Turbo-Abi Bayern versucht den Befreiungsschlag

Notoperation am G8: "Lehrerreserve" und weniger Stoff in Geschichte und Sprachen
Foto: Armin Weigel/ picture alliance / dpaLernstress, überfrachtete Lehrpläne und zu wenig Förderung - das sind die wichtigsten Kritikpunkte bayerischer Lehrer-, Schüler- und Elternverbände, seit das achtjährige Gymnasium (G8) vor drei Jahren in Bayern eingeführt wurde. Der Unmut hält seitdem unvermindert an.
Jetzt will die Landesregierung ein gutes Jahr vor der Landtagswahl 2013 beim Turbo-Abi nachbessern. Das Kabinett beschloss am Dienstag ein Änderungspaket, das bayerischen Schülern die verkürzte Gymnasialzeit erleichtern soll.
Die CSU-FDP-Regierung wolle damit auf keinen Fall G8 aufweichen, sagte Henning Gießen, Sprecher des bayerischen Kultusministeriums. Er betonte, es gehe nicht um ein "zusätzliches Schuljahr". Vielmehr würden "im Rahmen des bestehenden Lehrplans bestimmte Förderinstrumente eingeführt". Bis auf Rheinland-Pfalz haben alle Bundesländer das G8 mittlerweile umgesetzt oder beschlossen.
Nach den neuen Plänen sollen einzelne Schüler in Bayern ihre Zeit bis zum Abitur bald freiwillig um ein Jahr verlängern können. Hinkt ein Gymnasiast in der achten, neunten oder zehnten Klasse in einzelnen Fächern hinterher, kann er ein "Flexibilisierungsjahr" einlegen, um seine Lücken zu schließen. Andere Schüler können das Jahr nutzen, um zum Beispiel ins Ausland zu gehen. In die Entscheidung, was "pädagogischen Mehrwert" für einen Schüler habe, sollen die Lehrer seiner Klasse mit einbezogen werden.
Außerdem vereinbarte das Kabinett folgende Maßnahmen:
- Damit weniger Schulstunden ausfallen, soll bis zum Schuljahr 2014/15 an jedem staatlichen Gymnasium eine "integrierte Lehrerreserve" eingerichtet werden. Das bedeutet, dass die Schulen zusätzliche Stunden im Umfang von mindestens einer Vollzeitstelle zugeteilt bekommen - vorausgesetzt, der Landtag stimmt dem neuen Haushaltsplan für 2013/2014 zu.
- Die Lehrpläne der älteren Schüler werden entschlackt, und zwar in insgesamt 11 von 25 Fächern, darunter in Geschichte und in modernen Fremdsprachen. Zehnt- und Elftklässler lernen schon im kommenden Schuljahr nach den neuen Plänen, Zwölftklässler dann ab 2013.
- Die Gymnasien sollen Konzepte für bessere individuelle Förderung entwickeln. Renate Will, bildungspolitische Sprecherin der FDP im Landtag, schlug in der "Süddeutschen Zeitung" vor, schlechte Schüler zum Beispiel für Blockseminare an den Wochenenden oder in den Ferien an die Schulen zu holen. Solche Maßnahmen soll die Schule anbieten, wenn ein Schüler im Halbjahreszeugnis durch schlechte Noten auffällt. Die Regierung nennt das "Frühwarnsystem", es soll das Sitzenbleiben am Jahresende verhindern helfen. Außerdem sollen Ganztagesangebote ausgebaut werden.
Zuletzt hatte Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU) am Montag zu einem Runden Tisch mit Eltern-, Lehrer- und Schülervertretern eingeladen. Die Gespräche seien die Basis der geplanten Schritte gewesen, heißt es einer Pressemitteilung der Staatskanzlei. Kultusministeriumssprecher Gießen erklärte, die Reform komme jetzt, weil inzwischen zwei komplette Durchgänge des G8-Abiturs evaluiert werden konnten und man erst jetzt konkret sagen könne, an welchen Stellen es noch Verbesserungsbedarf gebe.
Die Opposition im Landtag kritisierte die Reformvorschläge als "Murks" (SPD) und "missglückten Befreiungsschlag" (Grüne). Was Ministerpräsident Seehofer mit den Interessenvertretern "im kleinen Kreis zusammen geschustert" habe, werde nicht helfen, das Vertrauen in die Gymnasien zurückzugewinnen, sagte der bildungspolitische Sprecher der SPD-Landtagsfraktion, Martin Güll.
Vor allem in den Eingangsjahren würden die Gymnasiasten durch die Reformen der Regierung nicht entlastet. Das "Flexibilisierungsjahr" sei ein "besseres Wiederholungsjahr" ohne pädagogisches Konzept. Dadurch werde letztlich auch die Lehrerreserve aufgezehrt, mit der die Regierung eigentlich die vielen Ausfallstunden bekämpfen wolle, kritisierte Güll.