Hoffnung für unsportliche Kinder Mutter startet Petition #bundesjugendspieleweg

Für die Unsportlichen gibt es nur die Teilnahmeurkunde: Jedes Jahr müssen Schüler zu den Bundesjugendspielen antreten. Ein demütigendes Ritual, findet eine Mutter und fordert das Ende des Pflichtwettkampfs. Tausende stimmen ihr zu.
Auf die Plätze, fertig! Jetzt lauft doch mal. Schneller! Los, los! Mensch, da ist doch ein Schneckenrennen in Zeitlupe aufregender

Auf die Plätze, fertig! Jetzt lauft doch mal. Schneller! Los, los! Mensch, da ist doch ein Schneckenrennen in Zeitlupe aufregender

Foto: imago

Was hat man als junger Bewegungslegastheniker nicht alles getan, um sich vor diesem Tag im Sommer zu drücken? Eine Erkältung vortäuschen bei 40 Grad im Schatten? Möglichst authentisch kurz vor dem Startschuss den Diebstahl der Sportklamotten inszenieren? Schnell irgendwelche obskuren Schülerwettbewerbe (Debattiermarathon, Matheolympiade) finden, die rein zufällig am selben Tag stattfinden?

Seit mehr als 60 Jahren gibt es nun schon die Bundesjugendspiele, den jährlichen Wettkampf im Sprinten, Springen, Werfen. Schulen verlegen dafür gern mit viel Tamtam ihren kompletten Betrieb auf den nächstgelegenen Sportplatz, Sportlehrer scheuchen ihre Untergebenen über die Tartanbahn, und sämtliche Englisch-, Mathe- Deutschlehrer werden als Helfer mit Stoppuhr und Meterband eingespannt. Für die Besten gibt es am Ende Urkunden mit der Unterschrift des Bundespräsidenten. So viel Gauck muss sein.

Ein fröhliches Fest für den Sport, sagen die einen. Ein grausames Demütigungsritual, findet Christine Finke, eine Mutter aus Konstanz. Ihr Sohn kam vergangene Woche weinend nach Hause, ohne die Auszeichnung vom Bundespräsidenten, nur mit einer Teilnehmerurkunde, dem Trostpreis, der kaum tröstet. Muss das sein? Finke twitterte - und trat in den sozialen Netwerken eine Debatte über den Sinn der Pflichtveranstaltung los.

Finke hat ihr Ansinnen mittlerweile in die Tat umgesetzt: Die Online-Petition ("Bundesjugendspiele abschaffen")  haben in kurzer Zeit Tausende unterzeichnet. Auf Twitter outen sich seither Sportversager unter dem Hashtag #bundesjugendspieleweg.

Endlich kann man mal sagen, wie grässlich man das fand. Was für eine Erleichterung. Aber es gibt auch Kritik.

SPIEGEL ONLINE: Frau Finke, würden Sie eine Petition gegen Matheunterricht ebenfalls unterstützen?

Christine Finke: Nein. Natürlich werden auch in Mathe manchmal Schüler an die Tafel geholt und müssen sich vor der Klasse beweisen. Aber der Konkurrenzkampf wird in Mathe nicht so zelebriert und inszeniert wie bei den Bundesjugendspielen. Nach den Bundesjugendspielen verlesen die Lehrer oft im Unterricht, wer wie viele Punkte gemacht hat. Vor der versammelter Klasse werden die Urkunden überreicht. Warum muss man unsportliche Kinder so einer Demütigung aussetzen?

SPIEGEL ONLINE: Schule ist nun mal nicht immer erfreulich.

Christine Finke: Aber die Demütigungen bei den Bundesjugendspielen sind besonders schlimm, weil es da ganz elementar um den eigenen Körper geht, um einen selbst. Es gibt schon genug Druck in der Schule, der sollte durch Sport nicht noch verstärkt werden.

SPIEGEL ONLINE: Sie stellen die Bundesjugendspiele in Ihrer Petition als ein Nazi-Relikt dar, weil sie ursprünglich auf die Reichsjugendwettkämpfe zurückgehen.

Christine Finke: Historisch ist es so. Ich will nicht behaupten, dass Schüler und Lehrer, die gern an den Bundesjugendspielen teilnehmen, verkappte Nazis wären. Trotzdem war auffällig, welche rechtslastigen Vokabeln einige der Gegner meiner Petition mir auf Facebook hinterließen. Da wurden die Bundesjugendspiele dann mit dem Argument verteidigt, dass unsere Kinder nicht verweichlicht werden dürften.

SPIEGEL ONLINE: In Ihrer Petition ärgern Sie sich darüber, dass bei den Bundesjugendspielen die "individuellen körperlichen Voraussetzungen (Körperbau, Größe, Konstitution) der einzelnen Kinder nicht berücksichtigt" werden. Eine Klassenarbeit berücksichtigt auch nicht den individuellen Kenntnisstand der Kinder.

Christine Finke: Vielleicht sollte sie das aber. Pädagogisch wäre es sinnvoller, nicht alle Schüler nach einem Standard zu prüfen, sondern ihren individuellen Lernfortschritt zu messen. Wenn man in so einem sensiblen Fach wie Sport damit anfangen könnte, wäre doch viel gewonnen.

SPIEGEL ONLINE: Ohne die Bundesjugendspiele würden die Kinder noch träger und bewegungsfauler, wird Ihnen auf Twitter entgegengehalten.

Christine Finke: Im Gegenteil: Die Bundesjugendspiele verderben die Lust auf Sport. Das habe ich selbst erlebt. Ich habe als Kind zum Beispiel nie verstanden, wie die anderen so schnell sprinten konnten. Vom Sportlehrer kam nur der Hinweis, ich solle mich mehr anstrengen. Als ob das so einfach wäre. Die Schule hat mir vermittelt, dass ich unsportlich bin. Ein einziger Albtraum. Erst als ich erwachsen war, habe ich dann eher zufällig mit Aerobic angefangen und war überrascht, wie viel Spaß das macht und wie sportlich ich wirklich bin.

Zur Person
Foto: Christine Finke

Christine Finke arbeitet als Journalistin in Konstanz und bloggt über die Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Für eine unabhängige Wählervereinigung sitzt sie im Stadtrat - und engagiert sich nun überlokal gegen die Bundesjugendspiele.

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