Düsseldorf Schule will Klima schützen - und wird bedroht
Es sollte ein witziger und lehrreicher Tag in den Klassenzimmern der Düsseldorfer Martin-Luther-Grundschule werden, jetzt herrscht Chaos. "Wir haben Angst, dass es weiter hochkocht", sagt Rektorin Linda Hennemann. "Wir wollen doch nur in Ruhe arbeiten."
Den Ausnahmezustand an der Schule in Nordrhein-Westfalen, 190 Schüler, 13 Lehrer, löste ein Elternbrief aus, der dem SPIEGEL vorliegt. Der Brief wurde Ende vergangener Woche ausgeteilt, wie zunächst die "Rheinische Post" berichtete.
Er enthielt die Information, dass am Freitag, dem Tag der Zeugnisvergabe und nur drei Schulstunden lang, der "Warme-Pulli-Tag" sei. An diesem Tag bleibe die Heizung im Gebäude ausgeschaltet, daher sei es wichtig, dass die Kinder sich warm anzögen. Alles sei erlaubt: Schal, Mütze, lange Unterhose.
Kleine gegen das Große
Mit der Aktion, die Teil eines Energieprojektes mit der Stadt Düsseldorf ist, sollten die Kinder sensibilisiert werden, sagt Rektorin Hennemann: Wie geht Energiesparen? Wie können Kleine gegen das Große, den Klimawandel, kämpfen?
Doch bevor der Tag kommen konnte, ergoss sich eine ganze Menge Hass über der Schule. Er entlud sich bei Facebook. Dort, in der Gruppe "Nett-Werk Düsseldorf", hatte eine Mutter am Wochenende ein Foto des Elternbriefes hochgeladen, um ihn zur Diskussion zu stellen.
Die geschlossene "Nett-Werk"-Gruppe ist Floh-, Wohnungsmarkt und Ratgeberforum in einem, hat 86.000 Mitglieder. Viele Städte haben eine solche Gruppe, meistens ist sie praktisch. In diesem Fall aber zeigte sie, was passiert, wenn Diskussionen online geführt werden, von Massen, von Fremden, ohne Hintergrundinformationen und über eine Frage, die gerade auch öffentlich zur Debatte steht: Klimawandel, ja oder nein - und wenn ja, was tun?
Hunderte Kommentare
Wenige Stunden, nachdem die Mutter den Brief gepostet hatte, hatten Hunderte kommentiert, erzählt Rektorin Hennemann. Es habe etwas Lob, aber vor allem heftige Vorwürfe gegeben: Die Aktion sei Kindeswohlgefährdung, schrieben die einen. Andere rieten der Mutter, das Jugendamt zu informieren. In der Schule seien "Schwachsinnige" am Werk, hieß es, die Kinder sollten nicht für so etwas benutzt werden.
"Als ich das sah, wurde mir schwummerig", sagt Hennemann. Unangenehm war vor allem, dass der Brief einen Fehler enthielt: An dem Tag sollte die Heizung des Gebäudes nicht ausgeschaltet, sondern lediglich reguliert werden, von 21 auf 18 Grad, sagt Hennemann. Eine "Kindeswohlgefährdung" besteht da nicht - und selbst dann nicht, wenn die Heizungen einmal ausfallen würden: Die Temperatur falle in dem Gebäude nicht auf unter 16 Grad, sagt Hennemann.
Doch der Facebook-Eintrag war draußen - und mit ihm kam noch mehr Wut. Lokale Medien berichteten über die Schule, ein rechtes Portal schrieb die Kontaktdaten der Schulleitung unter seinen Artikel. Die bekam daraufhin mehr als 200 E-Mails, in denen sie übel beschimpft wird. Ein Absender, erzählt Hennemann, habe geschrieben: "Man sollte Sie umbringen, bevor Sie so einen Scheiß mit den Kindern machen".
Demonstrierende Kinder, aufgebrachte Erwachsene
Das Telefon in der Schule stehe nicht mehr still, sagt Hennemann, und dass sie das alles nicht verstehe: Warum drehen so viele durch, weil eine Schule das Energiesparen übt - und dabei selbstverständlich kein Kind erfrieren lassen würde? Die Martin-Luther-Grundschule ist für ihre Umweltprojekte bekannt. Sie hat unter anderem "Energiedienste" eingeführt, damit alle gemeinsam ans Lichtausmachen und Fensterschließen denken. Klimaschutz ist immer wieder Gegenstand des Unterrichts.
Angenommen, in Düsseldorf herrsche tatsächlich einmal plötzlich Eiszeit: In der Schule gebe es Decken, Pullis, Tee, sagt Rektorin Hennemann. Kein Schüler würde sich selbst überlassen. "Die Schule ist gut isoliert."
Doch eben dieser Schule attestieren Unbeteiligte, vermutlich Erwachsene, nun Inkompetenz in Natur- und Sachkunde - während in diesen Tagen gleichzeitig Tausende Schüler in Schweden, Belgien, Australien, Amerika und Deutschland auf die Straßen gehen, um nach dem Vorbild der jungen Aktivistin Greta Thunberg gegen den Klimawandel einzutreten.
Im Video: Klima-Aktivistin Greta Thunberg
Während der Beitrag der Düsseldorfer Mutter auf Facebook diskutiert worden sei, habe es von der Elternschaft keine einzige Beschwerde wegen der Aktion gegeben, sagt Rektorin Hennemann. "Die Mutter, die den Brief hochgeladen hat, hätte auch einfach mal bei uns fragen können, wenn sie Gesprächsbedarf hat. Dann wäre das Ganze nie passiert."
Schule unter Schock
Das Kollegium der Martin-Luther-Grundschule sitze nun häufig im Lehrerzimmer, gemeinsam stellten sie sich die Frage, "wie etwas so dermaßen ausarten kann", sagt Hennemann.
Die Frau, die den Elternbrief ins Netz stellte, habe den Beitrag inzwischen gelöscht. Man habe ein "vernünftiges Gespräch" mit der Mutter geführt, sagt Rektorin Hennemann. Nun müsse sie sich noch überlegen, ob sie gegen Einzelne vorgehe, die sie per E-Mail beschimpft haben. Die Schule müsse sich erholen, sagt Hennemann.
Der "Warme-Pulli-Tag" werde trotzdem stattfinden. Am Freitag werde es Zeugnisse geben, heißen Tee, Gespräche über Wetter und Energie. In einem Schreiben, das die Schulpflegschaft aufgesetzt habe, habe man die Erziehungsberechtigen gebeten, anzukreuzen: Ist es in Ordnung, dass es in der Schule für drei Stunden etwas kälter ist - oder möchten Sie, dass Ihr Kind ausschließlich in voll beheizten Räumen unterrichtet wird?
Bis jetzt hätten 100 Prozent der Eltern gesagt, dass die Heizungen durchaus heruntergeregelt werden dürften, sagt Hennemann. "Die Kinder sind aufgeregt und freuen sich auf den besonderen Tag." Der Sohn der Frau, die den Elternbrief auf Facebook teilte, komme auch.