Unterricht in WM-Zeiten Wie sich mit Fußball die Welt erklären lässt

Die Zeit der Fußball-WM ist für Lehrer verdammt schwer, die Schüler sind unkonzentriert und abgelenkt. Aber: Man kann mit Fußball auch ganz fantastisch Unterricht machen.
Schüler spielen Fußball auf einem Schulhof (Symbolbild)

Schüler spielen Fußball auf einem Schulhof (Symbolbild)

Foto: Julian Stratenschulte/ picture alliance / Julian Stratenschulte/dpa

Rückblick: Referendariat in Schleswig-Holstein (2004)

Kai, zehnte Klasse, ist Bayern-, ich bin Bremen-Fan. Wenn Bayern am Wochenende gewonnen hat, zieht Kai am Montag sein Bayerntrikot an und grinst, sobald ich den Klassenraum betrete. Aber häufiger habe ich Grund zu grinsen: Denn Bremen wird, heute unvorstellbar, 2004 Meister.

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Arne Ulbricht, Jahrgang 1972, unterrichtet an einer Gesamtschule in Nordrhein-Westfalen Französisch und Geschichte. Der Lehrer ist Autor mehrerer Bücher. Soeben ist sein Erzählband "Vatertag!" erschienen. Hier geht es zu seiner Website .

Inzwischen hat sich einiges geändert: Ich wohne in Wuppertal, und der Profifußball widert mich an. Dennoch bleibt Fußball zentraler Bestandteil meines Unterrichts. Denn ich nutze ihn regelmäßig, um das Interesse der Schüler auf bestimmte politische oder gesellschaftliche Themen zu lenken. Das geht ganz fantastisch, denn sobald der Begriff "Fußball" fällt, hören die meisten plötzlich zu - längst nicht mehr nur die Jungs.

Ich sage zum Beispiel: "Katar gilt als Staat, der den Terrorismus unterstützt. Paris ist eines der Opfer des Terrorismus. Gleichzeitig feiert Paris den Fußballer Neymar, für den Katar über 200 Millionen Dollar hingeblättert hat. Das ist doch absurd!" Obwohl das Wort "Fußball" nicht mal gefallen ist, reagiert ein Schüler sofort: "Aber Herr Ulbricht, besser Katar blättert das Geld für Neymar hin, als dass sie es Terroristen geben."

Punktsieg für den Schüler! Aber trotzdem: zweihundert Millionen? Und all die anderen Megamillionentransfers? Anschließend geht es a) um das Phänomen Terrorismus und b) um die Frage der sozialen Gerechtigkeit in einer globalisierten Welt, in der wenige Menschen astronomische Summen verdienen, während viele Menschen nicht genug zum Fressen haben.

Anderes Beispiel: Ich zeige meinen Schülern ein Plakat der deutschen Mannschaft von 1992. (Mit Matthäus, Klinsmann und so weiter)

"Was fällt Ihnen auf?"

"Sehen alle gleich aus. Langweilig", sagt Niko.

Stimmt. Spieler, die aussahen wie Boateng oder Özil, gab es damals nicht. Anhand der Zusammensetzung von Fußballmannschaften lässt sich unendlich viel allein zum Thema Integration sagen.

Lisa ergänzt: "Die haben keine Tattoos."

Ich bin begeistert.

"Genau! Fußballer geben heutzutage ihr Geld in Tattoostudios und beim Friseur aus... für mich sind das alles Kinder mit einem Aufmerksamkeitsdefizit und..."

Niko unterbricht mich: "Was soll das denn? Das sind doch nur Äußerlichkeiten."

Und Lisa: "Die gehen halt mit der Zeit. Früher trugen alle Vokuhila, heute haben sie andere Frisuren."

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Es entsteht eine Diskussion über die Bedeutung des Fußballs in einer Zeit, in der eine Partei, die momentan ein Drittel der aktuellen deutschen Mannschaft am liebsten abschieben würde, im Bundestag sitzt. Ich fordere die Schüler auf, einzelne Standpunkte zu begründen und auf Politik, Geschichte und Gesellschaft zu beziehen. Das mache ich übrigens immer. Aber meistens begründen die Schüler nichts, und Lust, irgendetwas auf was auch immer zu beziehen, ist sowieso zu anstrengend.

Aber nicht, wenn man als Aufhänger Fußball nimmt!

Ein Thema, mit dem man das Interesse der Schüler übrigens im Keim erstickt, ist das Thema Gewaltenteilung. Ich freue mich schon darauf, wenn ich das Thema das nächste Mal erkläre: Ich werde es anhand des Bremer Wer-zahlt-Polizeieinsätze-Urteils versuchen. Da ist alles drin! Der Innenminister und die Polizei als Teil der Exekutive. Die Gerichte, also die Judikative. Und irgendwer hat die Gesetze ja gemacht! Wer denn eigentlich? Ach ja, die Parlamente... also die Legislative!

Vielleicht kapiert es dann ja endlich jemand.

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