
Rechtschreibung: "Klaus macht mit seinem fater einen Walt Lauf"
Lernmethode "Lesen durch Schreiben" "Das ist völliger Unsinn"
SPIEGEL: Sehr viele Grundschüler in Deutschland lernen inzwischen mit Methoden und Lehrgängen schreiben, die Elemente des Konzepts "Lesen durch Schreiben" des Schweizer Reformpädagogen Jürgen Reichen übernommen haben. Das sind zum Beispiel die "Rechtschreibwerkstatt", "Tinto", die "ABC-Lernlandschaft" oder "Konfetti". Was halten Sie von diesen Verfahren?
Jansen: Nichts, die Grundannahme dieser Methoden ist falsch. Reichen ging davon aus, dass Kinder sich die Schriftsprache selbst erarbeiten könnten. Dafür sollen sie zunächst so schreiben, wie sie sprechen. Ein Unding! Zahllose Fehlschreibungen - die von Lehrern über ein oder sogar drei Jahre hinweg nicht oder kaum korrigiert werden - sind vorprogrammiert. Die Kinder dann in der zweiten oder dritten Klasse wieder umzupolen und ihnen statt der antrainierten chaotischen Rechtschreibung die richtigen Schreibweisen beizubringen, ist meist unglaublich schwer. Hirnforscher wissen: Richtig Schreiben lernen wir ähnlich wie Geigespielen oder Hochsprung. Man weiß: Wenn sich dabei gewisse falsche Routinen einmal entwickelt haben, sind sie kaum wieder abzutrainieren.
SPIEGEL: Kernstück aller der von Reichen inspirierten Verfahren ist die sogenannte Anlauttabelle. Darin ist jedem Buchstaben ein Tier oder Gegenstand zugeordnet, der mit diesem Buchstaben beginnt. Mit Hilfe dieser Bildchen sollen sich die Kinder die Buchstaben für die Wörter, die sie schreiben wollen, selbst zusammensuchen. Wenn sie zum Beispiel "Mama" schreiben wollen, finden sie das "M" neben der Maus, das "A" neben dem Affen. Geht das?
Jansen: Die Arbeit mit der Anlauttabelle kann nicht funktionieren. Im Deutschen soll es etwa 4000 unterschiedliche Laute geben, die alle mit den Buchstaben des Alphabets in Schrift umgesetzt werden müssen. Das sollte man selber einmal versuchen. Schon bei "Tomate" hört es auf! Das "e" am Ende, der sogenannte Schwa-Laut - übrigens einer der häufigsten Laute der deutschen Sprache - kommt zum Beispiel in Reichens Anlauttabelle gar nicht vor. Mit der Anlauttabelle kann nur der effektiv arbeiten, der bereits richtig schreiben kann.
SPIEGEL: Ein weiteres gemeinsames Merkmal vieler der von Jürgen Reichen inspirierten Verfahren ist, dass sich jedes Kind aussuchen darf, in welcher Reihenfolge es die Buchstaben lernen will.
Jansen: Das ist völliger Unsinn. Es gibt doch strategisch wichtige und weniger wichtige Buchstaben. Allen diesen Methoden gemeinsam ist die maßlose Überschätzung der Kinder! Gerade in den ersten Schuljahren sind Kinder noch auf ein hohes Maß an Unterrichtsführung durch den Lehrer angewiesen.
SPIEGEL: Waren denn die Leistungen der Schüler damals in den achtziger und neunziger Jahren, als diese Verfahren eingeführt wurden, so schlecht, dass man dringend etwas ändern musste?
Jansen: Überhaupt nicht. In der Regel wurde bis in die neunziger Jahre hinein weitestgehend nach der sogenannten analytisch-synthetischen Methode unterrichtet. Dabei lernten die Kinder zwar auch schon, Wörter aus einzelnen Buchstaben zusammenzusetzen, aber zugleich wurden sie auch von Anfang an mit fertigen, richtig geschriebenen Wörtern bekannt gemacht. Das klappte ganz gut.
SPIEGEL: Und warum konnten sich die von Reichen inspirierten Methoden dann über Deutschland verbreiten?
Jansen: Sie passten einfach perfekt in das reformpädagogische Klima der Zeit. Das sogenannte Freie Schreiben, bei dem die Kinder ohne Beachtung der Rechtschreibung ganz kreativ ihre Gedanken zu Papier bringen sollten, gab es ja schon in der Reformpädagogik der zwanziger Jahre. Allerdings hat man damals sehr bald gemerkt: So geht es nicht. Zum Ende der sechziger und Anfang der siebziger Jahre trugen dann aber Lehramtsanwärter den Slogan "Rechtschreibwissen ist Herrschaftswissen" in die Schulen: Rechtschreibwissen werde schon immer als Herrschaftsinstrument der herrschenden Klasse missbraucht. Später wurden dann Schlüsselstellen in Verbänden, Gremien und Politik mit Reformpädagogen oder deren Sympathisanten besetzt. So konnten sich die Methoden in den Grundschulen immer weiter ausbreiten.
SPIEGEL: Warum ist es überhaupt wichtig, richtig zu schreiben?
Jansen: Rechtschreibung ist nicht ein Wert an sich. Sie hat kommunikative Bedeutung. Der Adressat muss meine Texte lesen können, und damit er sie schnell und mühelos lesen kann, muss er einen möglichst fehlerfreien Text vor sich liegen haben, den er nicht erst entziffern muss. Wenn wir fehlerfrei schreiben, tun wir das also für den Leser. Früher wurde auch viel Wert auf die Form gelegt: "Wenn der Text voller Fehler ist und deswegen unlesbar wird oder wenn sogar schlimm geschludert wurde, dann bekommt der Empfänger einen schlechten Eindruck", hieß es. Für den Lehrer war es eine Selbstverständlichkeit, auf gute Rechtschreibung großen Wert zu legen. Richtige Rechtschreibung ist - auch heute noch - die Basis für schulischen und beruflichen Erfolg.
SPIEGEL: Passen nicht unterschiedliche Methoden zu unterschiedlichen Kindern?
Jansen: Unter "Lesen durch Schreiben" leiden besonders diejenigen, die ohnehin benachteiligt sind. Unterschichtskinder, die in einer spracharmen Umgebung aufwachsen, Migrantenkinder, die von Anfang an nur schlecht Deutsch sprechen, und Mädchen und Jungen, die eine genetische Belastung zur Ausbildung einer Legasthenie aufweisen. Legastheniker werden in der allgemeinen Schreibanarchie einer Klasse zudem oft viel zu spät erkannt. Selbst viele Kinder, die am Ende einigermaßen Schreiben lernen, bleiben wahrscheinlich ein Leben lang schwächer, was nicht hätte sein müssen.
SPIEGEL: Was können Eltern tun, die sich Sorgen um die Rechtschreibung ihrer Kinder machen?
Jansen: Sie sollten sich einen erfahrenen Lehrer suchen, der noch effektiv zu unterrichten versteht. Ganz oft sind es teure Nachhilfeinstitute oder auch die Eltern oder Großeltern, die - meist entgegen dem ausdrücklichen Rat des Lehrers - mit den Kindern üben und für deren Erfolg verantwortlich sind. Hinterher schreiben es sich aber oft die Lehrer selbst auf die Fahnen, so entsteht der falsche Eindruck, dass es der Lehrer war, der die Kinder mit 'seiner Methode' zum Erfolg geführt hat.
Das Interview führte Veronika Hackenbroch