Homo-Hass in der Schule "Alles total verweichlichte Tunten hier"

Fast nirgendwo wird so offen gegen Schwule und Lesben gehetzt wie an Schulen. Jeder zweite Schüler findet es eklig, wenn Männer sich küssen. Beate und Magnus, beide 18, wurden geoutet - sie haben erlebt, wie Mitschüler lospöbeln und Lehrer wegschauen.
Von Dorothée Quarz

Knutschen auf dem Pausenhof, Händchenhalten in der Schlange am Schulkiosk oder eine lange Umarmung vor dem Klassenzimmer - für viele Schüler ist das ganz normal. Für Beate, 18, nicht.

Schwules Paar (in Las Vegas): In der Popkultur angekommen, auf dem Schulhof angefeindet

Schwules Paar (in Las Vegas): In der Popkultur angekommen, auf dem Schulhof angefeindet

Foto: Getty Images

Sie ist lesbisch. Und wenn ihre Freundin dieselbe Schule besuchte wie sie, würden sie höchstens mal Händchen halten. "Das machen Mädchen ja auch so, wenn sie nur miteinander befreundet sind", sagt die Kölner Gymnasiastin. Sie möchte nicht, dass alle an der Schule wissen, dass sie auf Frauen steht, auch deshalb will sie ihren Nachnamen nicht nennen.

Denn sonst, fürchtet sie, geht es ihr, wie an ihrer alten Schule. Dort war sie geoutet - und hat vor allem schlechte Erfahrungen gemacht: "Mitschüler haben mich 'krankes Lesbenweib' genannt." Als sie sich einmal neben ein anderes Mädchen setze, rutschte die mit ihrem Stuhl von ihr weg und sagte: "Ich sitze nicht neben einer Scheiß-Lesbe."

Die Angst vor dem Coming-Out

Beate fühlte sich ausgestoßen, versuchte, den anderen aus dem Weg zu gehen. Oft hatte sie Kopfschmerzen in dieser Zeit. "Viele dachten auch, ich wäre an allen Mädchen aus der Klasse sexuell interessiert", sagt die zierliche Schülerin.

Dass sie lesbisch ist, hat Beate während der Pubertät gemerkt, jener Zeit, in der Jugendliche ihre sexuelle Identität entwickeln, Hormonchaos und große Gefühle inklusive. Homosexuelle Teenager fragen sich dann verunsichert, was mit ihnen los ist: Bin ich wirklich schwul? Bilde ich mir das nur ein? Warum bin ich anders als die anderen?

Schon sich selbst einzugestehen, dass sie das gleiche Geschlecht anziehender finden als das andere, fällt den meisten schwer. Und mit Freunden oder Eltern reden, das trauen sich viele erst recht nicht. Zu groß ist die Angst vor Zurückweisung, eine Angst, die auch Beate kennt.

Sie überwand sich dennoch und weihte enge Freunde und ihre Eltern ein - und hatte Glück. Wenigstens zu Hause bekam sie Verständnis und Unterstützung. Doch im Klassenzimmer und auf dem Pausenhof wurde sie weiter beleidigt, jeden Tag aufs Neue.

Es gibt kaum einen Ort, an dem Schwulen- und Lesbenfeindlichkeit so offen ausgelebt wird, wie die Schule; vom Fußball-Stadion vielleicht einmal abgesehen. "Schwuchtel" und "schwul" gehören zu den gängigsten Schimpfwörtern auf den Pausenhöfen.

Zahlreiche Studien belegen, wie verbreitet Homophobie und Hetze unter Jugendlichen sind - und dass beides in den vergangenen Jahren eher noch zugenommen hat. Zwar gehört Homosexualität längst zur Pop- und Jugendkultur, was in zahlreichen Soaps und Serien wie "The L-Word" zu besichtigen ist, doch die Akzeptanz auf dem Schulhof scheint das nicht erhöht zu haben.

"Homosexualität ist immer noch mit dem gleichen Ausmaß an negativen Gefühlen verbunden wie vor 30 Jahren", heißt es in einer Studie des niedersächsischen Sozialministeriums. Die Meinungsforscher der Firma "Iconkids & Youth" ermittelten gar eine dramatische Zunahme der Ablehnung von Homosexuellen: von 34 Prozent im Jahr 1998 auf 61 Prozent im Jahr 2002.

Zu ähnlichen Ergebnissen kommt auch der Kieler Sozialpsychologe Bernd Simon. Er hat rund 900 Gymnasiasten und Gesamtschüler befragt, 14 bis 20 Jahre alt. Fast die Hälfte empfindet es als abstoßend, wenn sich Männer in der Öffentlichkeit küssen. Besonders hoch ist die Ablehnung der Studie zufolge unter Einwanderer-Kindern: Vier von fünf türkischstämmigen Jugendlichen finden den Kuss unter Männern eklig.

"Schwul" und "Schwuchtel", die Worte hört auch Magnus, 18, auf dem Schulhof seines Kölner Gymnasiums, oft sogar. Wenn der schwule Abiturient daneben steht, fällt manchen auf, was sie gerade gesagt haben. Dann entschuldigen sie sich zerknirscht.

"Alles total verweichlichte Tunten" - wer sich outet, muss meist allein klarkommen

Magnus nimmt das gelassen: "Ich weiß ja, dass das ein Fehlgebrauch des Wortes ist. Manchmal sage ich es sogar selbst." Groß und schlank ist er, interessiert sich für Politik und Actionfilme. An ihm fällt auf, wie überlegt er spricht, wie sorgsam er seine Worte wählt. Doch in der Schule muss er sich ganz andere Dinge anhören. "Alles total verweichlichte Tunten hier, rufen vor allem die kleinen und unreifen Jungs auf dem Schulflur", erzählt Magnus. "Dann kriegen die aber einen scharfen Kommentar von mir zurück."

Magnus ist nicht ganz freiwillig an seiner Schule geoutet, er hatte sich nur einer Freundin anvertraut. Aber die konnte ihren Mund nicht halten. "Wir waren für eine Woche auf Kursfahrt in London. Und als wir zurückkamen, wusste es das ganze Gymnasium, das Kollegium und die Real- und Hauptschule nebenan."

Als Magnus merkte, dass er auf Jungs steht, hat er sich gewünscht, dass es an seiner Schule offen homosexuelle Lehrer gibt. "Dann hätte ich das Bild gehabt, dass es homosexuelle Menschen gibt, die ganz normal im Leben stehen. Und vielleicht wären dann auch das Kollegium und die Schüler aufgeschlossener. Wenigstens würde man dann überhaupt mal drüber reden", sagt er.

Lehrer dürfen nicht wegschauen

Stattdessen hat Magnus den Eindruck, dass das Thema Homosexualität im Unterricht gemieden wird. Beate empfindet das genauso: "In der Schule wird man über alles aufgeklärt, zum Beispiel über Aids und Suchtprobleme. Aber nie über schwule oder lesbische Menschen." Dabei sind nach Schätzungen fünf bis zehn Prozent der Bevölkerung homosexuell. In einer Klasse mit 30 Schülern sind das immerhin zwei bis drei Schüler.

Verschiedene Schwulen- und Lesbengruppen, Netzwerke und Initiativen arbeiten daran, die Homophobie zu bekämpfen, vor allem in den Großstädten. Im Westen Deutschlands haben sich mehrere Vereine unter dem Titel "Schlau NRW" zusammengetan - die Abkürzung steht für "Schwul Lesbische Aufklärung in Nordrhein-Westfalen". Junge Erwachsene, die selbst homosexuell sind, treffen sich mit Schulklassen.

"Viele Schüler fragen die Lesben aus dem Team vor allem, was sie im Bett machen", berichtet die Projektmitarbeiterin Anna Rühmann, 25. "Und über Schwule denken einige, dass sie verweichlicht sind und dass man sie auf der Straße an Röhrenjeans und Lederklamotten erkennen kann."

Auf die Vorurteile der Schüler gehen die Aktivisten ein. So stellt zum Beispiel jeder aus dem Team drei Behauptungen über sich selbst auf, typische Klischeevorstellungen über Lesben und Schwule - bei den Jungs etwa "Ich bin Frisör", bei den Mädchen "Ich fahre Motorrad". Die Schüler müssen raten, welche Behauptung stimmt. "So merken sie, dass auch Schwule und Lesben unterschiedliche Menschen mit unterschiedlichen Hobbys sind", sagt Anna Rühmann.

"Den meisten Lehrern sind Beleidigungen völlig egal"

Doch es reiche nicht, nur bei den Schülern anzusetzen, sagt Detlef Mücke, selbst Lehrer und Vorsitzender der AG Schwule und Lesben in der Bildungsgewerkschaft GEW. Wichtig sei es, dass Lehrer einschreiten, wenn Schüler angefeindet werden. Außerdem gehöre das Thema nicht nur in die Bio-Stunde, es müsse auch im Politik- und Geschichtsunterricht angesprochen werden.

Als Beate in ihrer früheren Schule beleidigt wurde, hat keiner ihrer Lehrer reagiert, erzählt sie. Viele Jugendliche, die sich geoutet haben, beklagen das, fühlen sich im Stich gelassen. Beate hat nichts anderes erwartet: "Es gehört in der Schule dazu, dass man beleidigt wird. Und den meisten Lehrern ist das auch völlig egal."

Beates Schulwechsel hat nichts damit zu tun, dass sie früher "Lesbenweib" genannt wurde, sagt sie. Aber heute, an ihrer neuen Schule, fühlt sie sich deutlich wohler. Hier wissen nur die engsten Freunde, dass sie auf Mädchen steht. Knutschen auf dem Pausenhof wird sie wohl nie.

Die Wiedergabe wurde unterbrochen.
Merkliste
Speichern Sie Ihre Lieblingsartikel in der persönlichen Merkliste, um sie später zu lesen und einfach wiederzufinden.
Jetzt anmelden
Sie haben noch kein SPIEGEL-Konto? Jetzt registrieren
Mehrfachnutzung erkannt
Bitte beachten Sie: Die zeitgleiche Nutzung von SPIEGEL+-Inhalten ist auf ein Gerät beschränkt. Wir behalten uns vor, die Mehrfachnutzung zukünftig technisch zu unterbinden.
Sie möchten SPIEGEL+ auf mehreren Geräten zeitgleich nutzen? Zu unseren Angeboten