Hübsche Schüler Die subtile Macht der Schönheit

Hübsche Kinder kriegen bessere Noten. Davon ist Attraktivitätsforscher Ulrich Rosar überzeugt. Er fordert: Klassenarbeiten sollten von Lehrern korrigiert werden, die die Kinder nicht kennen - oder anonymisiert werden.
Von Nina Bärschneider

Die Zeugnisvergabe rückt näher, zwei Schüler stehen in Mathe zwischen Vier und Fünf. Der Lehrer überlegt: Eine Fünf für Leon wäre schon sehr hart. Da kann man noch mal ein Auge zudrücken. Aber Robin? Keine Frage, der kriegt ganz klar eine Fünf.

Aber ist es wirklich so klar? Oder liegt es vielleicht daran, dass Leon wie der Sohn von George Clooney aussieht? "Den meisten Menschen ist gar nicht bewusst, wie sehr Schönheit sie beeinflusst. Auch Lehrern nicht", sagt Soziologe Ulrich Rosar von der Universität Düsseldorf. Er untersucht als einer der ersten deutschen Wissenschaftler seit Jahren die Wirkung von Attraktivität. Und er ist überzeugt: Hübsche Kinder finden nicht nur schneller Freunde in der Klasse, sie müssen sich im Unterricht auch weniger anstrengen, um vor den Lehrern zu bestehen.

Rosar fordert deshalb ein Umdenken im Bewertungssystem: "Klassenarbeiten sollten zumindest stichprobenartig von externen Lehrern überprüft werden oder am besten anonym sein." Statt Namen könnten Nummern über den Klassenarbeiten stehen.

"Lernen und Lehren auf Beziehungsebene"

"An sich eine gute Idee", findet Helge Pepperling, Vorstandsvorsitzender der Lehrergewerkschaften Hamburg. "Aber die Nummern müsste dann ein Externer verteilen, damit der Lehrer sie nicht zuordnen kann. Das wäre wieder mit mehr Verwaltungsaufwand verbunden."

Zudem könnten Lehrer auch immer noch von der Handschrift auf den Schüler schließen. Klassenarbeiten am Computer also? Das dürfte schon allein an der fehlenden Ausstattung der Schulen scheitern. Und: "Nicht jeder Schüler kann gut am Computer schreiben", so Pepperling.

"Noten sind nie objektiv, egal, wie sehr man eine Leistung anonymisiert", sagt Simone Fleischmann, Präsidentin des Bayerischen Lehrer- und Lehrerinnenverbands. Das sei auch gut so, findet Stefan Behlau, stellvertretender Vorsitzender des Verbands Bildung und Erziehung NRW. "Lernen und Lehren findet auch auf der Beziehungsebene statt. Es wäre deshalb falsch, die Bewertung nur auf schriftliche Klassenarbeiten und somit Fakten zu beschränken."

Schön = gut

Gutaussehende Schüler wirkten auf Klassenkameraden und Lehrer sozialer und leistungsfähiger, sagt Rosar. Denn laut einer amerikanischen Studie aus dem Jahr 2001 aktiviert der Anblick eines attraktiven Gesichts das Belohnungssystem im Gehirn des Betrachters. Das verleite zu der einfachen Rechnung "schön ist gleich gut".

Das Gegenteil treffe auf unattraktive Menschen zu. "Ausgangspunkt der Forschung ist immer das Thema Diskriminierung", sagt Rosar. Und die geht offenbar sogar so weit, dass unattraktive Schüler eher gemobbt werden.

Studien, die das beweisen, kommen größtenteils aus den USA und entstanden dort schon in den Siebziger- bis Neunzigerjahren. Auf das moderne Deutschland ließen sie sich trotzdem übertragen, sagt Rosar: "Die Untersuchungen von damals erfüllen die aktuellen wissenschaftlichen Standards und sind deshalb immer noch aussagekräftig."

Wer attraktiv ist und wer nicht, darüber sind sich Menschen weitgehend einig. In der Fachsprache nennt man dieses Phänomen "Attractiveness Consensus". Lässt man zwei Dutzend Leute das Aussehen einer Person auf einer Skala von eins bis sieben bewerten, fällt das Ergebnis meist eindeutig aus. Bei Mädchen gelten große Augen, ein zartes Kinn und eine kleine Nase als hübsch. Bei Jungen kommen ein kräftiges Kinn und markante Wangenknochen gut an, Pluspunkt ist ein breites Lächeln.

Auswirkungen aufs Berufsleben fraglich

Dass diese Merkmale tatsächlich eine Schulnote verändern können, fanden Rosar und seine Kollegen 2012 heraus. Unter dem Titel "Schöne Schüler, schöne Noten?" untersuchten sie die Wirkung des Aussehens auf die Noten von 77 Fünft- und Neuntklässlern eines Gymnasiums in Nordrhein-Westfalen.

Anhand von Porträtfotos bewerteten zwei Dutzend Erwachsene das Aussehen der Kinder, danach machten die Wissenschaftler Leistungstests mit den Schülern, analysierten ihre Zeugnisnoten und führten Gespräche mit den Lehrern. Und tatsächlich: Die hübscheren Schüler bekamen die besseren Bewertungen.

Rosar gibt zu, dass eine Studie mit 77 Kindern allein noch nicht besonders aussagekräftig sei und "Attraktivität nur ein Merkmal von vielen". Sicher sei aber eines: dass hier weiterer Forschungsbedarf bestehe. Seine Kollegin Imke Dunkake hat derzeit eine neue Studie in Planung. Dabei gehe es um mögliche Vorurteile und härtere Strafen von angehenden Lehrern gegenüber Schülern mit Migrationshintergrund und aus benachteiligten sozialen Schichten. Darin soll zudem die Wirkung der Schülerattraktivität untersucht werden - die Ergebnisse erscheinen in den nächsten Monaten.

Auch zur Auswirkung der Attraktivität aufs Berufsleben wird noch weiter geforscht. Erst vor wenigen Tagen stellten US-Forscher die seit Jahren vorherrschende These einer "Schönheitsprämie" infrage. Statt Schönheit seien Merkmale wie Gesundheit, Intelligenz und günstige Persönlichkeitsfaktoren ausschlaggebend für bessere Bezahlung.

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