Umfrage Jugendliche zweifeln an Bildungsgerechtigkeit
Der Junge aus der Familie, die von Hartz IV lebt, oder der, dessen Eltern gerade ein neues Haus gekauft haben? Das Mädchen, das allein von seiner Mutter großgezogen wird, oder das, das eine Nanny hat? Haben alle von ihnen die gleichen Chancen darauf, gut ausgebildet zu werden? Viele Jugendliche aus Deutschland bezweifeln das, wie eine noch unveröffentlichte Umfrage des Marktforschungsinstituts Forsa ergab.
Die Studie, die am Mittwoch publiziert werden soll, liegt dem SPIEGEL exklusiv vor. Demnach glauben rund die Hälfte (47 Prozent) der befragten 14- bis 21-Jährigen nicht daran, dass alle Kinder unabhängig von ihrer sozialen und kulturellen Herkunft die gleichen Chancen auf eine gute Bildung haben.
Die männlichen Befragten (57 Prozent) glauben dabei eher an Chancengleichheit als die weiblichen Befragten (40 Prozent). Mädchen und junge Frauen empfinden das Bildungssystem in Deutschland demnach als ungerechter als Jungen und junge Männer.
Details zur Umfrage
Der Stifterverband, die SOS-Kinderdörfer weltweit und die Deutsche Kinder- und Jugendstiftung haben die Umfrage beauftragt.
Die Umfrage wurde von der Forsa Politik- und Sozialforschung GmbH im Oktober 2018 realisiert.
Es wurden 1000 Jugendliche und junge Erwachsene im Alter von 14 bis 21 Jahren befragt. Die Befragung ist repräsentativ.
Doch welche Faktoren spielen für eine gute Bildung eine Rolle? Die Befragten sind der Meinung, dass folgende Punkte Einfluss auf die Bildungschancen hätten:
- die Qualität der Schule und das Können der Lehrer (91 Prozent),
- die eigene Motivation (90 Prozent),
- die Unterstützung der Eltern (88 Prozent) und
- der kulturelle Hintergrund der Eltern oder Erziehungsberechtigten (49 Prozent).
Laut der Umfrage wünschen sich die Jugendlichen und jungen Erwachsenen vor allem kompetente Lehrer. Diese sollten
- für den Beruf gut ausgebildet sein (94 Prozent),
- Probleme lösen können (94 Prozent),
- sozial kompetent sein (93 Prozent) und
- die Schüler umfangreich unterstützen (91 Prozent).
Mehr als die Hälfte der Jugendlichen finden indes, dass digitale Medien wie Smartboards oder Tablets in den Klassenräumen unwichtig für eine gute Bildung seien (55 Prozent).
Eine Ansicht, die so gar nicht zu den aktuellen Bemühungen der Bildungspolitik passt. So ringt die Bundesregierung gerade mit den Ländern um den Digitalpakt: Die Schulen sollen fünf Milliarden Euro erhalten, um von 2019 an schrittweise mit Digitaltechnik wie Tablets und WLAN ausgestattet zu werden. Doch die Länder drohen, die Vereinbarung im Bundesrat scheitern zu lassen - sie wollen sich nicht in die Bildungspolitik hineinreden lassen.
Jugendliche glauben nur bedingt an die Inklusion
Die Jugendlichen und jungen Erwachsenen wurden für die Umfrage auch zur Inklusion befragt. Zwar glauben mehr als die Hälfte von ihnen, dass das deutsche Schulsystem folgende Schüler gut integrieren könne: diejenigen
- mit Lernschwächen (80 Prozent),
- mit Aufmerksamkeits- beziehungsweise Konzentrationsstörungen (69 Prozent) sowie
- Kinder aus sozial schwacher Herkunft (62 Prozent).
Allerdings finden weniger als ein Viertel, dass auch Kinder mit körperlicher Behinderung (23 Prozent) oder mit geistiger Behinderung (18 Prozent) im deutschen Schulsystem gut zusammen mit anderen Schülern unterrichtet werden könnten.
Lebenslanges Lernen wird wichtiger
Die Mehrheit der Befragten ist der Ansicht, dass das lebenslange Lernen wichtiger werden werde (71 Prozent). Sie schätzen folgende Fähigkeiten und Kenntnisse als besonders entscheidend für die Zukunft ein:
- Selbstorganisation (97 Prozent),
- Höflichkeit und Toleranz (96 Prozent),
- Kenntnisse der deutschen Sprache (93 Prozent) und
- Fremdsprachen (87 Prozent).