Ein Jahr bei den Aussies "Bloody... everything"

Ein zweites Zuhause am Ende der Welt: Austauschschüler Lars Ippich, 17, hat in Australien Kängurus beim Hopsen zugesehen und Menschen beim Fluchen zugehört. Für seine Schule wurde er sogar zum Punk. Jetzt fliegt er zurück nach Deutschland - und das tut tatsächlich weh.

Vor zehn Monaten stand ich in Deutschland am Flughafen und wartete auf meinen Flieger ans andere Ende der Welt. Nun bin ich auf dem Weg zurück - autsch! Australien ist mein zweites Zuhause geworden.

Was wusste ich vorher? Alles, was man von Australien so hört: Gastfreundliche Leute, die irgendein Englisch sprechen. Sonne, Hitze, Ozonloch. Lauter gefährliche Tiere. Spinnen, die tauchen können; Schlangen, Haie. Eigentlich das letzte Land, in das ich hätte gehen wollen.

Als ich dann da war, fiel mir zuerst auf: Schneller als 100 Stundenkilometer darf man nirgendwo fahren - und das auch nur auf der linken Seite. Die Australier haben eine andere Sichtweise auf die Dinge des täglichen Lebens, am besten kommt sie im Ausspruch She'll be right! zum Ausdruck. Oder auch in der für den Ausländer absolut unverständlichen Form: She'll be apples!

Wen auch immer die Australier mit she meinen, weiß ich nicht. "Sie" hat sich nie bei mir vorgestellt. Inhaltlich heißt der Spruch so viel wie: "Wird schon".

"Bloody cows", "bloody cars", "bloody everything"

In vier Familien habe ich in Australien gelebt, mal für fünfeinhalb Monate, mal nur für acht Tage. In Deutschland denkt man vielleicht, alle Australier wären gleich oder irgendwie ähnlich. Stimmt aber nicht.

Da ist zum Beispiel der Australier, für den einfach alles bloody ist: Bloody cows, bloody cars, bloody everything. Man könnte diese Menschen für missmutig halten, und... das sind sie irgendwie auch.

Und dann gibt es den Einwanderer, der vor einem Vierteljahrhundert aus Europa kam und trotzdem noch immer unentwegt darüber redet. Und es gibt den relaxten Familienvater, dessen Vorfahren eigentlich schon immer hier waren - jedenfalls tut der so. Ist natürlich auch Quatsch. Schon immer hier waren nur die Aborigines.

Es war ihnen vermutlich nicht immer direkt bewusst, aber sie alle haben mir Weisheiten fürs Leben mitgegeben: Ich weiß jetzt, dass ich niemals so viel fluchen werde wie Onkel Bloody und wie sehr es sich lohnt, mal über den Horizont hinauszublicken und den richtigen Sprung zu wagen. Man kann in Australien wunderbar aufs Land ziehen und sein Leben im Grünen genießen.

Ja, das kann man in Europa auch. Aber in Australien ist es irgendwie noch leerer, da draußen.

Erst "Squishy", dann "The German", dann ein Punk

Meine neuen Freunde nannten mich am Anfang immer Squishy, weil sich meine Wangen so gut eindrücken ließen. Dann war ich The German, und alle redeten in der Schule über den Zweiten Weltkrieg. Als ob das alles noch nicht genug gewesen wäre, wollte eine Mitschülerin auf einmal Eisbären- und Pinguinbabys mit mir haben. Wie, das geht nicht? Sie wusste mit Sicherheit, wie das funktioniert. Die Australier sind ein pfiffiges Völkchen. Oft skurril, aber immer lustig.

An einem Tag hatten wir in der Schule den Out of uniform-Tag: Keiner musste seine Schuluniform tragen, wir haben alle zwei Dollar an eine wohltätige Organisation gespendet und wurden darum gebeten, uns als Punks oder Prinzessinnen zu verkleiden. Da ich ohnehin mal wieder mit dem Haareschneiden dran war, habe ich mir halt nur eine halbe Frisur schneiden lassen - und für den Tag die andere Hälfte stehen gelassen.

Den Weihnachtsmann in Badehose habe ich zwar nicht gesehen, aber ein Silvester mit knapp 40 Grad ist eine mindestens ebenso verrückte Erfahrung. Einige Monate habe ich auf einem Weingut gelebt und hörte nachts nicht nur unseren Hund, sondern auch Koala-Bären. Kängurus gab es da ebenfalls, und in unserem Schuppen huschte ständig ein Possum umher.

Ein echtes Hobby habe ich mir da in der Fast-Wildnis zugelegt: Kängurus jagen. Nicht mit der Schrotflinte, sondern friedlich mit der Kamera. Macht aber mindestens genauso viel Spaß. In Deutschland werde ich es wohl erstmal wieder aufgeben müssen. Zumindest, bis ich ein paar der hüpfenden Beuteltiere heimisch gemacht habe.

Ein zweites Zuhause, ein zweites Leben

Ich habe ein zweites Leben begonnen am anderen Ende der Welt. Das, was mein altes Leben war, ging erstmal ohne mich weiter. Meinen Nebenjob in Schiffdorf hat jemand anderes übernommen, mein Banknachbar bei einem anderen Kumpel die Hausaufgaben abgeschrieben. Und irgendwer muss ja auch zu Hause den Rasen gemäht haben, als ich nicht da war.

Manchmal wurde es in diesem Jahr auf einmal still. Keine neuen Nachrichten in meiner Mailbox, in Deutschland war es tiefe Nacht, alle schliefen. Keiner schrieb mehr, alle waren mit sich selbst beschäftigt. Menschen, die ich für gute Freunde hielt, waren wohl doch nicht mehr als nur Bekannte. Wozu auch schreiben - wenn ich ohnehin am anderen Ende der Welt bin?

Melbourne ist jetzt mein zweites Zuhause. Ich mag die Stadt und bin gern dort. Die Straßen sind voller Menschen, wenn ich am Ufer des Yarra sitze, gucke ich so rum und bilde mir ein, ich würde alle drei Millionen Einwohner persönlich kennen. Bald werde ich wieder deutschen Boden unter den Füßen haben, zurück geht es in mein altes Leben. Alles wird wieder wie früher. Oder?

Eigentlich ist das Unsinn. Nichts wird so sein wie vorher. Ich bin nicht mehr der, der ich vor Australien war.

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