
Veras Heimkehr-Blues Wir sehen uns nächstes Jahr, Brasilien
So lange hatte ich mich vorbereitet: Ich füllte Dokumente aus, reiste zu Vorbereitungstreffen, als ich endlich im Gastland ankam, traf ich Menschen, die komische Dinge taten - oh Gott, ich konnte Reis und Bohnen nach drei Wochen nicht mehr sehen. Bald verstand ich die ersten Worte dieser fremden Sprache, dann bekam ich das Portugiesische nicht mehr aus dem Kopf. Und irgendwann nahm ich am Buffet ganz automatisch Reis und Bohnen, weil der Teller sonst so unvollständig aussah.
Jetzt ist es vorbei. Und doch irgendwie noch nicht. Kann ich mit so einem Austauschjahr überhaupt irgendwann abschließen? Als ich wegfuhr, wusste ich, wo ich herkomme, wie ich bin, was ich mag - zumindest glaubte ich das. Jetzt, nach meiner Rückkehr in mein altes Zuhause, bin ich verwirrt. Und glücklich. Ich habe so viel gelernt.
Spannend fand ich etwa, wie ich mir bewusst einen Platz in der Gesellschaft suchen musste. In Deutschland hatte ich ihn ja schon automatisch, in Brasilien musste ich ihn mir erarbeiten und mich bewusst entscheiden, wie ich wahrgenommen werden möchte. Das war im Nachhinein sicher eine der schwierigsten Herausforderungen. Ich bin stolz, das gemeistert zu haben und zu sagen: Brasilien hat für immer einen festen Platz in meinem Herzen eingenommen.
Die unromantischen Seiten des Abschieds
Als erstes verabschiedete ich mich in Brasilien von meinem Gastvater. Wir gingen in unser Lieblingsrestaurant, redeten viel, schauten uns noch einmal unsere Stadt Campinas an und unterhielten uns über die vergangenen Monate. Der Tag war einfach nur schön. Ich habe das sehr genossen, weil ich wusste, dass ich ihn lange nicht mehr sehen werde. Als wir uns zur Verabschiedung umarmten, ging es noch, aber als mein Gastbruder und ich ihm vom Balkon aus zuwinkten, musste ich weinen. Dabei weine ich sonst eigentlich nicht; ich bin hier emotionaler geworden.
Andere Abschiede liefen ganz automatisch, von meinen Lehrern und Mitschülern beispielsweise, obwohl sie mir alle ans Herz gewachsen sind. Jene Mitschüler, aus denen Freunde geworden sind, waren allesamt auf meiner wunderbaren Abschiedsparty.
Ein Abschied hat natürlich auch unromantische Seiten: Ich musste Dokumente für den Rückflug zusammensuchen, Koffer packen, Zimmer ausräumen. Ich hatte wieder viel zu viele Klamotten und entschied mich, mehr als die Hälfte zu spenden.
Als der Abflugtag kam, dachte ich kurz an all die Dinge, die ich machen wollte, aber nicht mehr geschafft habe - und schloss meinen Frieden damit. Weil das, was ich erlebt habe, mir einfach so viel mehr gegeben hat. Kurz vor der Abreise kam der Punkt, wo ich wirklich für den Moment lebte. Früher konnte ich diese Phrase nie nachvollziehen. In den letzten Stunden tat ich es. Ich trauerte nichts hinterher, machte mir keine Sorgen über das Wiedereinleben in der anderen Heimat.
Am Flughafen verstand mein kleiner Gastbruder Mateus mit seinen zwei Jahren die Situation natürlich noch nicht. Ich fuhr gefühlt zwanzig Mal die Rolltreppe mit ihm rauf und runter, wie ich es so oft mit ihm während meines Austauschjahres getan hatte. Es war schlimm, mich zu verabschieden und den wichtigsten Menschen der vergangenen zehn Monate auf Wiedersehen sagen zu müssen.
In Deutschland beginnt der letzte Teil der Reise
Doch ich beherrschte mich, ging durch die Gepäckkontrolle und kam mir ein wenig vor wie bei meiner Ankunft. Auf Wiedersehen, Campinas. Ich danke dir.
In den Stunden danach habe ich irgendwie funktioniert - bis die Vorfreude einsetzte: Es geht wieder nach Deutschland! War das nicht meine Heimat, nach der ich mich am Anfang so gesehnt habe? Die Straßen sind bei uns in Ostfriesland so schön, und endlich habe ich wieder mein Fahrrad! Auch wenn ich darauf verzichten konnte: Ich freue mich über solche Kleinigkeiten. Wobei ich genau das jetzt auch umgekehrt vermisse: meinen Bus 154 aus Campinas zum Beispiel, mit dem ich mich so oft verirrt hatte.
Noch habe ich den Spagat zwischen Auslandsjahr und Wiedereinleben nicht geschafft, aber ich bin auch erst vier Wochen wieder hier. Anfang September habe ich ein Nachtreffen mit meiner Organisation und anderen Austauschschülern, das wird mich sicherlich noch mal aufwühlen. Jetzt muss ich mir eine neue Routine suchen, neue Dinge erleben und die beiden Kulturen, die ich kenne und schätze, irgendwie in Einklang bringen. Ich bin zuversichtlich, dass ich das noch schaffe.
Momentan mache ich ein Praktikum in meiner Kirchengemeinde und jobbe nachmittags im Geschäft meines Vaters. Ich will Geld sparen. Für August 2015. Für Brasilien.