
Homo-Hass: "Ich war total fix und fertig"
Homo-Hass unter Jugendlichen Zum Schweigen verdammt
"Die Leute haben mich angeguckt wie ein Stück Dreck - und so bin ich mir auch vorgekommen." Madeleine, 23, steht in der leeren Aula ihrer früheren Schule. Klein, zierlich, mit blonden Locken. Sie streicht mit der Hand über eine der Säulen. "Eines Morgens bin ich in die Schule gekommen, und überall hingen schon die Zettel. Das war ein ganz, ganz schreckliches Gefühl, weil ich sofort wusste, was los war."
Auf den Zetteln stand Madeleines Outing. Sie hatte einer Freundin in einem Brief geschrieben, dass sie nicht weiterwisse. Immer verliebe sie sich nur in Mädchen. Eigentlich suchte sie jemanden zum Reden. Aber die Freundin kopierte den Brief und hängte ihn aus - in der ganzen Schule.
Damals war Madeleine gerade mal zwölf Jahre alt. Was folgte, war eine Zeit des Mobbings und der Ausgrenzung: "Ich hatte Bauchschmerzen, hab vor der Schule schon geweint, war total fix und fertig mit den Nerven."
Fast die Hälfte aller homosexuellen Schüler erlebt wie Madeleine ein sogenanntes Zwangsouting, sagt Almut Dietrich. Für die Koordinatorin des Projektes "Schule ohne Homophobie" ist das nichts anderes als Gewalt. "Schüler verletzen die Intimsphäre des Betroffenen. Er oder sie kann dann nicht mehr frei entscheiden, wem er wann davon erzählt."
Langes Versteckspiel: Bloß nicht auffallen
Die Alternative heißt: Versteckspiel. So wie bei Kevin, 22. Er lebt in Köln, kommt aber aus dem Sauerland. In Winterberg war er engagiert im Schützenverein und wurde sogar Jungschützenkönig. Er war Messdiener und sogar im Pfarrgemeinderat - mittendrin statt nur dabei in der Dorfgemeinschaft. "Aber als das Gerücht aufkam, ich könne schwul sein, kam jemand aus dem Dorf auf mich zu und fragte: 'Kevin, ich hab da was gehört, bist du schwul?' Ich war total schockiert und habe erstmal alles abgestritten. Er sagte: 'Gott sei Dank, sonst hätte ich auch nie wieder ein Wort mit dir geredet.'"
Freitagmittag, kurz vor Schulschluss. Kevin steht vor seiner alten Schule und erzählt: Bloß nicht auffallen war seine Devise, auch was Klamotten anging. Heute sind seine Haare rötlich gefärbt und hochgegelt, er trägt modische Jeans. Auf dem Weg zu seinem alten Klassenzimmer wird Kevin ruhiger, setzt sich schließlich auf einen der leeren Stühle: "Ich sehe noch meine Mitschüler hier sitzen, wie damals." Es sei "ein Wahnsinnsgefühl", jetzt als geoutet hier zu sein. "Die ganze Last ist weg, ich habe endlich zu mir gestanden. Damals hatte ich oft Angstzustände."
Sein neues Selbstbewusstsein will Kevin nun nutzen, um mit denen zu reden, die ihm damals das Leben so schwergemacht haben. Sein ehemaliger Direktor Bernd Loffing empfängt Kevin zum Gespräch. Erst jetzt erfährt er, dass sein früherer Schüler schwul ist. "Ich hätte nicht in deiner Haut stecken wollen, Kevin", sagt Loffing sofort und meint, dass ein Outing wohl sehr schwer gewesen wäre. "Ich hätte aber auch nicht mit diesem Druck leben wollen, der sich innerlich aufbaut. Vielleicht hättest du dich ja zumindest uns Kollegen gegenüber outen können?"
"Schüler nutzen jede vermeintliche Schwäche"
Als Kevin wissen will, ob Lehrer auf solche Situationen vorbereitet seien, zögert der Direktor nur kurz. Im Kollegium wäre das vermutlich kein Problem gewesen, schätzt er: "Schwieriger wäre es sicherlich bei den Schülern. Jugendliche sind heutzutage brutal. Sie nutzen jede vermeintliche Schwäche, das hättest du vermutlich zu spüren bekommen."
Die Lehrergewerkschaft GEW sagt, dass "schwul" und "Schwuchtel" heute die häufigsten Schimpfwörter auf dem Schulhof sind. Almut Dietrich vom Projekt "Schule ohne Homophobie" fordert deshalb ein engagiertes Eingreifen von Lehrern, auch wenn auf den ersten Blick niemand konkret gemeint ist. Allein der Gebrauch von "schwul" als Schimpfwort schaffe "eine Atmosphäre der Intoleranz, in der sich niemand mehr outen wird". Studien belegen, wie sehr sich das Klima an deutschen Schulen bereits in diese Richtung entwickelt hat: Einer Umfrage der Marktforscher von iconKids & youth zufolge finden über zwei Drittel der Jungen und die Hälfte der Mädchen Lesben und Schwule "überhaupt nicht gut".
Ihnen fehlen Vorbilder bei der Generation der Eltern und Großeltern. Die Anti-Diskriminierungsstelle des Bundes hat herausgefunden, dass auch zwei Drittel aller Erwachsenen mit Homosexualität lieber nichts zu tun haben wollen. Eine Folgen davon: Bei homosexuellen Mädchen und Jungen ist die Gefahr, dass sie Selbstmord begehen, viermal so hoch wie bei Heterosexuellen, wie eine Studie des Berliner Senats ergab.
"Ich möchte auch mal sagen: Ich hab ne ganz tolle Freundin"
Madeleine hat nach ihrer Schulzeit eine Ausbildung in Niedersachsen gemacht, dann zog auch sie nach Köln. Heute studiert sie, arbeitet nebenbei als Fotografin und hat seit einem Jahr eine feste Freundin. Doch selbst in der Großstadt stoßen die beiden Frauen immer wieder auf Grenzen der Toleranz. Blöde Sprüche kommen meist von jungen Männern: "Mir ist es zum Beispiel passiert, dass ich auf einer Party angesprochen wurde", erzählt Madeleine. "Ich habe ihm gesagt: 'Nee du, ich bin mit meiner Freundin hier. Nicht mit einer Freundin, sondern mit meiner festen.' Er antwortete: 'Na, dann knall ich euch beide!'"
Solche Erfahrungen haben Auswirkungen auf Madeleines Verhalten im Alltag: Wird sie bei der Arbeit gefragt, ob sie einen Freund habe, sage sie nein. Das ärgert sie, "man ist ja auch stolz auf seine Partnerin, möchte ja auch mal sagen: Ich hab ne ganz tolle Freundin, die ist Kinderkrankenschwester, die ist super."
Madeleines Verhalten passt ins Bild: Die Studie "Out im Office" hat ergeben, dass sich mehr als die Hälfte aller Schwulen und Lesben in Deutschland nicht am Arbeitsplatz outen. Die Angst vor Diskriminierung und Vorurteilen ist immer noch groß.
Gott liebt alle Menschen - aber nicht alle Menschen gleich, sagt der Pfarrer
Auch Kevin outete sich in seiner Ausbildung nicht. Hinzu kam die Angst vor der Reaktion seiner Kameraden im Schützenverein, die immer wieder schlecht über "Schwuchteln" redeten. Deshalb legte er alle Ämter nieder, packte die Kartons für den Umzug nach Köln und erzählte erst dann im Dorf, dass er tatsächlich schwul ist. Danach hat er die früheren Kameraden nur einmal wiedergetroffen, auf dem Schützenfest: "Wenn ich mich in eine Runde dazugestellt habe, sprachen die Leute nicht mehr mit mir. Oder es wurde Bier geholt, und ich bekam keins."
Glaube, Sitte, Heimat, steht auf den Fahnen des Schützenvereins; die Kirche ist hier im Dorf noch wichtig. Eine Stationen bei Kevins Heimatbesuch ist deshalb das Pfarramt. In einer kleinen Bibliothek trifft er seinen ehemaligen Pfarrer und erzählt vom Outing. Der ältere Herr mit Brille, Glatze sagt, er halte ja von "dieser Sache mit dem Outen" nichts: "Man muss doch da nicht drüber reden. Wenn einer unkeusch in seinem Leben ist und mit Unkeuschheit viel zu tun hat, dann muss er das doch nicht an die große Glocke hängen."
Als Kevin nachfragt, fügt der Pfarrer hinzu, Gott liebe zwar alle Menschen - aber eben nicht alle Menschen gleich.
Kevin und Madeleine hoffen, dass sich irgendwann niemand mehr verstecken muss oder blöde Sprüche zu hören bekommt. Ihr Wunsch: Es sollten sich mehr ältere Homosexuelle outen, so dass es auch Jugendliche leichter haben. Zumindest in Köln erlebe sie nun schon ein Stückchen Normalität, sagt Madeleine: "Ich hätte mir niemals erträumt, dass ich mich doch mal richtig wohl fühlen könnte in meiner Haut."
Der WDR zeigt den Film "die story - 'Schwule Sau!' Der neue Hass auf Homosexuelle" von SPIEGEL-ONLINE-Autorin Christina Zühlke am Montag, 12. April, um 22 Uhr.