

Der Versandhaus-Erbe Michael Otto soll im Streit um die Hamburger Schulreform zwischen Landesregierung und protestierenden Eltern vermitteln. "Ich freue mich sehr, dass Michael Otto bereit ist, den Moderationsprozess zu übernehmen", sagte Bildungssenatorin Christa Goetsch von den Grünen. Damit reagierte sie auf die Übergabe von 184.000 Unterschriften gegen ihre Schulreformpläne - ein schwerer Schlag für die schwarz-grüne Koalition, vor allem für die Grünen, die in der Regierung bislang wenig von ihren Zielen durchsetzen konnten und nun eines ihrer wichtigsten Projekte wanken sehen.
Michael Otto leitete als Erbe des Firmengründers jahrelang als Vorstandschef den Versandhaus-Konzern Otto und ist seit seiner Pensionierung Aufsichtsratsvorsitzender. Er ist als Mäzen sehr aktiv in der Hansestadt. Als Vermittler kommt er jetzt zum Einsatz, weil Hamburg nach dem Erfolg der Reformgegner ein komplettes Schulchaos in einer ohnehin aufgeheizten Stimmung droht.
Dass die Zahl der Unterschriften für einen Volksentscheid reicht, kam nicht überraschend. Knapp 62.000 hätten es sein müssen. Dass aber fast dreimal so viele Hamburger unterschrieben, erschüttert die schwarz-grüne Koalition - zumal 249.000 Reformgegner beim Volksentscheid im nächsten Sommer schon reichen würden, um die Schulreform zu kippen, und das wenige Wochen vor Schuljahresbeginn.
Reformgegner wollen nicht wackeln
Bürgermeister Ole von Beust und Schulsenatorin Goetsch gaben sich zuletzt zuversichtlich, eine Mehrheit pro Schulreform erreichen zu können. Zugleich aber müssen sie nach Wegen suchen, um ihr Werk zu retten und die Gegner zu besänftigen. Goetsch sagte jetzt über die Berufung Ottos: "Ich bin überzeugt, dass er mit allen Beteiligten besonnen und vertrauensvoll zu konstruktiven Ergebnissen kommen wird."
Doch die Reformgegner der Initiative "Wir wollen lernen" zeigen sich bisher unnachgiebig. Sie lehnten Kompromissangebote der schwarz-grünen Regierung weitgehend ab. "Eine unserer zentralen Forderungen ist, dass die Kinder aller Hamburger die Möglichkeit erhalten, nach vier Jahren auf eine weiterführende Schule zu wechseln. Dabei bleibt es", sagte Walter Scheuerl, Sprecher der Elterninitiative, der "Bild"-Zeitung. Auch eine Verlängerung auf fünf statt sechs Jahre würde Scheuerl nicht annehmen.
Bürgermeister Beust hat der Initiative ein Verhandlungsangebot gemacht, etwa eine Abkehr davon, dass künftig die Lehrer allein entscheiden, auf welche weiterführende Schule Schüler künftig gehen. Die Schulreform sieht vor, dass Schüler sechs statt bisher vier Jahre zusammen in der Grundschule bleiben, die künftig "Primarschule" heißt. Die Idee dahinter: Kinder sollen länger gemeinsam lernen und nicht so früh auf verschiedene Schultypen sortiert werden.
Die freie Wahl der weiterführenden Schule wird den Reformplänen zufolge abgeschafft, darüber dürfen die Eltern künftig nur noch mitreden, haben aber keine Entscheidungsbefugnis. Nach der Primarschule gibt es nur noch zwei Schultypen: das Gymnasium bleibt, Haupt- und Realschulen gehen in neuen "Stadtteilschulen" auf. Das Sitzenbleiben soll es nicht mehr geben.
SPD diente sich auch als Vermittler an
Die Gegner stören sich vor allem daran, dass von den Gymnasien die fünfte und sechste Klasse abgezwackt wird und dass das Elternwahlrecht für die weiterführenden Schule ihrer Kinder entfällt. Zuletzt gipfelte der Streit in einen regelrechten Kulturkampf, den vor allem die Gegner der Schulreform mit außerordentlich harten Bandagen führten - was die Gesprächsbereitschaft der Regierung erheblich dämpfte, zumal bei Schulsenatorin Christa Goetsch, die mit Überzeugung und Energie die Reform verficht.
Als Vermittler hatte sich auch Olaf Scholz, ehemaliger Hamburger Innensenator und jetzt stellvertretender SPD-Bundesvorsitzender, selbst ins Gespräch gebracht, wie auch andere Sozialdemokraten - allerdings ohne große Aussicht auf Erfolg. Das Problem: Die SPD hat nach früheren starken Jahren in Hamburg nur noch geringe Bedeutung, ist eine Oppositionspartei mit unerfülltem Geltungsdrang. Daran, dass sie an prominenter Stelle mitmischt und den Schulstreit-Vermittler gibt, hat die schwarz-grüne Koalition naturgemäß kein Interesse. Zudem hat die SPD ein deutlich erkennbares inhaltliches Problem: Die Grundzüge der Hamburger Schulreform decken sich voll mit sozialdemokratischen Vorstellungen - aber weil Schwarz-Grün es gemacht hat, kann eine Oppositionspartei das nicht unterstützen.
Gibt es in den kommenden Monaten keine Einigung im Schulstreit, kommt es im Sommer 2010 zu einem Volksentscheid. Das Ergebnis wäre für den Senat bindend. Als Termine sind der 17. Juli oder ein Sonntag Mitte August im Gespräch. Für einen erfolgreichen Volksentscheid ist ein Fünftel der Wählerstimmen erforderlich, was rund 249.000 Stimmen entspricht - und natürlich eine Stimmenmehrheit unter allen Teilnehmern. Sofern die Schulreform sehr kurz vor dem geplanten Start gekippt wird, könnte Hamburg in ein gigantisches Bildungschaos stürzen.
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Die Initiative "Wir wollen lernen" sammelte drei Wochen lang Unterschriften gegen die Hamburger Schulreform - mit Erfolg: Nach eigenen Angaben unterzeichneten rund 180.000 Menschen, dreimal mehr als nötig waren. mehr...
Der Sprecher der Initiative, Walter Scheuerl (M.), mit dem Landeswahlleiter Willi Beiß (r.). Sollte die schwarz-grüne Regierung auch in den kommenden vier Monaten an ihrer Reform festhalten, findet im Sommer 2010 ein Volksentscheid statt.
Es wäre der Showdown in einem Schulkampf, der die Hansestadt längst polarisiert. Im September machte die Initiative "Wir wollen lernen" auf einer Großdemonstration Stimmung gegen die Hamburger Schulreform.
Die Fraktionen von Oberbürgermeister Ole von Beust (CDU) und Bildungssenatorin Christa Goetsch (GAL) schusterten eine Schulreform zusammen, die ein schwarz-grüner Kompromiss aus dem Erhalt des Gymnasiums und längerem gemeinsamen Lernen ist. Trotz des deutlichen Erfolgs von "Wir wollen lernen" halten sie an den Kernpunkten ihrer Reform fest.
Zwischen den Reformgegnern und der schwarz-grünen Koalition soll jetzt Versandhauskönig Michael Otto vermitteln. mehr...
Anfang Oktober beschloss der Hamburger Senat die Reform, nach der ab dem Schuljahr 2010/2011 Schüler bis zur sechsten Klasse gemeinsam lernen und danach entweder auf das Gymnasium oder die Stadtteilschule wechseln.
Bei der Großdemo von "Wir wollen lernen" liefen verkleidete Kinder herum - Botschaft: "Wir sind keine Versuchskaninchen."
Die Reformgegner stört, dass den Gymnasien mit der Primarschule die fünfte und sechste Klasse genommen wird und dass künftig die Lehrer entscheiden sollen, auf welche weiterführende Schule die Kinder wechseln sollen.
Sky du Mont ist ein eifriger Unterstützer von "Wir wollen lernen". Die Gegner der Initiative wollten auf einer Demonstration Masken mit seinem Konterfei tragen - unterschrieben dann aber eine Unterlassungserklärung, die von der Kanzlei des Initiativensprechers Walter Scheuerl verschickt wurde.
Und so kam es, dass die Demonstranten mit den weiß überpinselten Masken demonstrierten - und kaum jemand mehr verstand, was das denn nun bedeuten soll.
Mit einem Schulranzen mit Miesepeter-Gesicht machte "Wir wollen lernen" Stimmung gegen die Reform.
Was der miesgelaunte Schulranzen den Reformgegner, ist die Eule den Reformfans. Sie wurde schon Teil der bizarren Schulschlacht, als...
..."Wir wollen lernen"-Sprecher Walter Scheuerl eine Reformbefürworterin mit der "fetten Eule" verglich. Der umtriebige Aktionist kam zur Räson und bat später um Entschuldigung.
"Pro Schulreform" hielt Anfang November einen Schauunterricht in Hamburgs Fußgängerzone, der zeigen sollte, dass Lernen in heterogenen Gruppen funktionieren kann. Die Reformfans wollen dabei einen Spion der Gegner ausgemacht haben, der geflüchtet sei, als er erkannt wurde.
Im Oktober versammelten sich Mitglieder der "Jungen GEW" vor der Zentrale von "Wir wollen lernen". Mit Zigarren, Golfschlägern, Gucci-Brillen und in Anzug und Krawatte meinten sie, ihren Gegnern den Spiegel vorzuhalten.