
Syrer auf Hallig Langeneß: Flucht bis zum Horizont
Flüchtlinge auf Hallig Aus der Wüste ins Wattenmeer
Die Sonne spiegelt sich über dem schleswig-holsteinischen Wattenmeer, die Nordsee glitzert. Ahmed Alsamiyes Blick schweift vom Wohnzimmer in die Weite des Horizonts. Seine Heimat war früher ein syrisches Dorf nahe der Grenze zum Libanon und zu Israel, 4000 Kilometer entfernt. Seit November lebt der 32 Jahre alte Syrer mit seiner Familie auf der Hallig Langeneß. "Ich bin am Ende der Welt", habe er bei seiner Ankunft gedacht, erzählt er.
Auf Hallig Langeneß leben gerade einmal 100 Menschen. Das neue Heim der Familie ist eine 95 Quadratmeter große Ferienwohnung - Meerblick in allen Zimmern inklusive. Sie gehört Familie Petersen, die im selben Haus im Erdgeschoss wohnt.
Dass die syrische Familie überhaupt auf Langeneß gelandet ist, hat mit der Hartnäckigkeit der Petersens zu tun. Johann wollte helfen, durfte aber zunächst nicht. Man könne da niemanden rüberschicken, beschied ihm die Ausländerbehörde des Kreises Nordfriesland. Ende vergangenen Jahres stimmten die Behörden angesichts der vielen Flüchtlinge schließlich doch zu. Am 2. November holten die Petersens die syrische Familie in Niebüll ab. "Die waren nach der Ankunft hier ziemlich entsetzt", sagt Johann Petersen.
Gleich an den ersten Tagen lernten die Syrer die Naturgewalten des Wattenmeers kennen: "Entweder war Sturm oder Regen oder einfach beides." Herbststürme peitschen über die Nordsee. Landunter. Vor allem die Dunkelheit bereitete den Flüchtlingen anfangs Probleme, wie sie sagen.
Die Alsamiyes hatten ihre Heimat im August hinter sich gelassen. Sie flohen zunächst in die Türkei, von dort ging es in einem kleinen Boot über das Mittelmeer nach Griechenland. Per Bus und Bahn folgten die letzten Etappen der strapaziösen Reise bis in den hohen Norden. "20 Tage haben wir für unsere Flucht gebraucht", sagt Ahmed.
Zwei Lehrer, 18 Schüler, eine Klasse
Knapp fünf Monate später hat sich die Familie auf Langeneß eingelebt. Die beiden Mädchen Fatma, 6, und Sham, 4, besuchen Halligschule und Kindergarten, lernen jeden Tag mehr Deutsch. Die kleine Halasham, 1, bleibt noch zu Hause. Im Sommer kommt Kind Nummer vier.
"Wenn Fatma da ist, wird nicht gestritten. Egal, ob in der Schule oder zu Hause", sagt Mutter Irina Petersen. Das kleine syrische Mädchen mit dem langen dunklen Haar und den großen Augen hat die Kinder auf der Hallig beeindruckt.
"Ich Schule", sagt Sham und klettert in das weiße Auto der Petersens. Vater Johann bringt die Kinder zur Halligschule. Zwei Lehrer unterrichten dort 18 Schüler aller Altersstufen.
Wenn sie im Garten vor dem Haus spielen, unterhalten sich die Kinder bereits auf Deutsch. "Wir reden einfach", sagt Petersens Sohn Leo. Die Verständigung mit den Kleinen gehe prima.
Die Kommunikation unter den Erwachsenen ist dagegen noch mühsam. Die Petersens sprechen kein Arabisch, die neuen Mitbewohner im Obergeschoss kein Englisch. Ahmed Alsamiye verstehe mittlerweile aber etwas Deutsch. "Es geht mit Händen und Füßen irgendwie", sagt Irina Petersen, 48.
Einmal in der Woche fährt sie mit ihrer Tochter Lene und Ahmed aufs Festland. Schnurgerade geht es mit der Lore durch die raue Welt des Wattenmeeres. Am Gashebel vorne sitzt Johann Petersen.
Die Lore tuckert vorbei an den Häusern der benachbarten Hallig Oland und weiter über den schmalen Damm. Etwa 45 Minuten dauert die rund zehn Kilometer lange Tour bis Dagebüll.
Mit dem Auto geht es weiter ins zwölf Kilometer entfernte Niebüll. Dort hat Lene Petersen Klavierunterricht. Irina besucht währenddessen regelmäßig mit Ahmed den irakischen Kaufmann Mustafa, der ihr Gespräch dolmetscht - so gibt es wenigstens ab und zu die Möglichkeit, auch schwierigere Themen zu besprechen.
"Wir machen im Moment ziemlich viel falsch"
Petersen raucht im Schaukelstuhl eine selbst gedrehte Zigarette. Der syrische Familienvater sitzt ihm gegenüber und knabbert an einer Teigschnecke. "Ahmed hat alles richtig gemacht, und wir machen hier in Deutschland im Moment einfach ziemlich viel falsch", sagt der Norddeutsche.
Für Anschläge auf Flüchtlingsunterkünfte, wie sie auf dem deutschen Festland fast täglich vorkommen, fehlt dem Mann mit dem prächtigen Rauschebart und der Wollmütze jedes Verständnis. "Wir haben ein gesellschaftliches Problem. Und das liegt nicht an den Syrern." Deutschland sei offensichtlich "viel brauner, als man bislang gedacht hat".
Auch deshalb haben die Petersens ihren Nachbarn auf der Hallig im Vorfeld nichts von den Neuankömmlingen erzählt. "Das Ganze hätte ja auch schiefgehen können", sagt Irina. Ging es aber nicht. "Ich fühle mich sehr gut hier, sehr gut angenommen", sagt Ahmed Alsamiye und wirkt dabei zufrieden.
Er will nun so schnell wie möglich arbeiten. Bereits in seiner Heimat hatte der Syrer mit Pferden zu tun. Und dass er mit Tieren umgehen kann, hat er bereits bei der Arbeit mit den Highland-Rindern der Petersens bewiesen. Als der Hausherr mit einer Erkältung flach lag, hat der Syrer den kleinen Hof auf der Warft am Laufen gehalten. "Die anderen hier fragen mich schon immer: Können wir den nicht auch mal haben", erzählt Johann Petersen.
Junge Familien fehlen auf den Halligen. "Wir haben ein kleines demografisches Problem", sagt Petersen. "In den vergangenen Jahren sind zwar einige vom Festland zurückgekehrt", sagt Bürgermeisterin Heike Hinrichsen. Die Tendenz sei langfristig aber eher wieder abnehmend. Deshalb ist sie auch skeptisch, was die syrische Familie betrifft. "Es ist ja mit Arbeit eher schwierig auf der Hallig."
Sie geht davon aus, dass sich die Alsamiyes langfristig in Richtung Festland orientieren werden, auch wenn die Akzeptanz auf der Hallig sehr groß sei. "Sie hat da einfach mehr Möglichkeiten." Die syrische Familie selbst hat sich noch nicht entschieden.