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Amerikas Jugend: Der Kampf gegen Waffengewalt

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Amerikas junge Anti-Waffen-Aktivisten Das Rampenlicht ist erloschen, die Wut bleibt

Eine Tragödie machte sie berühmt: Die Überlebenden des Schulmassakers von Parkland in Florida wurden zu Anti-Waffen-Aktivisten. Was ist aus der lautesten US-Studentenbewegung seit Generationen geworden?

Manchmal wollte Emma González alles einfach nur vergessen. "Ich bin hin- und hergerissen zwischen Dankbarkeit für die vielen Gelegenheiten, meine Stimme zu erheben, und dem Wunsch, ein Baum zu sein, damit mich das alles nichts mehr anginge", klagte die US-Studentin voriges Jahr. "Ich kann mir vorstellen, dass es schön ist, ein Baum zu sein."

González, 19, schrieb diese Zeilen  nicht mal zwei Wochen nach dem Massaker von Parkland. Im Februar 2018 waren an ihrer Schule, der Marjory Stoneman Douglas High School in Florida, 14 Mitschüler und drei Lehrer erschossen worden. González und andere Überlebende verwandelten Trauer, Angst und Wut in eine beispiellose Kampagne gegen Waffengewalt, die US-Waffenlobby NRA - und gegen die tatenlosen Politiker.

Es war der Beginn der lautesten, selbstbewusstesten Jugendbewegung in der jüngeren US-Geschichte. Unter dem Hashtag #NeverAgain mobilisierten die "Parkland-Kids" eine Million Schüler und Studenten zu einem landesweiten Streik. Ihr March for Our Lives im März 2018 war die größte Protestdemonstration in Washington seit dem Vietnamkrieg.

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Amerikas Jugend: Der Kampf gegen Waffengewalt

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Inzwischen ist es stiller geworden um die Teenager-Rebellen. Die meisten haben die High School abgeschlossen und unterschiedliche Lebenswege eingeschlagen. Es gab Animositäten und Meinungsverschiedenheiten. Was ist geblieben von ihrer Sache?

Grassroots-Aktivismus, so stellt sich heraus, ist ein zäher, unglamouröser Kampf voller Umwege und Sackgassen, der sich oft abseits des Rampenlichts abspielt.

Mit ihrer Kahlfrisur und ihren scharfen Reden wurde González zur Anführerin einer ganzen Generation erklärt. Monatelang feierten die Medien sie und andere Parkland-Schüler. "Time" ehrte fünf von ihnen in seiner Liste der "100 einflussreichsten Amerikaner", die Laudatio schrieb Barack Obama: Sie zeigten, "dass Amerika besser sein kann".

Kinder.Macht.

"Fridays for Future" - unter diesem Motto gehen Zehntausende Schülerinnen und Schüler in Deutschland seit Monaten auf die Straße, um sich für mehr Klimaschutz stark zu machen. Sie fordern politische Mitbestimmung, haben aber kein Wahlrecht. Welche Möglichkeiten haben Kinder und Jugendliche noch, wenn sie mitreden, mitentscheiden wollen? Was wollen sie anders machen als Erwachsene? Und auf welche Widerstände stoßen sie? Diesen Fragen geht der SPIEGEL in einer Themenwoche mit Reportagen, Berichten und Interviews nach. Hier geht's zu weiteren Artikeln. 

Die Prominenz der telegenen Schüler führte bei anderen zu bösem Blut. Auch sonst war nicht alles rosig. Die NRA nahm die Teens aufs Korn, konservative Politiker beschimpften sie, Online-Trolle verbreiteten Lügen. Etwa, dass sie vom jüdischen Milliardär George Soros bezahlt würden - eine antisemitische Verschwörungstheorie, die später auch über die Klimaaktivistin Greta Thunberg kursieren sollte.

Am ersten Jahrestag des Massakers gab es noch mal große Schlagzeilen, doch schon da überschatteten Trauma und Trauer den Aktivismus. Seither engagieren sich viele der Parkland-Schüler eher im Hintergrund, wenn auch nicht minder tatkräftig - zuletzt bei den Midterm-Kongresswahlen im November letzten Jahres.

González studiert heute am New College of Florida, einer Hochschule für freie Künste. Sie steuert ihren Aktivismus meist über Twitter, wo sie fast 1,7 Millionen Follower hat. Kürzlich sprach sie bei den LGBT-Feiern zum 50. Jahrestag des Stonewall-Aufstands und kritisierte Popstar Madonna für ein Video mit Szenen von Waffengewalt.

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David Hogg, 19, neben Gonzalez das bekannteste Gesicht der Bewegung, schrieb ein Buch über das Massaker und organisierte Boykotte, im Herbst beginnt er ein Harvard-Studium. Cameron Kasky, 18, der den Hashtag #NeverAgain erfand, hat sich aus der Kerngruppe zurückgezogen. Sarah Chadwick, 17, und Jackie Corin, 18, starteten Social-Media-Kampagnen, Corin geht demnächst auch nach Harvard.

Massendemos gegen Waffengewalt gab es in den USA seitdem nicht mehr, trotz immer neuer Vorfälle. Viele Ex-Schüler konzentrieren sich statt dessen auf die Mobilisierung von Jung- und Erstwählern und die Beeinflussung von Kongresspolitikern hinter den Kulissen. Sie haben sogar einen offiziellen Lobbyisten in Washington, den 18-jährigen Charlie Mirsky.

20 US-Bundesstaaten - darunter Florida - erließen neue, wenn auch oft ziemlich zahme Gesetze zur Waffenkontrolle. Die Aktivisten halfen den Demokraten, das Repräsentantenhaus zurückzuerobern, mit progressiven Abgeordneten wie Alexandria Ocasio-Cortez, Ilhan Omar und Rashida Tlaib.

Doch die Republikaner hielten den Senat und blockieren dort alle Versuche schärferer Waffenkontrolle. US-Präsident Donald Trump konsolidierte außerdem die rechte, NRA-freundliche Mehrheit im Supreme Court, der in Waffenfragen das letzte Wort hat.

Es verändert sich etwas - doch die Angst bleibt

Noch hat also die alte Generation das Sagen. Langsam ändert sich das aber: Bei den Kongresswahlen 2018 lag die Wahlbeteiligung der 19- bis 21-Jährigen bei 31 Prozent - weiter recht kläglich, doch immerhin der höchste Anteil seit 1982. Von US-Teenagern gepushte Belange wie das linke Klimaprogramm Green New Deal, die US-Einkommensungleichheit und eine neue Gesundheitsreform sind vom Rande mitten in die Debatte gerutscht und werden zu großen Themen für den Wahlkampf 2020.

Unterdessen zerstört sich die NRA gerade selbst. Finanz- und Personalskandale sowie Klagen haben die Organisation demontiert und an den Rand der Pleite gebracht. Ohne NRA-Spenden sehen die Republikaner jedoch schlecht aus - allen voran Trump.

Die Jungaktivisten ringen mit den Spätfolgen ihres ungewollten Ruhms. Mindestens zwei weniger bekannte Ex-Schüler aus Parkland nahmen sich das Leben.

"Wir alle wissen jetzt, wie sich Harry Potter fühlt", schrieb Gonzalez in einem Buch der Gruppe. Jeder Tag erinnere sie an den dunkelsten Tag ihres Lebens, und jeder Tag sei voller Angst: Wenn Fremde auf sie zukämen, wisse sie nie, ob sie sie unterstützten - "oder ob sie aus nächster Nähe auf dich schießen".

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