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Mädchen und Technik: Chemie? Maschinenbau ist auch okay

Foto: Djamila Grossman / DER SPIEGEL

Mädchen und Technik-Berufe Zu viel des Guten

Schülerinnen im ganzen Land durften beim Girls' Day wieder Werkhallen- und Industrieluft schnuppern. Sie sollen für Technik begeistert werden, unbedingt. Obwohl die Initiative seit 2001 läuft, sind Erfolge nicht in Sicht.

Es ist nicht so, dass sie sich keine Mühe geben würden, Justus Notholt zum Beispiel, Professor für Physik an der Universität Bremen. An einem Mittwochmorgen steht er in einem Vorlesungssaal, haut kräftig auf einen Pappkarton, dem ein Rauchring entsteigt, stopft zwei Mentos-Bonbons in eine Flasche, aus der daraufhin meterhoch die Cola spritzt, lässt eine Dose implodieren und atmet Helium ein, damit seine Stimme höher wird und er lustig quakt.

Die Kinder johlen, so um die hundert sind gekommen, zur Physikshow der Kinderuni Bremen. Eine Stunde lang Spektakel, ein Riesenspaß, der Professor gibt ja auch alles. In der ersten Reihe sitzt Pia, 10, und sagt: "Das ist spannend, aber ich will lieber Künstlerin werden oder vielleicht Schauspielerin." Technik ist nicht ihr Ding.

Es ist nicht so, dass in Deutschland nichts getan würde, um Mädchen zu begeistern: für Mathe, Informatik, Naturwissenschaft, Technik. Jenen Bereich, der mit dem Kürzel Mint zusammengefasst wird und den noch immer Männer dominieren. Es ist eher so, dass zu viel getan wird.

Ran an die Gabelstapler

Am Donnerstag war wieder Girls' Day, es gibt ihn bundesweit seit 2001. Mehr als hunderttausend Mädchen haben 9000 Unternehmen besucht, sie durften Metall sägen und schweißen, Gabelstapler fahren oder Computer programmieren. Deutschland ist sich einig, der Tag ist wichtig. Unterstützt wird er von zwei Bundesministerien, der Bundesagentur für Arbeit, den Arbeitgeberverbänden BDA und BDI, dem Deutschen Gewerkschaftsbund, begleitet von einer "Koordinierungsstelle" mit eigener Website, YouTube-Kanal und Facebook-Seite.

Doch am Ende wird auch dieser Girls' Day wohl wenig bringen, die Zahlen legen nahe: Nur 14,6 Prozent aller Berufstätigen im Mint-Bereich sind weiblich. Deutschland gehört zu den Ländern mit dem größten Geschlechtergefälle, wenn es um die Einstellung von Mädchen und Jungen zur Mathematik geht, bemerkt ein aktueller OECD-Bericht. Nur zwei Prozent der Mädchen können sich überhaupt vorstellen, einen technischen Beruf zu erlernen, zeigte eine Allensbach-Umfrage im September.

Was läuft falsch in dieser Kampagne, bei der so viele mitmachen und die dennoch kaum Erfolge erzielt?

Im Werkraum der Schloss-Realschule für Mädchen in Stuttgart sitzen an einem Dienstagnachmittag acht Schülerinnen, alle um die zehn Jahre alt, sie biegen aus Draht das Profil der Comicfigur Selma aus den "Simpsons" nach und löten die Drahtenden zusammen. Sie jammern, sie hätten lieber Lautsprecher für ihre Smartphones gebastelt, aber die Materialien sind nicht rechtzeitig angekommen.

Die Technik-AG ist nicht verpflichtend, die Mädchen könnten auch in die Tanzgruppe gehen oder in die Mode-AG. Sie ist eines von vielen Angeboten, mit denen Martina Barnert ihren Schülerinnen die Angst vor Platinen und Motoren, vor Metall und Werkzeugen nehmen will.

Dafür kooperiert die Schule mit Unternehmen und einem Berufskolleg für Chemie und Pharmazie. Es gibt erste Erfolge: Mädchen wollen ernsthaft Elektrotechnikerin werden, und in diesem Jahr haben sich so viele Schülerinnen für den technischen Zweig gemeldet, dass es zum ersten Mal zwei Gruppen geben wird.

Oft hat Martina Barnert aber schon erlebt, dass Eltern ihren Töchtern die Berufsträume wieder ausreden. Dass sich die alten Klischees wieder durchsetzen, Jungen werden Maschinenbauer, Mädchen Zahnarzthelferin. Es fehle an Vorbildern in der Familie, sagt Barnert, "wenn es einen Ingenieur gibt, dann ist es halt meist der Papa".

Mehr Technikinitiativen als Postfilialen?

Die Diskussion, was der Grund dafür ist, dass Jungen sich mit Mathematik und Technik leichtertun als Mädchen, füllt Bände.

Es ist der alte Streit um die Frage, was biologisch ist und was erlernt. Die einen verweisen auf körperliche und genetische Ursachen, wonach etwa Jungen Vorteile in der Raumvorstellung haben. Die anderen betonen den Einfluss stereotyper Rollenbilder. Es gibt dazu eine eindrückliche Untersuchung: Selbst wenn Mädchen in Mathematik eine Eins im Zeugnis haben, neigen sie mehr als Jungen dazu, später Sprach- und Kulturwissenschaften zu studieren. Jungen mit dieser Note dagegen werden öfter Ingenieur. Talentierte Mädchen zu ermutigen ist das Ziel der Fördermaßnahmen.

Blickt man auf die "Projektlandkarte" der Initiative "Komm, mach Mint", hat man das Gefühl, dass es mehr Technikinitiativen für Mädchen als Postfilialen in Deutschland gibt. Fast 1100 Projekte sind aufgelistet. Sie werden seit 2008 vom Bildungsministerium mit 8,2 Millionen Euro unterstützt; fast jedes Bundesland hat sich diesem Pakt angeschlossen.

"Das Problem ist, dass es eine Unmenge an Initiativen gibt, aber wenige Erkenntnisse darüber, was sie bringen", sagt der Stuttgarter Sozialwissenschaftler Ortwin Renn. Was auch daran liegt, dass viele Initiativen die eigene Überprüfung scheuen. Eines aber kann Renn sagen, er hat es selbst untersucht: Einmalige Aktionen wie der Girls' Day sind gut für die öffentliche Aufmerksamkeit, technische Talente fördern sie kaum zutage.

Statt viele Eintagsfliegen zu produzieren, sollten die Initiativen sich besser vernetzen und kontinuierlich mit den Mädchen arbeiten, sagt der Soziologe. Je früher, desto besser. Das Interesse am Erforschen ist im Kindergarten bei Mädchen und Jungen noch gleich. Erst mit der Pubertät verlieren viele Mädchen die Lust an der Technik, sie entwickeln größere Selbstzweifel als die Jungen. Es müsse Menschen geben, die dann das Feuer am Brennen halten, sagt Renn.

Erfolgsgeschichten könnten helfen

An der Universität Regensburg haben Wissenschaftlerinnen "Cybermentor" entworfen. Das Programm bringt Informatikerinnen, Chemikerinnen oder Maschinenbauerinnen mit Schülerinnen zusammen. Sie tauschen sich aus, lösen gemeinsam Technikrätsel, diskutieren über Berufe. Die Mädchen entscheiden selbst, wie intensiv der Kontakt ist. 71 Prozent von ihnen studieren danach ein Mint-Fach oder machen eine entsprechende Ausbildung. Dank solcher Initiativen ist mittlerweile jeder dritte Studienanfänger im Mint-Bereich weiblich - allerdings landen die wenigsten dann tatsächlich in einem Mint-Beruf.

Helfen könnte es auch, mehr Erfolgsgeschichten zu erzählen, wie etwa die von Sule Dogan. Die 35-jährige Informatikerin leitet bei Bosch in Stuttgart-Feuerbach eine IT-Gruppe. Sie kümmert sich um die technische Kommunikation der 360.000 Mitarbeiter auf der ganzen Welt. In ihren Teams in Deutschland und Indien arbeiten nur Männer.

Sie fühle sich nicht als Exotin, sagt Dogan. Ihre türkischen Freundinnen sind alle Ingenieurinnen, der Beruf hat in ihrer Heimat ein anderes Ansehen. "Viele Mädchen in Deutschland erkennen nicht", sagt sie, "wie wertvoll und spannend ein Job im technischen Bereich ist." Klischees seien schwer aufzubrechen, sie versucht es trotzdem, als Mentorin für Jüngere.

Sie selbst wusste schon in der Schule, dass ihr Mathematik Freude bereitet. Mit 18 zog sie von zu Hause aus, studierte Informatik in Izmir und lernte Deutsch am Goethe-Institut. Bei Bosch war sie in ihrer Gruppe zunächst die einzige Ingenieurin. Die Arbeit habe ihr Spaß gemacht, sagt Sule Dogan, das war ihre Motivation. Sie brauchte keine Soap, keinen Workshop, keinen Girls' Day. Sie hat einfach auf sich selbst gehört.

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