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Debattier-WM in Berlin: "Sind Debattierer Nerds?"

Foto: Jörg Carstensen/ dpa

Mein erstes Mal Jannis, 19, debattiert um den Weltmeistertitel

Sind Debattierer Nerds? Diese Frage nervt Jannis Limperg. Zu seiner ersten Debattier-WM in Berlin fuhr der 19-jährige Informatikstudent aus Freiburg, weil sich kein anderer fand. Doch dann erreichten er und sein Teampartner das Finale im Wortsport - trotz rhetorischer Schwächen.

"Vizeweltmeister im Debattieren wurde ich per Zufall. Mein Teampartner Johannes Samlenski wollte unbedingt zur WM nach Berlin fahren, aber es gab niemanden im Debattierclub Freiburg, der Lust hatte. Die Debattier-WM ist immer über Silvester, da hatten viele schon was vor. Also bin ich mitgekommen.

Drei Monate lang haben wir uns vorbereitet. Kurz vor Weihnachten sind wir noch auf ein anderes Turnier gefahren. Da haben wir gemerkt, dass wir zwar nicht brillant, aber auch nicht schlecht sind. An den ersten zwei Tagen der WM haben uns ein paar Teams ziemlich klar besiegt. Aber wird haben dabei einiges gelernt, auch von den Juroren und anderen Teilnehmern bekamen wir Tipps.

Ich debattiere zwar seitdem ich 15 bin, rhetorisch bin ich aber verglichen mit anderen Teilnehmern in Wahrheit schwach: Gestik, Sprachbilder, Stimmmodulation, daran muss ich arbeiten. Mir liegt eher die Inhaltsanalyse. Bei der WM zählen glücklicherweise vor allem Inhalt, Argumente und Logik.

Am Debattieren gefällt mir die Fairness: Keiner kennt das Thema vorher, die Positionen werden zugelost, jeder hat 15 Minuten Vorbereitungszeit und redet sieben Minuten. Unterbrechen ist verboten ebenso wie persönliche Angriffe - es zählen nur Argumente. Zudem gibt es bei der WM drei Kategorien: Eine Gruppe für englische Muttersprachler, eine für Leute mit Englisch als Zweitsprache und die dritte für Leute, die Englisch nur als Fremdsprache lernen.

Wir traten in der letzten Sektion an, da weder Johannes noch ich lange im englischsprachigen Ausland waren oder Uni-Kurse auf Englisch hatten. Das ist unser Nachteil im Vergleich zu den anderen Teams: Es dauert länger, die Argumente zu formulieren. Mir fallen präzise Ausdrücke schwer, und es nervt mich, wenn ich ärgerliche Grammatikfehler mache.

Der dritte Vorrunden-Tag war der spannendste. Die Juroren gaben keine Ergebnisse mehr bekannt, und wir konnten nur im Vergleich zu den Gegnern abschätzen, ob wir Chancen auf das Viertelfinale hatten. Die Teams für das Viertelfinale wurden bei der Silvesterparty bekanntgegeben, doch wir bekamen davon nichts mit, weil wir das Feuerwerk sehen wollten. Erst gegen 2.30 Uhr traf uns einer der Chefjurorinnen und sagte, dass wir antreten würden.

Und dann schafften wir es sogar ins Finale. Das Weiterkommen war einerseits toll, andererseits konnten wir deshalb kaum zu den Partys gehen. Schließlich mussten wir immer am nächsten Morgen fit sein. Elf Debatten brachten wir bei der WM hinter uns. Juroren und andere Debattierer gratulierten uns in den Pausen. Johannes bekam außerdem immer wieder Glückwünsche über Facebook, Twitter oder SMS. Ich selbst bin weder bei Twitter noch bei Facebook. Bei mir haben sich nur meine Eltern gemeldet.

Zum Finale ging es in den Festsaal eines Berliner Hotels, ein paar hundert Leute schauten zu. Aufgeregt war ich eigentlich nicht. Das Thema: Der Niedergang der USA als alleinige Supermacht. Unser Team musste darlegen, dass die Weltpolitik zwar eine Supermacht braucht, dass dies aber nicht die USA sein müssen.

Nach dem Finale kamen sofort Journalisten auf uns zu: Radiosender, eine Nachrichtenagentur und Tageszeitungen. Zwei Zeitungen haben wir sogar parallel Interviews gegeben. Die Fragen waren allerdings manchmal nervig. Etwa: 'Sind Debattierer Nerds?' Mich stört die implizite Annahme - wie kann etwas so Kommunikatives wie Debattieren nerdig sein? Wir reden mit anderen Leuten, ein Nerd sitzt einsam am Computer.

Johannes fragt mich manchmal, warum ich bei all dem so ruhig bleibe. Ich glaube, das liegt an meiner Persönlichkeit. Deshalb war ich auch gelassen, als wir später erfahren haben, dass wir nicht Weltmeister geworden sind. Was nun der Titel Vizeweltmeister für mich bedeutet, weiß ich nicht, es heißt aber auf jeden Fall, dass ich weiter debattiere. Ich werde nicht jedem auf die Nase binden, dass ich Vizeweltmeister bin, aber in meinen Lebenslauf schreibe ich es schon. Ob ich zur nächsten WM fahre, muss ich noch sehen. Die findet nämlich in Indien statt."

Aufgezeichnet von Mathias Hamann

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