Genies in der Grundschule Wie sich Hochbegabung erkennen lässt
"Das Kind fällt durch extrem waches, aufmerksames Zugehen auf die Welt auf", beschreibt Hermann-Josef Rothkötter von der Deutschen Gesellschaft für das hoch begabte Kind (DGhK) in Berlin die ersten Anzeichen, "außerdem spricht es sehr früh, stellt viele Fragen und hat einen sehr guten Sprachstil." Viele extrem begabte Kinder haben zudem ein sehr geringes Schlafbedürfnis, "ein Umstand, der die Eltern fast zur Verzweiflung treibt." Manche Kinder sind auch stark verhaltensauffällig: "Das kann darauf hinweisen, dass das Kind nicht die Förderung bekommt, die es braucht", so Christian Fischer vom Internationalen Centrum für Begabungsforschung an der Uni Münster.
Sicherheit über eine Hochbegabung kann ein Test schaffen. "Mit einem Intelligenzstrukturtest lassen sich die individuellen geistigen Bedürfnisse der Kinder ermitteln", sagt Karsten Otto von der Hochbegabtenförderung in Bochum. "Die normale Intelligenz liegt im Bereich von 95 bis 100, ab 115 spricht man von überdurchschnittlicher Intelligenz, und ab 130 liegt eine intellektuelle Hochbegabung vor". Otto rät, sich an einen geschulten Psychologen zu wenden: "Gerade wenn die Kinder jung sind, müssen viele Erfahrungen vorliegen, um die Ergebnisse richtig zu interpretieren", rät Otto. Relevante Ergebnisse liefern die Tests aber erst ab einem Alter von fünf Jahren.
Hochbegabung kommt oft im Doppelpack
Auch die Geschwister sollten getestet werden: "Besondere Begabungen entwickeln sich durch die Interaktion von Anlage und Umwelt", sagt Fischer. Daher sei es nicht unwahrscheinlich, dass bei der Schwester oder dem Bruder ebenfalls eine hohe Begabung vorliege. Das Testen aller Kinder einer Familie kann auch verhaltensunauffälligere Hochbegabte zu Tage fördern. "Vor allem Mädchen tendieren dazu, ihre Begabung zu verstecken, weil es ihnen besonders wichtig ist, in den Sozialverband integriert zu sein."
Manche Experten kritisieren, dass eine reine Diagnostik des Intelligenzquotienten (IQ) nicht ausreiche, um das Begabungsprofil des Kindes vollständig zu erfassen. Es müsse auch darauf geachtet werden, wie das Kind im sozialen und emotionalen Bereich entwickelt sei, sagt Hochbegabungs-Experte Fischer. Die Auffassung von Intelligenz könne daher variieren. "Wenn man das aber am IQ festmacht und als Grenze einen IQ von 130 und darüber festsetzt, dürften etwa 300.000 Kinder in ganz Deutschland hoch begabt sein." Der IQ sollte dennoch nicht überbewertet werden: "Er sagt sicherlich einiges, aber nicht alles über das Kind aus."
Wie sollen Eltern mit dem Testergebnis umgehen? "Hilfreich ist es, wenn man eine Einordnung von dem Psychologen bekommt, was für Konsequenzen gezogen werden sollen, eine Art Coaching", sagt Hermann-Josef Rothkötter. Die Förderung Hochbegabter fällt Lehrern auch angesichts hoher Schülerzahlen oft schwer, berichtet er: "Da werden dann die Schlechten gut betreut, und die Guten lässt man einfach laufen. Das ist aber nicht immer richtig."
"Latente Langeweile"
Der erste Schritt für die Eltern ist, mit dem Kind nicht altersentsprechend, sondern dem Intellekt nach umzugehen. "Als Faustregel gilt: Ab einem IQ von 130 sind Kinder eineinhalb bis zwei Jahre geistig weiter, als sie biologisch sind", sagt Karsten Otto. Wer sein Verhalten nicht anpasse, laufe Gefahr, die Kinder zu unterfordern: "Man muss die Rahmenbedingungen verändern, damit das Kind besser aufpasst und sich gefordert fühlt." Denn sonst fehle den Kindern "durch die latente Langeweile dann die Motivation, sich mit schulischen Inhalten zu identifizieren".
Das erklärt auch die schlechten Noten, die hoch begabte Schüler oft nach Hause bringen. Integrative Förderung im Grundschulbereich oder das Überspringen einer Klasse können dem Kind die "geistige Nahrung" bieten, die es benötigt. "Sobald ich die schulische Förderung verbessere, passt sich das Kind besser an, ist zufriedener, und auch das Feedback seitens der Schule ist positiver", so Otto.
Auch der Austausch mit ähnlich intelligenten Kindern bringt oft Vorteile: "Diese Kinder sind oft weiter als andere, das ist nicht die ideale Voraussetzung, um Freundschaften zu schließen", meint Günter Habdank, Betreuer für den Bereich Hochbegabtenförderung beim Studienkreis in Bochum. Treffen sie dann aber mit Gleichgesinnten zusammen, fühlen sie sich oftmals sehr wohl.
Bei allem Einsatz für ein hoch begabtes Kind sollten Eltern die Geschwister nicht vergessen, schon damit es nicht zu Eifersüchteleien kommt. "Letztendlich sind alle Kinder Wunderkinder", sagt Begabungsforscher Christian Fischer, "es gilt lediglich, die individuellen Fähigkeiten zu entdecken und zu fördern."
Von Barbara Oberrauter, gms