Digitalpakt für Schulen Was der Kompromiss bedeutet

Schülerinnen am Computer
Foto: Friso Gentsch/ dpa
Schülerinnen am Computer
Foto: Friso Gentsch/ dpaZugeständnisse auf beiden Seiten, am Ende hoffentlich ein tragfähiger Kompromiss: Im Ringen um den Digitalpakt Schule, ein mindestens 5,5 Milliarden Euro schweres Investitionsprogramm zur digitalen Ausstattung der Schulen, steht eine Einigung offenbar kurz bevor.
In einer Sitzung des Vermittlungsausschusses von Bund und Ländern zeichnete sich am späten Mittwochabend eine Lösung ab. Die Verhandler haben ihren Diskussionsstand in einem Papier festgehalten, über das zuerst die ARD berichtet hatte und das auch dem SPIEGEL vorliegt. Der Bundesrat soll, so der Plan, in seiner übernächsten Sitzung am 15. März darüber abstimmen.
"Wir brauchen den Digitalpakt für unsere Schulen dringend - ich bin froh und erleichtert, dass sich alle Verantwortlichen offenbar den notwendigen Ruck geben, damit es möglichst schnell klappt. Die Schulen haben lange genug darauf warten müssen", sagt Karin Prien, CDU-Kultusministerin von Schleswig-Holstein. "Ich gehe davon aus, dass es jetzt zu einem ausgewogenen Kompromiss kommt, der die Zuständigkeit der Länder respektiert, aber mehr Wege für eine bessere und vertrauensvolle Kooperation mit dem Bund frei macht."
"Das ist ein hervorragender Kompromiss", sagt auch der Hamburger Bildungssenator Ties Rabe, der die SPD-geführten Kultusministerien koordiniert. Gleichzeitig verweist er darauf, dass der jetzige Entwurf noch nicht in trockenen Tüchern sei, bisher habe sich nur die zuständige Arbeitsgruppe im Vermittlungsausschuss darauf verständigt. "Ich drücke die Daumen, dass nun alle über ihren Schatten springen und im Bundesrat zustimmen."
Wie sieht der Kompromiss aus?
Das Wichtigste: Die Grundgesetzänderung kommt. Fünf Bundesländer, allen voran Baden-Württemberg unter der Führung von Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne), hatten zuletzt immer wieder darauf gedrängt, den Digitalpakt zu verabschieden, ohne das Grundgesetz anzufassen.
Kretschmann und seine Mitstreiter fürchteten, der Bund könnte sich zu sehr in die Bildungspolitik einmischen, die ganz klar in der Zuständigkeit der Länder liegt. "Uns war es vor allem wichtig, dass sich der Bund nicht durch die Hintertür neue Kontrollrechte in Bildungsfragen sichert", kommentiert Kretschmanns Kultusministerin Susanne Eisenmann (CDU).
Finanzierung: Einer der größten Knackpunkte des Konflikts scheint ausgeräumt. Haushaltspolitiker des Bundestages hatten in dem ursprünglichen Gesetzesentwurf eine Klausel eingefügt, die den Ländern übel aufgestoßen war: Bei künftigen Gemeinschaftsprojekten von Bund und Ländern in der Bildungspolitik sollten die Länder die Hälfte der Finanzierung stemmen.
Der Digitalpakt war hiervon ausgenommen, er sollte zu 90 Prozent vom Bund finanziert werden. Die 50:50-Klausel ist nun aus dem Entwurf verschwunden, der Bund hat hier ein großes Zugeständnis gemacht. Künftig wird wohl bei jeder Investition einzeln verhandelt werden, wer sich mit wie viel Geld beteiligt.
Mitsprache des Bundes in Bildungsangelegenheiten: Im bisherigen Entwurf hatte der Bund festgelegt, nicht nur Hardware wie Laptops, sondern auch Personal für die Schulen finanzieren zu dürfen. Darin sahen die Länder einen groben Eingriff in ihr Gebiet. In der neuen Fassung ist nur noch von "Bildungsinfrastruktur" die Rede.
"Den sich jetzt abzeichnenden Kompromiss können wir mittragen, da nun seitens des Bundes nur noch von Investitionen in die kommunale Infrastruktur die Rede ist", sagt Susanne Eisenmann aus Baden-Württemberg. "Das ist ein gutes Signal für uns Länder und zeigt, dass sich der Bund in dieser Frage auf uns zubewegt hat." Die Bundestagsfraktionen von FDP und Grünen, denen dieser Punkt sehr am Herzen gelegen hatte, wollen sich mit diesem Ergebnis wohl nicht begnügen und sehen noch "erheblichen Redebedarf", wie eine beteiligte Person formulierte.
Gleiches gilt für eine weitere Formulierung, die in der Kompromissfassung nun entschärft wurde. FDP und Grüne hatten in den Entwurf hineinverhandelt, die Finanzhilfen würden "zur Sicherstellung der Qualität und der Leistungsfähigkeit des Bildungswesens" gewährt - was dem Bund ein Druckmittel an die Hand gegeben hätte, wenn die "Qualität" sich nicht in seinem Sinne entwickelt hätte. In der Neufassung heißt es nun: "Der Bund kann Finanzhilfen (...) zur Steigerung der Leistungsfähigkeit der kommunalen Bildungsinfrastruktur gewähren" - eine deutlich abgeschwächte Wortwahl.
Wer gewinnt? Wer verliert?
Der Bund: Die größten Zugeständnisse machten wohl die Haushaltspolitiker, die auf die festgeschriebene 50:50-Finanzierung von zukünftigen gemeinschaftlichen Bildungsprojekten verzichteten. Man kann davon ausgehen, dass solche Projekte für den Bund teurer werden, als bisher gedacht. Dafür ist nun an mehreren Stellen ausdrücklich vermerkt, dass die Hilfen befristet gezahlt werden. Das wird die Finanzpolitiker vermutlich erleichtern.
Auch die Bundestagsfraktionen von FDP und Grünen werden wohl einstecken müssen - auch wenn hier das letzte Wort noch nicht gesprochen ist. Sie hatten sich mit ihren Forderungen, zum Beispiel auch in Schulpersonal und Weiterbildungen investieren zu dürfen und die Zahlungen an die "Sicherstellung der Qualität und Leistungsfähigkeit des Bildungswesens" zu knüpfen, weit aus dem Fenster gelehnt und drastisch in die Handlungsfähigkeit der Länder eingreifen wollen. Diese Passagen werden wohl so nicht mehr im Gesetz landen.
Die Länder: Die Länder sind Gewinner und Verlierer zugleich - wobei die positiven Errungenschaften wohl überwiegen. Dass die Länder einer Grundgesetzänderung im Bundesrat wahrscheinlich zustimmen werden, ist die wichtigste Nachricht. Die Bedenken von Winfried Kretschmann und seinen Mitstreitern, der Bildungsföderalismus könnte zu einer leeren Hülle verkommen und der Bund mehr und mehr Macht an sich reißen, scheint durch die Neuformulierung des Gesetzentwurfs nicht vollkommen zerstreut, aber zumindest sehr entschärft.
Die Schulen: Sie sind eindeutig Gewinner. Mehrere Teilnehmer hatten im Vorfeld damit gerechnet, dass sich die Verhandlungen deutlich länger hinziehen würden. Eine Einigung bis Ostern galt als optimistische Zielmarke. Nun könnten die Schulen noch in diesem Frühjahr die ersten Gelder aus dem Digitalpakt abrufen. Entsprechende Konzepte liegen an vielen Schulen bereits vor.
Gleichzeitig könnten die Schulen davon profitieren, dass der Bund die 50:50-Finanzierung opferte. Denn diese Klausel hätte zukünftige Gemeinschaftsprojekte nahezu unmöglich gemacht, hatten mehrere Länderpolitiker prophezeit: Gerade für finanzschwache Länder wäre es sehr schwierig geworden, ihren Anteil aufzubringen. Jetzt, wo die starre Vorgabe verschwunden ist, können gemeinsame Investitionen leichter verhandelt werden. Die FDP hatte da zuletzt auch schon einige Vorschläge präsentiert, eine MINT-Offensive zum Beispiel oder eine Art Exzellenzinitiative für berufliche Bildung.
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Svenia Busson sammelt gelungene Digitalprojekte an Schulen, und das Sydney Center for Innovation in Learning in Australien begeistert sie besonders: Die Schule hat nicht einfach Digitaltechnik eingeführt, sondern die Struktur des Unterrichtens geändert. Lernen findet in Open Spaces statt, wo sich Schüler verschiedener Jahrgänge über den Lernstoff austauschen, immer angeregt von ihren Lehrern.
Dabei nutzen sie alle möglichen digitalen Hilfsmittel zur Recherche und zum gemeinsamen Bearbeiten des Stoffes. Sämtliche Unterrichtsmaterialien werden auf schuleigenen Servern organisiert.
Seppo ist eine Software, mit der Lehrer Lernspiele gestalten können. Ob für den Geschichtsunterricht in der Heimatstadt oder bei einer Stadtrallye auf Klassenreise: Mit diesem Angebot aus Finnland können die Schüler unterwegs lernen.
Das Spiel lotst sie mit ihren Smartphones an bestimmte Orte, etwa Sehenswürdigkeiten, stellt ihnen Aufgaben und verrät die richtigen Lösungen. Der Gründer Riku Alkio war selbst Geschichtslehrer und hat die App nach eigenen Erfahrungen gestaltet.
Classting ist eine Schul-Plattform, die inzwischen an den meisten koreanischen Schulen verwendet wird, deren Abschluss dem Abitur vergleichbar ist. Mit Classting können zwischen Lehrern, Schülern und Eltern Lehrmaterialien ausgetauscht und bearbeitet werden. Außerdem bietet es Chatfunktionen:
Der Gründer Dave Choo, selbst Lehrer, war unzufrieden mit der schlechten Kommunikation an den Schulen. Classting sollte vor allem dieses Problem lösen. Die Software ist spielerisch gestaltet und wird auch außerhalb Südkoreas vermarktet.
Im Finnischen Aalto fand Busson - hier beim Digital Summit der Körber-Stiftung in Hamburg - eine Schule, deren Unterrichtsorte über den Stadtkern verstreut sind: Französisch wird in der französischen Bibliothek unterrichtet, Geschichte im historischen Museum, andere Kurse an der Universität. In der Schule selbst treffen sich Schüler und Lehrer zum Start in den Tag, dann werden sie von einer App zu ihren nächsten Kursen geführt.
"Die Schule öffnet sich in die Gesellschaft. Das Lernen wird sinnlich erfahrbar, Schüler und Lehrer bleiben in Bewegung, und die speziellen Lernorte bieten ganz besondere Möglichkeiten", so Busson. Besonders digital erscheint das Konzept nicht, aber ein Computer übernimmt die Ortsplanung in Echtzeit und navigiert Schüler und Lehrer per App.
Vahan ist ein internetbasierter Service in Indien, mit dem möglichst viele Menschen die Gelegenheit bekommen sollen, Englisch zu lernen die Voraussetzung, um in dem Land sozial aufzusteigen. Der Clou: Ein Konversationstraining, das übers Telefon funktioniert, einschließlich Spracherkennung.
Die Nutzer benötigen also kein teures Smartphone, um den Dienst zu nutzen. Der Gründer, Madhav Krishna, vermarktet dieselbe Software an Firmen. Dort dient sie dem Kundendialog und der Fortbildung der Mitarbeiter.
Estland hat im Jahr 2014 entschieden, wie die Schulen des Landes blitzschnell mit Digitalgeräten ausgerüstet werden: Jeder Schüler bringt einfach sein eigenes mit. Das Konzept "Bring your own device" funktioniert hier deshalb, weil im technikfreundlichen Estland sowieso fast jeder Haushalt Handy, Tablet oder Laptop hat oft mehrere davon. Für Schüler, die kein eigenes Gerät besitzen, schaffen die Schulen welche an.
Noch eine Lernplattform: Siyavula aus Südafrika ist spezialisiert auf Mathematik und passt den Schwierigkeitsgrad der Übungen automatisch den Fähigkeiten des Nutzers an. Zum Angebot gehören ebenfalls kostenlose Online-Mathebücher (Foto).
Zum Manaiakalani Network in Neuseeland gehören zwölf öffentliche Schulen, die mit einer eigenen Internetplattform das Motto "Learn, Create, Share" umsetzen: Der erlernte Stoff wird von den Schülern kreativ verarbeitet, oft mit digitalen Hilfsmitteln.
Zum Beispiel nehmen sie einen Rap-Song über Nelson Mandela auf oder drehen Videos. Diese Werke und auch ihre Zwischenergebnisse teilen sie in einem öffentlichen Blog und diskutieren darüber - nicht nur mit Schülern aus dem Schulnetzwerk, sondern mit der ganzen Welt.
Rethink Education, ebenfalls aus Südafrika, bringt den Schulstoff des Landes auf Smartphone-Bildschirme. Das Start-up bietet seine Kurse einschließlich Auswertungsmöglichkeiten für die Lehrer direkt den Schulen an. Die meisten geben die Kosten an die Eltern weiter. Ein Mathe-Paket für ein Schuljahr kostet so für einen Schüler umgerechnet rund 20 Dollar. Aber auch Einzelnutzer können sich bei dem Dienst anmelden. Das ist meist sogar kostenlos, das Lernmaterial trägt dann aber das Logo einer sponsernden Firma.
Die App Edkimo kommt aus Deutschland: Sie ermöglicht es, auf digitalem Weg Feedback einzuholen. Mit wenigen Klicks kann ein Lehrer Fragebögen gestalten, die an Computern oder Mobilgeräten beantwortet werden. Sie lassen sich an alle möglichen Lernsituationen anpassen, von der Grundschule bis zu Erwachsenenbildung.
Die Auswertung erledigt die Software gleich mit. Privatpersonen bekommen einen kostenlosen Testzugang, ansonsten richtet sich das Start-up direkt an die Schulen und verkauft Jahreslizenzen.
Am Beispiel der Hellerup Skole im dänischen Gentofte zeigt Svenia Busson, dass die digitalen Unterrichtshilfen am meisten bringen, wenn ihnen ein pädagogisches Konzept zugrunde liegt, das auch die anderen Bereiche schulischen Lernens umfasst. Wie viele Schulen in Dänemark werden an der Hellerup Skole auch Lernergebnisse und Unterrichtsmaterialien über einen Server mit Schülern und Eltern ausgetauscht.
Der Geist der Schule zeigt sich schon an der Gestaltung des Schulgebäudes, die offen und luftig ist. Ebenso kooperativ ist die Arbeit an der Schule, die zur Hälfte der Zeit nicht einzelne Fächer unterrichtet, sondern den Stoff in Projektarbeit vermittelt.
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