Streit um Turbo-Abi Hamburger CDU-Fraktion drängt Elternsprecher Scheuerl raus

Zoff ums G8 in Hamburg: Der Elternsprecher Walter Scheuerl hat die CDU-Fraktion in der Bürgerschaft verlassen. Er hatte sich gegen die Pläne der Partei gestellt, wie mit einer Initiative gegen das Turbo-Abi umzugehen sei.
Walter Scheuerl: Umstrittener Gymnasiumsverfechter in Hamburg

Walter Scheuerl: Umstrittener Gymnasiumsverfechter in Hamburg

Foto: Marcus Brandt/ picture alliance / dpa

Es geht um "Exzellenz", "Leistung" und den "Erhalt des Bildungsbürgertums" in Hamburg. Das Thema: Soll das Gymnasium acht oder neun Jahre dauern - und wer hat das zu entscheiden? Im Zentrum, mal wieder: Walter Scheuerl, lautstarker Sprecher des Elternnetzwerks "Wir wollen lernen!" und vehementer Verfechter der gymnasialen Schulform.

"Die bildungspolitische Ausrichtung der CDU hat sich dadurch von den Werten des Bildungsbürgertums und von einem an Exzellenz und Leistung ausgerichteten Schulsystem immer weiter entfernt", ließ Scheuerl wissen  - und erklärte damit seinen Austritt aus der CDU-Bürgerschaftsfraktion, den er an diesem Montag einreichte. Wohlgemerkt, erst nachdem die Führungsriege der Fraktion ihm am Samstag den Austritt mehr als nahegelegt hatte.

Dass schulpolitische Kämpfe in Hamburg mit aller Härte gefochten werden, ist bekannt. Dass nun die Diskussion um G8/G9 zu Zoff, Fraktionsaustritt und öffentlichem Nachtreten führt, ist deshalb nicht verwunderlich - allerdings in dem Stadium, in dem sich die Debatte in der Hansestadt befindet, zumindest befremdlich.

Seitdem im Jahr 2002 die damalige CDU/FDP/Schill-Koalition unter Bürgermeister Ole von Beust (CDU) an Hamburger Gymnasien das Abitur nach zwölf Jahren eingeführt hat, wollen viele Eltern, Lehrer und Schüler die aus ihrer Sicht vermurkste Reform wieder zurückdrehen. Eltern starteten die Volksinitiative "G9-Jetzt-HH ", die fordert, dass alle Gymnasien die Wahlfreiheit zwischen G8 und G9 anbieten. Die Hamburger Bürgerschaft macht sich darüber wahrscheinlich zu Recht Sorgen, war es doch das Elternbündnis "Wir wollen lernen!", das eine andere Schulreform verhinderte: die Einführung der sechsjährigen Primarschule. Anführer schon damals: Walter Scheuerl.

"Wir wollen den Schulfrieden retten"

Nun also G8. Die regierende SPD suchte bereits das Gespräch mit den G9-Jetzt-HH-Eltern. Denn im kommenden Jahr sind Wahlen in Hamburg, und es droht ein Volksentscheid. Beides war nun offenbar auch für die oppositionelle CDU, die bislang an G8 festgehalten hatte, Grund genug, auf die Initiative zuzugehen. "Wir wollen den Schulfrieden in Hamburg retten", sagte Fraktionschef Dietrich Wersich. Deshalb habe seine Fraktion ein Zehn-Punkte-Papier für mögliche Verhandlungen entwickelt. Danach kann sich die CDU vorstellen, dass die 60 allgemeinbildenden Gymnasien der Stadt bis Ende Oktober selbst entscheiden, ob sie vom Schuljahr 2015/16 an weiter das "Turbo-Abi" anbieten oder zu G9 zurückkehren wollen. Sehr große Gymnasien sollen auch beide Wege anbieten können.

Die G-9-Initiative verlangt dagegen, dass ausnahmslos alle Gymnasien beide Wege zum Abitur anbieten sollen. Und die Scheuerl-Truppe "Wir wollen lernen!" fordert ein Wahlrecht der Eltern - nicht der Schulen - und generell, dass das Gymnasium "in seinem Bildungs- und Leistungsanspruch bewahrt werden" muss. Egal wie.

Scheuerl, bislang parteiloses Mitglied der CDU-Fraktion in der Hamburgischen Bürgerschaft, ging die Kehrtwende der CDU nun offenbar nicht weit genug. Seine Initiative "Wir wollen lernen!" (WWL) übte öffentlich Kritik an den CDU-Vorschlägen. Doch: "Mit dieser und anderen sachlichen Stellungnahmen zu bildungspolitischen Fragen mag die gegenwärtige Parteiführung der Hamburger CDU nicht umgehen, wenn diese von einem Mitglied ihrer Fraktion in der Hamburgischen Bürgerschaft geäußert werden", teilte Scheuerl mit. Dietrich Wersich, Vorsitzender der CDU-Fraktion, habe ihm den Austritt aus der Fraktion nahe gelegt.

Er habe nicht gegen die Fraktionssatzung verstoßen, teilt Scheuerl mit, ein Rausschmiss sei daher gar nicht möglich gewesen. Er ging aber trotzdem - ohne, wie er sagt, Gram oder Enttäuschung. Die Entscheidung von Wersich war aus seiner Sicht eine strategische - vor der Wahl habe die CDU keine Kritik aus den eigenen Fraktionsreihen riskieren wollen.

Sein Bürgerschaftsmandat wird Scheuerl, so teilt er mit, "selbstverständlich weiterhin im Sinne der bildungspolitischen Ziele von WWL aktiv ausüben". Der Schulstreit in Hamburg geht weiter.


KOMMENTAR ZUM TURBOABITUR: IMMER DIESE G-8-ELTERN!

Foto: Frank Rumpenhorst/ picture alliance / dpa

Überhastet wurde die Gymnasialzeit auf acht Jahre verkürzt - doch eine Rücknahme des Turbo-Abiturs wie jetzt in Niedersachsen macht alles nur noch schlimmer. Die Landkarte der Bildung in Deutschland wird mehr denn je zum Flickenteppich. mehr...

lgr/dpa
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