
Schule mal anders: Strampeln fürs Köpfchen
Unterricht in Bremen Schüler lernen auf dem Heimtrainer
Sein Referat bereitet der zehnjährige Aldin auf dem Heimtrainer vor. "Die Tiere passen sich an ihren Lebensraum an", schreibt er in sein Heft, während er gleichmäßig in die Pedale des Ergometers tritt. Bald soll er in einer Präsentation erklären, wie Tiere sich tarnen. Dass er dabei Rad fahren kann, gefällt ihm. "Das macht sehr viel Spaß", sagt er.
Drei Ergometer mit hohen Tischen stehen seit Februar in der Klasse 5b der Oberschule an der Ronzelenstraße in Bremen. Jeweils drei der insgesamt 22 Schüler verfolgen den Unterricht auf dem Rad, nach einer Viertelstunde wird gewechselt.
"Man kann sich besser konzentrieren, wenn man fährt", sagt der elfjährige Eser. "Ich bin lieber auf dem Rad als auf dem Stuhl." Die zehnjährige Daliah sieht das ähnlich. "Ich finde es langweilig, auf dem Platz zu sitzen. Auf dem Ergometer kann ich mich auspowern."

Schule mal anders: Strampeln fürs Köpfchen
Die Idee für sogenannte Ergometer-Klassen stammt aus Österreich. Der Wiener Sportwissenschaftler und Gymnasiallehrer Martin Jorde initiierte die erste Klasse 2007 an einem Wiener Gymnasium. Er stellte bei seinen Schülern positive Veränderungen in der Fitness fest sowie bei den Noten und im Sozialverhalten.
Die erste deutsche Schule mit Ergometern im Klassenzimmer war ein Gymnasium im bayerischen Aschaffenburg. Seit vergangenem Jahr können Schüler dort während des Unterrichts Rad fahren. Die Bremer Schule ist nach Angaben des Projektleiters Harald Wolf die zweite in Deutschland, die Ergometer im Unterricht einsetzt.
"Ich halte das für einen unglaublich innovativen Weg", sagt der Sportwissenschaftler der Universität Göttingen, Arne Göring. Es sei gut, Bewegung in den Klassenraum zu holen und systematisch zu nutzen. "Bewegung regt den Kreislauf an und fördert die Durchblutung des Gehirns."
"Die Kinder können sich abreagieren"
Dies könne sich positiv auf die Lernleistung auswirken. Aber: "Ein Teil der Aufmerksamkeit wird auch auf die Bewegung gelegt." Es könnte sein, dass sich manche Schüler deshalb nicht voll auf ihre Aufgabe konzentrieren.
Die Lehrerin der Bremer Inklusionsklasse 5b, Ursula Böning, sieht in den Rädern trotzdem eine Bereicherung. "Die Kinder sind manchmal bis 16 Uhr in der Schule. Dann sitzen sie sehr viel", sagt sie. Auf den Rädern könnten sie sich abreagieren.
Für den Unterricht seien die Ergometer hilfreich. Als sie einigen Jungs in der Textilgruppe neulich Nadel und Faden in die Hand gegeben habe, sei die Ablehnung groß gewesen. "Sie haben dann auf dem Rad genäht. Das war besser."
Kinder mit Behinderung profitieren
Klassenlehrer Dirk Baumgartner nutzt die Ergometer auch, um Themen zu vermitteln. Ihm zufolge bekommen die Kinder ein besseres Bewusstsein für ihren Körper, wenn sie auf dem Display sehen, wie sich ihre Herzfrequenz verändert oder wie viele Kilojoule sie beim Treten verbrauchen. Für stark übergewichtige Schüler könnte das Rad eine Hilfe zum Abnehmen sein.
Den fünf beeinträchtigten Schülern der Inklusionsklasse kommen die Geräte aus Sicht der Lehrer zu Gute. "Leon hat gelernt, vorwärts zu treten. Das war für ihn anfangs sehr schwer", erzählt Ines Biedermann, die als pädagogische Fachkraft in der Klasse ist. Für Leon, der das Down-Syndrom hat, sei das regelmäßige Radeln wichtig. Auf die Frage, ob ihm das Fahren Spaß mache, antwortet der Schüler ohne zu Zögern: "Ja!"
Die Oberschule in Bremen ist nach den ersten Monaten mit den Ergometern so überzeugt, dass sie jüngst einen zweiten Klassenraum mit drei Geräten ausgestattet hat. Zwei weitere Klassen sollen nach den Sommerferien folgen.
Die Auswirkungen auf das Verhalten und die Leistungen der Bremer Schüler sollen nun wissenschaftlich untersucht werden. Es sind bereits Kooperationen mit den Universitäten in Oldenburg und Rostock geplant. So soll erforscht werden, welchen Einfluss die Ergometer auf Kinder mit Behinderungen haben.