Deutsche Bildungspolitik Uno-Schulinspektor übt harsche Kritik
In seinem Bericht formuliert der Uno-Sonderberichterstatter Vernor Muñoz Villalobos ein vernichtendes Urteil über das deutsche Bildungssystem: Das traditionell dreigliedrige Schulsystem aus Haupt-, Realschule und Gymnasium benachteilige Kinder aus armen Elternhäusern. Der Bildungserfolg in Deutschland hänge so stark wie in keinem anderen Industrieland von der sozialen Herkunft der Eltern ab.
Der Menschenrechtsexperte aus Costa Rica reiste Anfang 2006 zehn Tage lang durch Deutschland und besuchte Kindergärten, Schulen und Hochschulen. Sein Bericht wird offiziell erst im März vorgestellt, liegt der Nachrichtenagentur dpa aber bereits vor. Darin legt Muñoz deutschen Bildungspolitikern "eindringlich nahe", das "extrem selektive" Schulsystem zu überdenken. Schüler könnten nicht angemessen beurteilt werden, wenn sie bereits mit zehn Jahren auf verschiedene Schultypen verteilt würden. Besonders arme Kinder, Schüler aus Migrantenfamilien und Kinder mit Behinderungen müssten unter dieser Aufteilung leiden. Zudem seien Lehrer für das Auswahlverfahren nicht ausreichend geschult. Die frühe Verteilung auf die verschiedenen Schulformen sei im internationalen Vergleich "untypisch". Nur Österreich habe ein ähnliches System wie Deutschland.
Muñoz moniert zudem die geringe Abiturientenquote in Deutschland und die hohe Zahl von Schulabgängern ohne Abschluss, insbesondere bei Migrantenkindern. Als großes Problem wertet er auch die unterschiedliche Schulorganisation der 16 Bundesländer. Schulfragen sind in Deutschland Ländersache. Für Eltern und Kinder sei es daher schwierig, den Wohnort zu wechseln, heißt es im Bericht. Daneben kritisiert Muñoz die fehlende Durchlässigkeit zwischen den Schulformen, die Lehrerausbildung, mangelnde Integration von Schülern, deren Familien illegal in Deutschland leben und zu wenig Autonomie der Schulen gegenüber der Verwaltung.
Im Bericht würdigt Muñoz zwar die inhaltlichen Verbesserungen, die die deutschen Kultusminister nach dem Pisa-Schock eingeleitet hätten. Allerdings reichen sie nach seiner Auffassung nicht aus. Das "Bildungssystem als Ganzes" müsse reformiert werden, die Schulstruktur ebenso. Dies lehnt die Kultusministerkonferenz (KMK) bislang ab.
"Abschied von Schönfärberei und Rechthaberei"
Offiziell wird Vernor Muñoz seinen Bericht erst am 21. März vor dem Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen in Genf vorstellen. Ein vorläufiger Text, der vom Auswärtigen Amt übersetzt wurde, liegt dem Bundesbildungsministerium und den Kultusministern schon jetzt vertraulich vor.
In einer ersten Kommentierung weist die Bundesregierung die Kritik weitgehend zurück: "Deutschland gehört dank seines leistungsfähigen Bildungssystems zu einer der stärksten Wirtschaftsnationen und stabilsten Demokratien der Welt." Durchbrochen werden müsse allerdings die "Abhängigkeit von Bildungserfolg und sozialer Herkunft", um Jugendlichen gleich welcher Herkunft "die besten Chancen auf Bildung zu bieten". In einer Stellungnahme der Kultusminister heißt es, einige der Kritikpunkte beruhten "offensichtlich auf Misseverständnissen".
Forderungen nach einem einheitlichen Schulsystem kommen auch aus der Politik. Die Vorsitzende des Bildungsausschusses des Bundestages, Ulla Burchard (SPD), forderte am Wochenende eine gemeinsame Offensive von Bund und Ländern. Die mangelnde Leistungsfähigkeit werde nicht erst durch den Bericht des Uno-Sonderberichterstatters deutlich, sondern habe sich schon in früheren Studien abgezeichnet. "Ein nationaler Bildungspakt ist jetzt überfällig", sagt Burchard. Deutschland gerate "immer mehr in Gefahr".
Die Bildungsgewerkschaft GEW fordert, dass sich die Bildungspolitiker der massiven internationalen Kritik am deutschen Schulsystem stellen: "Schönfärberei und Rechthaberei der Kultusminister und der Bundesbildungsministerin sind angesichts der erdrückenden Befunde fehlt am Platz", sagt die Vize-Vorsitzende Marianne Demmer.
mer/dpa