Azubi in Berlin: Von den 25- bis 35-Jährigen haben 1,5 Millionen keinen Berufsabschluss
Foto: Adam Berry/ Getty ImagesMit 34 Jahren wollte Markus Dittke es noch mal wissen: Bisher ungelernt, wollte er "endlich beruflich über eine Ausbildung durchstarten. Also sprach er mit seinen Vorgesetzten - aber auch mit seiner Vermittlerin bei der Agentur für Arbeit." Vom Erfolg Dittkes - er wurde Azubi und schloss ab - und weiteren "erfolgreichen Spätstartern" berichtet eine Broschüre der Bundesagentur für Arbeit (BA).
Das Mutmacherheft unterstützt die im August 2013 gestartete Initiative der BA, junge Erwachsene ohne Berufsabschluss in Ausbildung zu bringen: Binnen drei Jahren sollen in dem Sonderprogramm 100.000 Arbeitslose zwischen 25 und 35 Jahren vermittelt werden. In der Altersgruppe haben insgesamt 1,5 Millionen keinen Berufsabschluss, das ist beinahe jeder siebte.
Neue Zahlen der BA lassen am Erfolg der Spätstarter indes zweifeln: Demnach lag die Abbrecherquote von 25- bis 35-Jährigen, die eine Ausbildung oder eine andere abschlussorientierte Qualifizierung absolvierten, im März dieses Jahres bei 36 Prozent. Mehr als jeder Dritte stieg also vorzeitig aus.
Bundesagentur fordert finanzielle Anreize
2013 lag der Wert meist deutlich darunter, im Januar des Vorjahres zum Beispiel bei 22 Prozent. Damit wäre die Quote vergleichbar mit den durchschnittlichen Abbruchzahlen unter Azubis: Nach der jüngst veröffentlichten Statistik des Bundesinstituts für Berufsbildung wurden 2012 rund ein Viertel der Ausbildungsverträge vorzeitig beendet. Als wirkliche Abbrecherquote darf diese Zahl allerdings nicht verstanden werden, da aus den Daten nicht hervorgeht, ob womöglich nur der Betrieb gewechselt wurde.
Als Ursache für die hohe Abbrecherquote unter den Spätstartern sieht BA-Vorstand Heinrich Alt finanzielle Aspekte: Viele hätten bereits eine Familie und wollten ihren Kindern lieber heute "etwas bieten" als erst in drei Jahren, sagte er der "Süddeutschen Zeitung".
Union und SPD hatten in ihrem Koalitionsvertrag festgehalten, durch bessere finanzielle Rahmenbedingungen Bereitschaft und Durchhaltevermögen junger Erwachsener zu fördern, auch in späteren Jahren noch einen qualifizierten Abschluss zu erreichen. Alt fordert deshalb staatliche Zuschüsse für Auszubildende. "Andernfalls ist der Ein-Euro-Job lukrativer als eine Ausbildung. Diese Schieflage darf nicht sein."
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Jenny, 18, aus Esslingen und Denise, 17, aus Rommelshausen, Bürokauffrau-Azubis: "Wir sind beide im ersten Ausbildungsjahr zu Bürokauffrauen und bekommen 750 Euro - das ist zu wenig. Das Mittagessen in der Stadt ist teurer als in einer Kantine und wir bezahlen natürlich auch unsere Hobbys selbst: Jenny hat eine Reitbeteiligung und Denise tanzt, geht ins Fitnessstudio und macht Leichtathletik. Ausziehen, eine eigene Wohnung? Das ist überhaupt nicht drin mit den knappen fünf Euro, die wir pro Stunde bekommen. Der Mindestlohn sollte auch für Azubis gelten, spätestens nach dem Einlernen - denn dann machen wir ja alle die gleiche Arbeit."
Mariam, 17, Friseurauszubildende: "An vier Tagen die Woche arbeite ich acht Stunden im Salon, donnerstags gehe ich zur Berufsschule. Dafür bekomme ich 265 Euro brutto im Monat. Richtig shoppen gehen kann man davon nicht, und ich muss auch immer noch zu Hause wohnen, denn ein WG-Zimmer kann ich mir nicht leisten. Im Salon mache ich Maniküre und färbe Wimpern und Augenbrauen. Dafür bekomme ich gut 1,50 pro Stunde, das ist schon knapp. Darüber darf man nicht so oft nachdenken. Ab dem dritten Lehrjahr gibt es mehr Geld. Trotzdem will ich nach der Ausbildung meinen Meister machen und eines Tages meinen eigenen Salon eröffnen. Nur so kann man in dieser Branche richtig Geld verdienen."
Nils, 17, Schüler in Berlin: "Im Sommer mache ich mein Abitur und dann möchte ich Filmproduktion studieren. Dafür muss man allerdings mindestens drei dreimonatige Praktika vorweisen können - die sind in der Branche natürlich unbezahlt. Also muss ich mir überlegen, wie ich das finanziere. Viel Zeit für einen Job neben einem Praktikum habe ich dann natürlich nicht, also muss ich schon mindestens 8,50 Euro die Stunde verdienen, sonst wird das knapp. Mir ist einfach wichtig, dass ich dann nicht mehr meinen Eltern auf der Tasche liege. Ich möchte unabhängig sein."
Martino, 18, Schüler aus Berlin: "Ich habe bisher nur ein Schulpraktikum gemacht und damals wurden wir nicht bezahlt. Dafür muss es auch kein Geld geben, finde ich. Andrea Nahles sollte lieber dafür sorgen, dass kein Schüler es nötig hat, selbst Geld zu verdienen, sondern alle sich auf die Ausbildung konzentrieren können. Sie hat auch kein gutes Argument gegen den Mindestlohn für junge Leute: Wegen 8,50 Euro die Stunde bleibt keiner irgendwo hängen und lässt seine Ausbildung sausen. Aber ohne Mindestlohn besteht die Gefahr, dass Menschen ausgebeutet werden."
Jana, 17, aus Düren: "Ich verdiene mir als Schülercoach an meiner Schule nebenbei pro Stunde sechs Euro dazu. Zurzeit habe ich vier Nachhilfeschüler, die jeweils einmal in der Woche Nachhilfe nehmen. Das sind monatlich 16 Stunden und damit 96 Euro. Die Nachhilfe gebe ich in meinen eigenen Freistunden, meine Freizeit muss ich also nicht opfern. Es ist auch für mich nützlich, mich mit Themen aus der Unterstufe zu befassen, die ich schon wieder vergessen habe. Die Schule leidet also keineswegs darunter."
Duncan, 15, Schüler aus Stuttgart: "Ich habe gerade die Zusage für einen Nebenjob bekommen und sortiere bald zwei Stunden in der Woche Teile bei einem Solartechnik-Unternehmen. Mit der Schule ist das einfach vereinbar und ich bekomme 7,50 Euro die Stunde - mehr brauche ich nicht, solange ich noch zu Hause wohne und zur Schule gehe. Mein Geld gebe ich oft für Musik aus, mit dem Geld von dem Nebenjob will ich aber für einen Computer und ein Fahrrad sparen."
Jonathan, 17, aus Düren: "Ich gebe von meiner Schule organisierte Nachhilfe in Englisch und Mathe - oft vier, fünf Stunden in der Woche. Dafür bekomme ich für 45 Minuten sechs Euro. Bei privater Nachhilfe würde wohl mehr für mich herausspringen, die könnte aber nicht in der Schule stattfinden. Das Geld kann ich meistens sparen, da ich zusätzlich noch Taschengeld bekomme, das ich für Schulsachen, Klamotten und Essen ausgebe. Wenn genügend Geld auf dem Konto ist, dann investiere ich das in Urlaube, Instrumente oder elektronische Geräte. Die Schule leidet weniger als die Freizeit. Ich kann weniger Zeit mit Freunden oder Hobbys verbringen."
Mark, 17, und Jonas, 18, aus Pulheim, sind gute Freunde - einer hat einen Nebenjob, der andere nicht: "Ich arbeite neben der Schule als Handballtrainer. Derzeit trainiere ich zwei Mannschaften für jeweils eine Stunde in der Woche. Das klingt zunächst wenig, aber dazu kommen noch die Spiele und die Turniere an den Wochenenden. Solange die Schule nicht darunter leidet, mache ich das gerne. Dafür bekomme ich 80 Euro im Monat. Das macht zehn Euro pro Stunde Training, aber für die Spiele am Wochenende bekomme ich kein Geld extra. Das Geld gebe ich am liebsten für Klamotten oder auch mal für den Kaffee unterwegs aus. Taschengeld bekomme ich nur ab und zu."
Emma, 16, aus München: "In einer Woche fliege ich nach Bali, die Reise habe ich mir komplett selbst finanziert. Seit drei Jahren arbeite ich schon in einem Laden für Modeaccessoires, ungefähr sechs oder sieben Stunden die Woche. Das ist ganz gut bezahlt, pro Stunde bekomme ich neun Euro. Wenn ich lange spare, kann ich mir also auch etwas Größeres leisten, wie den Bali Urlaub oder ein neues Handy. Ab und an leidet die Schule zwar unter meinem Nebenjob, zumindest in der Prüfungsphase - aber meistens bekomme ich das ganz gut hin."
Koray, 18, Schüler aus Berlin: "Manchmal gehört ein Job oder ein Praktikum zur Weiterbildung. In solchen Fällen finde ich es in Ordnung, wenn kein Mindestlohn gezahlt wird oder sogar gar nichts gezahlt wird. Ich habe auch ehrenamtlich gearbeitet, in Schulgremien oder als Sanitäter bei den Johannitern - im Ehrenamt ist es ja gerade Sinn der Sache, dass man dafür nicht bezahlt wird. Ich mache noch dieses Jahr Abitur und dann werde ich erstmal ins Ausland gehen, dafür werde ich mir ein Stipendium besorgen."
Franzi, 15, aus München: "Ich arbeite neben der Schule als Tanzlehrerin. Selbst tanze ich Latein und Standard, seit ein paar Monaten bringen ich beim Kindertanz den Kleinen Rhythmusgefühl bei. Früher wollte ich Babysitten, aber da war es schwierig, einen Job zu finden, und Zeitungen austragen ist mir zu langweilig. Die Tanzschule zahlt mir jetzt fünf Euro pro Stunde, insgesamt verdiene ich bei zwei Kursstunden pro Woche also zehn Euro. Doch wenn ich Zeit hätte, würde ich gern noch mehr Unterricht geben. Denn von dem zusätzlichen Taschengeld gehe ich richtig gern shoppen."
Hashim, 17, Schüler aus Berlin: "Ich finde es einfach nicht richtig, wenn Leute sich den Rücken krumm schrubben und dann nicht von der Arbeit leben können. Neben der Schule versuche ich gerade, einen Job zu finden. Das ist gar nicht so einfach. Ein paar Mal hatte ich mich schon als Apothekenkurier beworben, aber bisher hat das nicht geklappt. Ich suche auf jeden Fall etwas, bei dem die Arbeit in angemessenem Bezug zum Lohn steht: 7,50 Euro fände ich okay. Aber wenn es um anstrengende körperliche Arbeit geht, sollte es halt mehr sein."
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