombe neige zur Selbstentzündung. Bei ihr hört es sich an, als würde der Lehrer dauernd Sprengsätze herstellen. Von der Schule fühlt sie sich nicht ernst genommen.
Sie schreibt an die Generalstaatsanwaltschaft in Schleswig, viel weiter oben geht nicht. "Der Lehrer meines Sohnes (6. Klasse) hat mit den Kindern Rohrbomben gebaut", so beginnt der Brief, datiert auf den 25. Mai 2011. Er endet mit der Frage: "Kann es sein, dass der Lehrer das tatsächlich darf?" Als sie erst nichts hört, fragt sich sich selbst, ob sie zu hysterisch reagiert hat. Doch schließlich meldet sich das LKA. Sie nimmt sie ihren Sohn aus der Klasse, dann sogar von der Schule, und spricht mit der Lokalzeitung.
Aus beiden Geschichten lässt sich heraushören, dass die Mutter unzufrieden war mit der Arbeit des Lehrers, nicht nur wegen der vermeintlichen Bombenbastelei. Der Lehrer wiederum fühlt sich zu unrecht angeschwärzt. Für ihn war die Sache mit einer Abmahnung erledigt.
Die Schulleitung selbst will zu dem laufenden Verfahren nichts sagen. Der Lehrer genieße aber "weiterhin das Vertrauen des Vorstandes, der Schulführungskonferenz und der Elternschaft", so zitieren die "Lübecker Nachrichten" den Geschäftsführer des Schulträgers.
Bei der Staatsanwaltschaft heißt es, der Ausgang des Verfahrens sei offen. Das Kieler Bildungsministerium teilt mit, es könne im Fall der Fälle die Unterrichtsgenehmigung für einzelne Lehrkräfte entziehen.
Verletzt wurde niemand.