Hamburger Elternaufstand Sieg der Schul-Separatisten

Big Ben und der Big Bang: Schulreform krepiert, Schwarz-Grün implodiert
Foto: Jochen LeffersUnser Sohn Ben, so viel ist mal klar, geht jeden Tag gern zur Schule. Sicher sein können sich Eltern vor Schulbeginn nie, bei aller Gelassenheit und allem Vertrauen in einen Sechsjährigen. Für Ben war es ein sanfter Start - an einer guten Ganztagsschule in einem bunten Viertel, mit den richtigen Mitschülern und mit Lehrern, die ihren Beruf mögen.
Seine Schule wird Ben nach vier Jahren verlassen. Sechs Jahre sollten es werden für den ersten Erstklässler-Jahrgang der . Die ist gescheitert, wie die erste schwarz-grüne Landesregierung: nur noch Fußnoten in der Geschichte der Bundesrepublik.
Was in Hamburg geschah, sah zunächst aus wie ein Triumph bildungspolitischer Vernunft über bildungsbürgerlichen Dünkel. Just die CDU, Trutzburg der Freunde des Heiligen Deutschen Gymnasiums, ließ sich von den Grünen zur Runderneuerung aller Schulen überreden: längeres gemeinsames Lernen plus kleinere Klassen plus nur noch eine Schulform neben den Gymnasien. Es begann als beispielloser Kraftakt. Und endete in einem Desaster ohnegleichen.
Kaum ein Thema hat die Stadt je so polarisiert - die Initiative "Wir wollen lernen" um den Anwalt Walter Scheuerl setzte alles daran, die Schulreform zu kippen. Manche Eltern sahen schlicht nicht, was ihre eigenen Kinder von einer verlängerten Grundschule haben. Andere fürchteten jede Veränderung oder missverstanden die Reform als Generalangriff aufs Gymnasium. Und nicht wenige wollten schlicht unter sich bleiben, so wie sie sich auch in den vornehmeren Stadtteilen jeden Tag abschotten.
CDU schenkt dem Einpeitscher, der bei Schwarz-Grün rot sah, ein Freilos
Druckbetankt wurde die Initiative von Rechtsanwälten, Chefärzten, Unternehmern aus der heilen Welt der Elbvororte und Villenviertel. Sie schicken ihre Kinder gern auf humanistische Gymnasien, die auf -eum enden, und kennen kaum eine brennendere Sorge als die ums Latein-Vokabular des eigenen Nachwuchses. Dass andere Schüler im höchst selektiven deutschen Schulsystem früh abgehängt werden; dass sie Sprachdefizite kaum aufholen können, bis die große Lebenschancenzuteilungsmaschinerie alle Zehnjährigen einsaugt; dass die Entkoppelung von Herkunft und Bildungserfolg stärker wiegen könnte als der persönliche Wunsch nach Distinktion - für solche Eltern ohne Belang.
Per Volksentscheid hat die Gucci-Apo entschieden. Eine Hysteriewelle mit sarrazynischen Unterströmungen riss die Reform fort und unterspült auf viele Jahre auch jede Ambition anderer Bundesländer, ihre Schulen neu zu justieren. Ole von Beust ist nun im Sylt-Asyl, Schwarz-Grün spektakulär implodiert, die CDU nach rechts gerückt. Sie lässt Chef-Spalter Scheuerl auf ihrem Ticket ins Stadtparlament reisen, übelstenfalls direkt ins Amt des Schulsenators: Bock --> Gärtner.
Nach einem Vierteljahrhundert Bildungsjournalismus habe ich das Fiasko mit berufstypischer Distanz verfolgt, déformation professionnelle. Bens Mutter dagegen packte zornige Abscheu vor dem neuen Hamburger Separatismus. Ihre Geburtsurkunde ist nicht von einer deutschen Behörde, das macht Ben zu einem Kind mit amtlichem "Migrationshintergrund" (wie fast die Hälfte aller Hamburger Schüler). Und für manche Eltern wohl zu einer Bedrohung ihres Othmarscher oder Pöseldorfer Bürgeridylls.
Dass Bens Klasse in vier Jahren schon zerfällt, wird er verkraften. Und später, als Big Ben, ein Gymnasium oder eine Stadtteilschule besuchen, das Abitur oder einen anderen Abschluss machen. Richtig wichtig ist das nicht. Denn gute Jungs kommen überall hin.